Ich werde sehr oft gefragt, wie oft man denn Feldenkrais Lektionen, beziehungsweise Bewegungen, wiederholen soll, um diese verinnerlicht zu haben. Das ist eine sehr spannende Frage, denn in der Feldenkrais Welt sprechen wir nicht von Wiederholung, sondern eher von Exploration. Der Unterschied bei der Exploration zur Wiederholung liegt darin, das Alles immer wieder auch neu ist. Alles ist frisch und einmalig zu betrachten, alles was uns begegnet, alles was wir selbst tun und was wir sind.

Alles ist lebendig. Nichts wiederholt sich. Wiederholung ist eine Scheinrealität. Wiederholungen an sich können zwanghaft werden, müssen es jedoch nicht. Doch zwanghafte Muster sind Konstruktionen unseres Geistes. Sich dessen bewusst zu werden, ändert sehr viel. Mit dieser Einstellung wird das Leben interessant. Moshé Feldenkrais hatte ein Wort dafür: Bewusstheit. Mit dieser Bewusstheit gehen wir in die Exploration und wir stehen z.B. vom Stuhl auf und wir machen es vielleicht zwanzig mal. Doch jedes Mal ist es anders, d.h. es kann sich der Fokus verschieben. Jedes Mal liegt der Fokus auf andere Bewegungswahrnehmungen.

Ca. 2008 im Flugzeug von Deutschland in die USA laß ich folgende Zeilen von Milan Kundera. Ich finde sie passen ganz gut zu der Frage. 

“Wenn sich jede Sekunde unseres Lebens unendliche Male wiederholt, sind wir an die Ewigkeit genagelt wie Jesus Christus ans Kreuz. Eine schreckliche Vorstellung. In der Welt der ewigen Wiederkehr lastet auf jeder Geste die Schwere einer unerträglichen Verantwortung. Aus diesem Grund hat Nietzsche den Gedanken der Ewigen Wiederkehr “das schwerste Gewicht” genannt.

Wenn die Ewige Wiederkehr das schwerste Gewicht ist, kann unser Leben vor diesem Hintergrund in seiner ganzen herrlichen Leichtheit erscheinen.

Ist aber das Schwere wirklich schrecklich und das Leichte herrlich?

Das schwerste Gewicht beugt uns nieder, erdrückt uns, preßt uns zu Boden. (...) Das schwerste Gewicht ist also gleichzeitig ein Bild intensivster Lebenserfüllung. Je schwerer das Gewicht, desto näher ist unser Leben der Erde, desto wirklicher und wahrer ist es.

Im Gegensatz dazu bewirkt die völlige Abwesenheit von Gewicht, daß der Mensch leichter wird als Luft, daß er emporschwebt und sich von der Erde, vom irdischen Sein entfernt, daß er nur noch zur Hälfte wirklich ist und seine Bewegungen ebenso frei wie bedeutungslos sind.

Was also soll mann wählen? Das Schwere oder das Leichte?

Parmenides hat sich diese Frage im sechsten Jahrhundert vor Christus gestellt. Er sah die ganze Welt in Gegensatzpaaare aufgeteilt: Licht – Dunkel; Wärme – Kälte; Sein – Nichtsein. Er betrachtete den einen Pol (Licht, Feinheit, Wärme, Sein) als positiv, den anderen als negativ. Eine solche Aufteilung sieht kinderleicht aus, bringt jedoch eine Schwierigkeit mit sich: was ist positiv, das Schwere oder das Leichte?

Parmenides antwortete: das Leichte ist positiv, das Schwere ist negativ. Hatte er recht oder nicht? Das ist die Frage. Sicher ist nur eines: der Gegensatz von leicht und schwer ist der geheimnisvollste und vieldeutigste aller Gegensätze.” (Kundera, 2009, S. 11 ff.)

Es ist geheimnisvoll. Wir, Menschen, unterliegen dem Gravitationsgesetz. Diese intensive Kraft, welche da wirkt, gibt uns Struktur. Diese Struktur, unser Körper, trägt uns durchs Leben auf dieser Welt. Diese Kraft verbindet uns auch mit der Erde, mit dem Boden. Diese Kraft erzeugt auch Schwere, eine wohltuende Schwere, eine verbindende Schwere.

Jetzt gehe ich mal davon aus, wir möchten mit einer gewissen Leichtigkeit durchs Leben gehen, uns mit leichten Schritten fortbewegen. Ich möchte das jedenfalls. Wie ist das bei Dir? Leichtigkeit, das ist etwas, was wir bei der Feldenkrais Arbeit erforschen. Wir explorieren Leichtigkeit, d.h. wir machen etwas immer und immer wieder und doch ist es jedes Mal anders. Vielleicht leichter.

Die Geisteshaltung der Exploration dazu heißt Anfängergeist oder Präsenz, und sie drückt sich in Liebe und Kreativität aus. Jeder Tag eine Inszenierung und auch jede Bewegung eine kunstvolle Inszenierung. Präsenz ist etwas, das man tun kann, vielleicht sogar das Einzige, das wir tun können. Kein hehres, schwer erreichbares Ziel, sondern das Naheliegendste der Welt, Anfängergeist im Wahrnehmen, Denken und Tun.

Nun findest du hier eine Audiolektion. Was du dafür brauchst ist vor allem eine Sache: Ruhe und keine Ablenkung. Überdies einen Stuhl, bequeme Kleidung und einen kindlichen Entdeckergeist. Viel Spaß mit der Lektion.

Und wenn ich dich jetzt frage, wie oft ein Mensch etwas wiederholen soll, bzw. wie viel Wiederholung wiegt, was würdest du sagen?

Literatur:

  • Kundera, Milan (2009). Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag