Hast du schon mal eine Katze beobachtet, wie sie im Garten, auf einem Wiesenstück, oder im Hinterhof eines Hauses umherschleicht, beobachtend, ganz aufmerksam? Es mögen Geräusche anwesend sein, Wind, das Läuten einer Glocke, Verkehrslärm, der Gesang von Vögeln, doch die Katze bleibt ganz aufmerksam. Du näherst dich ihr an, sie sieht dich nicht, doch plötzlich trittst du auf etwas, was ein Geräusch macht. Die Katze zuckt ganz schnell zusammen, der Blick ist zu dir gerichtet, ihre Muskulatur spannt sich an, sie ist in Hab-Acht-Stellung. Du näherst dich der Katze nicht an, sondern lässt sie in Ruhe und beobachtest sie noch eine kurze Weile. Die Katze bemerkt eventuell, das von dir keine Gefahr ausgeht und macht nun folgendes: ihr ganzer Körper vibriert, sie zittert und schüttelt sich kurz und folgt weiterhin ihrer Tätigkeit, wie auch immer die nun aussehen mag. 

Die Katze reagierte auf ein ganz spezielles Geräusch unter einer ganzen Geräuschkulisse. Doch dieses Geräusch lies sie aufhören und reagieren. Es stellte eventuell ein Gefahr dar und löste ihn ihr eine Alarmreaktion aus. Die darauf folgende Entspannungsreaktion, durch das Zittern und Schütteln, ist so tief in diesem Lebewesen verankert, das es unverzüglich danach abläuft. Somit ist alles wieder in bester Ordnung. Wie ist das bei uns Menschen?

Geräusche kurzer Dauer und Dauerlärm

Es gibt Geräusche, die von kurzer Dauer sind und Lärm. Ursprünglich kommt das Wort Lärm von dem Wort Alarm mit lateinischen Wurzeln (lat.: ad arma = zu den Waffen) und stellt somit ein akustisches Signal dar, welches eine sofortige Mobilisierung aller Kräfte verlangt. Darauf folgte in der Vergangenheit im besten Falle eine längere Erholungsphase, welches diese anfängliche Stresssignal ausbalancierte. Heute ist scheinbar Lärm “ein ständiges Alarmgeräusch, ein fortgesetztes Zu-den-Waffen-Signal, ohne Erholungsphase und vor allem meist ohne den sofortigen körperlichen Einsatz” (Vester, 1976). Laut Vester erfüllt Dauerlärm keinen biologischen Zweck mehr, denn er verhindert die Alarmbereitschaft, wirkt somit als chronischer externer Stressor und setzt zudem noch die Konzentrationsfähigkeit herab. Aus dem bisher gesagten, lässt sich folgendes ableiten. Dauerlärm ohne Erholungsphase bzw. ohne körperliche Betätigung stellt eine Herausforderung für den Menschen dar.

Die Angst vor dem Fallen und die Angst vor lauten Geräuschen

Nach Moshé Feldenkrais (2005) besteht die erste Angst im Mensch im Fallen. Dies kann deutlich bei Neugeborenen beobachtet werden, sobald deren Position im Raum schnell geändert wird. Diese Angst ist instinktiv und geht einher mit der Anspannung der beugenden Muskulatur. Nach ungefähr drei Wochen reagiert ein Neugeborenes auch auf laute Geräusche. Dadurch wird der Nervus vestibulocochlearis gereizt. Dieser 8. Hirnnerv leitet elektrische Impulse zum Hirnstamm und zum Vestibularorgan, welches für das Gleichgewicht zuständig ist. Sehr laute Geräusche führen dazu, die Atmung anzuhalten, was mit einer Anspannung des Zwerchfells einhergeht. Weiterhin kommt es zu einer Beeinträchtigung des Vestibularorgans, d.h. es werden ähnliche Muster aktiviert, wie bei der Angst vor dem Fallen. Diese zweite Angst vor lauten Geräuschen ist nicht instinktiv und auch nicht angeboren, sondern entsteht durch Konditionierungsprozesse aufgrund der anatomischen Ähnlichkeit dieser beiden Ängste.

