Neulich war ich Spazieren. Na ja, es ist schon eine Weile her. Ich gehe regelmäßig raus in den Wald und dann passieren tolle Dinge. Ich sitze z.B. auf einer Bank, welche da so steht. Unter anderem diese Bank, die du auf dem Bild (wo das Foto entstand, kannst du am Ende nachlesen) siehst. Und dann denke ich über dies und das nach. Dies könnte der freie Wille sein. Das könnte Feldenkrais sein. Es ist spannend. Über den freien Willen wird heutzutage viel Wind gemacht. Da gäbe es die eine Seite, welche behauptet, wir wären alle frei. Die andere Seite behauptet, wir wären determiniert, also alles wäre biologisch vorherbestimmt. Dann gebe es noch die goldene Mitte, nämlich die, welche sich zwischen den Polen aufhalten. Wo stehst du?
Was hast du soeben getan, ein Glas Wasser getrunken, ein bestimmtes Lied angehört, einen Gedanken gehabt? Und woher kam der erste Wunsch, genau dies zu tun, und nicht etwas komplett anderes? Gute Frage, oder?
Biologische und kulturelle Evolution
Die Vorstellung vom freien Willen hat sich im Übergang von der biologischen Evolution hin zur kulturellen Evolution gebildet. (Singer, 2003)
- Biologische Evolution ist die Entwicklung der Organismen im Lauf der Evolution. Die Evolution entsteht aus dem Zusammenwirken von genetischer Variation und Mutation sowie natürlicher Selektion.
- Kulturelle Evolution ist die Fähigkeit, Verhalten durch Erfahrung, Nachahmung eines anderen, oder durch Sprache zu übernehmen.
Während der kulturellen Evolution wurde Wissen von Generation zu Generation weitergegeben. Dies beinhaltete natürlich auch Sinnzuschreibungen, was es so bei der biologischen Evolution nicht gab. Die kulturelle Evolution brachte drei Errungenschaften mit sich.
- Das Vermögen uns unserer kognitiven Prozesse gewahr zu werden und diese symbolisch zu repräsentieren und anderen Menschen mitzuteilen.
- Das Vermögen uns ein Bild der mentalen Prozessen eines anderen zu machen, um uns vorstellen zu können, was in dem anderen vorgeht.
- Das Vermögen unser erworbenes Wissen zu speichern, zu kodieren, um es an nachkommende Generationen weiterzugeben.
Das Ergebnis der kulturellen Evolution
Menschen sind zu einer Interpretationsleistung fähig, welches Tieren nicht nahe liegt. Daher können wir uns in andere hineinversetzen und nachempfinden, wie sie denken und fühlen. Da möchte ich allerdings noch anmerken, dass dies auf Interpretation besteht und diese kann, wie es so oft der Fall ist, falsch sein.
Die Komplexität unserer Gehirne hat zugenommen, im speziellen, die Komplexität unserer Großhirnrinde. Dies brachte Leistungen hervor, die den Tieren fremd ist. Die Fähigkeit Interpretationen anzustellen, unsere Gedanken mit anderen auf einer Metaebene auszutauschen hat Kultur hervorgebracht. Das macht Kultur zu dem Ergebnis einer langen Entwicklung von der biologischen Evolution bis hin zur kulturellen Evolution.
Unsere Großhirnrinde ist etwas besonderes
Unser So-Sein ist auf der einen Seite biologisch und auf der anderen Seite historisch-kulturell-sozial bedingt. Determinismus, d.h. die Vorherbestimmtheit aller Ereignisse unter Ausschluss des freien Willens, ist nicht nur auf die Biologie, also die Gene, beschränkt, sondern findet sich auch wieder in der Kultur, in welcher wir mit Werten, Anschauungen, Sprache geprägt werden. Es wäre ein Trugschluss, alles auf die Gene zu schieben. Da machen wir es uns zu einfach.
Unsere genetische Ausstattung heute unterscheidet sich nicht wirklich von der Ausstattung eines Menschen aus der Steinzeit, jedoch gibt es erhebliche Unterschiede bezüglich unserer Großhirnrinde. Und diese Komplexität unserer Großhirnrinde macht es uns schwer ein kohärentes Erklärungssystem zu erstellen, ein Erklärungssystem, mit welchen wir alle Ereignisse voraussagen könnten.
Wurm ist nicht gleich Mensch
Kausale Erregungszutände ganz einfacher Organismen sind mit der naturwissenschaftlichen Sprache beschreibbar, d.h. wir können ungefähr voraussagen, was z.B. ein Wurm als nächstes tun wird. Beim Menschen unterliegen die Neurowissenschaftler der Annahme, dass höhere Verhaltensleistungen ausschließlich der Entwicklung immer komplexerer Nervensysteme zu verdanken sind.
Doch nun entstehen Phänomene, welche nicht mehr in der Dritte-Person-Perspektive beschreibbar sind. Es entstehen Lücken und somit kommt der Freie Wille ins Spiel. Diese Phänomene werden nun in der Erste-Person Perspektive beschrieben. Wir tun was wir tun, da uns gewisse Faktoren dazu veranlassen. All diese Faktoren zu einem Ganzen zusammenzubauen ist sehr komplex. Wir können derzeit die vielfachen Parameter nicht wirklich überblicken. Aus diesem Grund ist es einfacher unseren Handlungen Intentionalität zu unterstellen.
Das nicht vorhandene Konvergenzzentrum
Es wurde lange Zeit gedacht, es gäbe eine Kontrollinstanz, ein Konvergenzzentrum, in dem alle Informationen zusammenlaufen, um dann ausgewertet zu werden, um zu einer Entscheidung zu kommen (Singer, 2002). Es gibt aber keine Kontrollinstanz in unserem Gehirn, in der alle Informationen zusammenlaufen und wo letzten Endes eine Entscheidung für eine Handlung getroffen wird. Die Hirnarchitektur ähnelt nicht der hierarchischen Struktur eines Computers, sondern ähnelt eher einer unglaublich komplexen Vernetzung verschiedenster Gehirnareale. Diese Vernetzung bringt nun die Erfahrung zu Tage uns als freie Wesen wahrzunehmen.
Erklärbar ist dies derzeit nicht und wird deshalb als das sogenannte Bindungsproblem bezeichnet, d.h. in anderen Worten, es ist derzeit unklar wie all die verschiedenen Informationen zusammenlaufen, um ein kohärentes Bild zu erzeugen, was uns schließlich die Überzeugung gibt, frei zu sein.
Kulturell konstruiert
Äußere Reize wie auch innere Reize, wie die ständig wechselnden Gehirnzustände, geben unserem Handeln die Richtung vor. Somit lässt sich die Frage stellen, ob der Freie Wille nicht zu hundert Prozent ein mentale Erfindung ist. Unser Hirn könnte man als eine Optimierungsmaschine bezeichnen, ständig damit beschäftigt, Inhalte zu ordnen, Bezüge herzustellen, Modelle zu entwerfen. Unsere Wahrnehmung ist aktiv und erwartungsgesteuert, und zu einem großen Teil unbewusst. Dies veranlasst uns erst nach dem Geschehen Erklärungen für unser Geschehen zu konstruieren.
Unser Gehirn interpretiert die Welt nach dem in ihm angelegten Regeln, basierend auf der Struktur unseres Gehirns. Somit arbeitet das Gehirn rückwärts, aber auch vorwärts. Genau das macht Bewusstsein nützlich, um Voraussagen machen zu können und somit Gefahrensituationen zu umgehen. Der freie Wille ist Opfer einer Dichotomie. Auf der einen Seite ist er ein illusionäres kulturelles Konstrukt, inkompatibel mit dem, was wir über das Gehirn und seine Funktionen wissen. Er beruht auf einen kulturellen Konsens. Auf der anderen Seite kann der freie Wille erfahren werden, und genau das macht ihn real. An dieser Erfahrung halten wir fest, um nicht ohnmächtig zu werden, dass unser ganzes Leben vorherbestimmt sei.
Feldenkrais als Exploration hin zum freien Willen
Aus diesem Grunde gefällt mir persönlich die Feldenkrais Methode so sehr, denn mit ihr können wir unsere Selbsterfahrungen erweitern und somit unser Handlungsbild verfeinern. Diese Erweiterung und Verfeinerung ist Teil unserer menschlichen Bedingtheit.
Um diesen Artikel abzuschließen, empfehle ich dir folgendes. Nehme dir irgendeine Audiolektion und mache diese mal: In diesen Artikeln findest du Audiolektionen.
- Feldenkrais und Sitzen
- Die geliebte Feldenkrais Beckenuhr
- Entspannte Aufrichtung
- Feldenkrais und Haltung – Wie alles begann
- Eine Feldenkrais Lektion im Stehen: Bambus, Wind und Zusammenhänge
- Wieviel wiegt Wiederholung?
Was spürst du? Wie fühlst du dich dabei und danach? Gibt es etwas, was sich komplett neu danach anfühlt? Gibt es eventuell während der Lektion die Tendenz etwas anders zu machen, einem Automatismus folgen zu wollen? Das ist unglaublich spannend. Ok, das war subjektiv. Vielleicht findest du es ja auch spannend.
Du kannst dir natürlich auch die Frage stellen, wie du jeden Tag morgens aus dem Bett aufstehst. Mehr dazu hier in diesem Artikel: Aufstehen, aber WIE
Literatur:
- Singer, Wolf (2002). Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung. Frankfurt am Main: Suhrkamp
- Singer, Wolf (2003). Ein neues Menschenbild. Gespräche über Hirnforschung. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Bilder:
- Das Bild ist in Altdorf bei Nürnberg im Wald entstanden. Dort gibt es ein paar Stellen, welche echt traumhaft sind. Und auch das war subjektiv. 😉