Dies ist auch bei Erwachsenen zu beobachten. Sehr laute und unangenehme Geräusche gehen einher mit einer Schreckreaktion. Die vollzogene Aktivität wird plötzlich unterbrochen, es kommt zu einem Atemstopp, die Schweißbildung nimmt zu, der Puls wird beschleunigt, das Herz pocht, die beugende Muskulatur verspannt sich, die Aufmerksamkeitsprozesse sind komplett auf dieses Geräusch gerichtet. Es passieren also die gleichen Mechanismen wie beim Fallen. Erinnere dich mal kurz: Bist du schon mal ausgerutscht, z.B. auf einer vereisten Straße, und dabei sogar hingefallen? An was kannst du dich erinnern? Was ist alles gleichzeitig abgelaufen? Auf die Frage, was denn jetzt dagegen getan werden kann, antwortet Moshé Feldenkrais mit der Exploration der Anti-Gravitations-Muskeln, also die streckende bzw. aufrichtende Muskulatur. Ganz deutlich wird die Angst vor dem Fallen im Kampfsportunterricht trainiert, in dem hier speziell das Abklatschen mit der Hand und die Streckung der Wirbelsäule trainiert wird. Aus eigener Kampfsporterfahrung kann ich sagen, es funktioniert, braucht allerdings ein wenig Zeit dies zu verinnerlichen.

Dauerlärm und Hochsensibilität

Es gibt Fachleute, welche bereits einen Dauerlärm von 45 bis 60 Dezibel als gesundheitsschädlich einstufen (Vester, 1976). Das ist fast in jeder Stadtwohnung der Fall. Jetzt mag es sein, sich als Anwohner einer schwer befahrenen Strasse, eines Flugplatzes, an diesen Dauerlärm zu gewöhnen. Die Gewöhnung macht die gesundheitliche Belastung allerdings nicht weg. Der Dauerlärm wirkt ebenso schädlich auf den abgehärteten wie auf den hochsensiblen Menschen. Hochsensible Menschen nehmen aufgrund ihres anderen Wahrnehmungsfilters Reize noch viel stärker wahr und sind somit noch stärker von Dauerlärm betroffen. Für diese Menschen sind laute Geräusche sogar körperlich schmerzhaft und werden daher als sehr anstrengend empfunden (Parlow, 2015). Hochsensible Menschen sind eben aufgrund ihrer subtileren Wahrnehmungsfähigkeit dazu in der Lage, feinste Nuancen in der Tonqualität wahrzunehmen (Fenner, 2021).

Das ist natürlich eine hilfreiche Begabung, was ist aber nun mit dem Dauerlärm? Jetzt mag der Einwand kommen, man könne ja den Lärm ausblenden oder sich dagegen abhärten. Diese Fertigkeit, welche durch die systematische Sensibilisierung trainiert werden kann, greift bei hochsensiblen Menschen im sensorischen Bereich nicht, denn das würde ja voraussetzen, sich in einem entspannten Zustand sukzessive immer stärkeren Reizen auszusetzen, um zu adaptieren (Reichardt, 2016). Was nun? Es scheint hier zwei Möglichkeiten zu geben: Ohrenstöpsel oder Umziehen. Einst wohnte ich auch in einer Stadtwohnung und als selbst Betroffener, kann ich dies sehr gut nachvollziehen. Im Moment genieße ich die Ruhe auf dem Land, ganz nach den Worten von Peter Bieri, “ich möchte in einer Kultur der Stille leben, in der es vor allem darum ginge, die eigene Stimme zu finden.” (Bieri, 2011).

Was nun?

Mir fallen dazu zwei Methoden ein. Kohärentes Atmen nach Wilfried Ehrmann (Ehrmann, 2016; Ehrmann & Steinbichler, 2022) und Trauma Releasing Exercises (kurz: TRE) nach David Berceli (2008).

Wir könnten es machen wie die eingangs erwähnte Katze. Zittern beim Menschen ist ebenso wie das instinktive Zittern bei der Katze dazu da, das Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Der Körper kann sich nun von der überschießenden Stressreaktion erholen und dem weiteren Geschehen des Alltags folgen. Dieses Zittern steuern wir nicht selbst, sondern es steuert sich selbst. Das bedeutet, die Feedback- und Feedforwardschleifen werden rekalibriert. Oder ganz anders ausgedrückt: Es kommt zu einer chronischen Stressreaktion durch dauerhaften Lärm. Diese Stressreaktion geht einher mit vermehrter Adrenalin- und Cortisolproduktion und einer Überaktivierung des sympathischen Nervensystems, welches primär für Aktivität zuständig ist. Das wäre das Feedback eines dysregulierten Nerven- und Hormonsystems. Das Feedforward wäre in diesem Falle die Einnahme der TRE-Position und das Vertrauen in den Körper, ein Zittern zu produzieren, welches den Feedbackmechanismus der Stressreaktion aufzulösen vermag. Zittern ist somit eine natürliche Methode, welche Spannungszustände auflösen kann. Zittern regelmäßig angewandt ermöglicht neue Erfahrungen, nämlich tieferliegende Spannungen aufzulösen. Selbstheilung durch Selbsterlaubnis.

Egal ob Herz-Kreislauferkrankungen, Burn-Out-Prophylaxe oder stressbedingte Überaktivierung des Nervensystem, speziell des Sympathikus, was in dem hier genannten Fall mit Dauerlärm eher der Fall ist, kohärentes Atmen regelmäßig ausgeführt bringt die Aktivität des vegetativen Nervensystems wieder ins Gleichgewicht. Messbar ist dies an der Herzratenvariabilität. Laut kohärenten Atmen bleiben wir im Alltag oft in der Kampf- oder Fluchtreaktion stecken und schaffen es nicht mehr unser Nervensystem ins Gleichgewicht zu bringen. Dies zeigt sich an dysfunktionaler Atmung, entweder zu schnell oder Atemaussetzer, um nur zwei zu nennen. Dieser chronische Stress, welcher sich körperlich manifestiert, kann mit einem gezielten Atemtraining vorgebeugt werden.

So hast du jetzt zwei Möglichkeiten, neben vielen anderen die ich hier nicht genannt habe, wie du mit Dauerlärm und somit auch chronischem Stress umgehen kannst. Diese Methoden über einen längeren Zeitraum angewandt, bringen dein Nervensystem wieder ins Gleichgewicht und helfen dir eine bessere Regulation zu bekommen. 

Literatur:

  • Berceli, David (2008). The Revolutionary Release Process: Transcend You Toughest Times. Vancouver: Namaste Publishing
  • Bieri, Peter (2011). Wie wollen wir leben? Salzburg: Residenz Verlag
  • Ehrmann, Wilfried (2016). Kohärentes Atmen. Atmung und Herz im Gleichklang. Bielefeld: J. Kamphausen Mediengruppe
  • Ehrmann, Wilfried & Steinbichler, Hans (2022). Kohärentes Atmen. Das Übungsbuch. Stressbewältigung durch richtige Atmung. Hamburg: Tredition
  • Feldenkrais, Moshé (2005). Body & Mature Behavior. A study of Anxiety, Sex, Gravitation and Learning. Berkeley: Frog Books
  • Fenner, Dagmar (2021). Hochsensibilität. Phänomenologische und ethische Überlegungen. Basel: Schwabe Verlag
  • Parlow, Georg (2015). Zart besaitet. Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen. Wien: Festland Verlag
  • Reichardt, Eliane (2016). Hochsensibel. Wie Sie ihre Stärken erkennen und ihre wirkliches Potential entfalten. München: Irisiana
  • Vester, Frederic (1976). Phänomen Stress. Wo liegt sein Ursprung, warum ist er lebenswichtig, wodurch ist er entartet? Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt

Bilder:

  • Foto von Chairulfajar (Unsplash)