Laut Gaston Bachelard (2014) sind wir alle geborene Poeten, doch was wir damit tun, liegt zu hundert Prozent in unserer Verantwortung. Bachelard betont dabei die Kraft der poetischen Sprache. Was meint er damit? Poetische Sprache kann im Gegensatz zur kühlen wissenschaftlichen Sprache eine Erweiterung darstellen. Worin liegt diese Erweiterung? Wir Menschen bewegen uns in einem Raum. Die Art und Weise, wie wir das tun, hat viel mit der Wahrnehmung dieses Raumes zu tun. Was hat das mit Grenzen, der Haut und vielleicht auch der Feldenkrais Methode zu tun? Spannende Fragen.
Raum - innen und außen
Wenn wir das Verständnis von Raum vertiefen möchten, braucht es einen Blick. Einen Blick in alltägliche Räume. Durch und mit Social Media wie Facebook, Twitter und Co. exponieren wir uns zwar in der Welt, wir geben alles, doch was passiert in unseren intimsten Räumen? Intim deshalb, da wir dabei in Kontakt sind mit anderen Menschen. Wir sprechen von einem realen Kontakt, nicht einem virtuellen Kontakt. Im realen Kontakt tritt das Innen und das Außen mit einem weiteren Innen und Außen in Beziehung, d.h. ich nehme etwas wahr, Gefühle, Empfindungen, Gedanken (= das Innen). Das Außen würde der Handlungsperspektive entsprechen, also mein So-Sein, was sich im Verhalten zeigt. Dieses Innen produziert das Außen und das Außen wirkt gleichzeitig auch auf das Innen ein. Zusätzlich steht beides, das Innen und das Außen, in Kontakt mit einer weiteren Person, vielleicht sogar mehreren Personen, welche auch ein Innen und ein Außen haben. Jetzt lässt sich das, was da vorgeht in Sprache fassen und somit verbal greifbar machen.
Greifbar durch Sprache
Wenn wir also unser Verständnis des Raumes vertiefen möchten, so könnten wir mit Sprache an die Sache rangehen. Jetzt spricht Bachelard von poetischer Sprache. Durch diese Poesie werden alltägliche Räume symbolisch und evokativ und gehen über ihren nützlichen Zweck hinaus. Ich würde dazu sagen, die kühle Funktionalität der Räume verliert ein wenig ihre Wirkung und es darf etwas anderes in Erscheinung treten. Dieses Andere könnte der Emotionalkörper genannt werden. In der Polyvagal Theorie sprechen wir von zwei Körpern: Körper 1 und Körper 2. Der eine Körper stellt dabei die Empfindungen dar, wie Schmerz, Spannung, körperliche Wahrnehmungen. Der andere Körper stellt die Emotionen dar, d.h. was fühle ich gerade in diesem Moment. Phänomenologisch könnten wir den Empfindungskörper auch Körper nennen und den Emotionalkörper auch Leib. Das hat auch Auswirkungen auf die Sprache. Ich habe einen Körper, aber ich bin ein Leib. Hier werden zwei Dimensionen angesprochen, welche einen ganz anderen sprachlichen Bereich eröffnen. Noch einmal von Beginn. Das Innen und das Außen einer Person treten mit dem Innen und dem Außen einer anderen Person in Verbindung. Das was da passiert lässt sich in Sprache fassen und somit greifbar machen. Wir spielen somit mit Worten und machen etwas kognitiv begreifbar. Sprache alleine reicht allerdings auch nicht. Denn unser Gehirn funktioniert sehr stark durch Bilder.
Ein Bild sagt so viel mehr als ein Wort
Wenn wir unser Verständnis des Raumes noch weiter vertiefen möchten, so könnten wir mit Bildern arbeiten. Das ultimative Ziel der Vorstellungskraft in der Phänomenologie ist es, Bilder in ihrer Entstehung festzuhalten, jedes mal aufs Neue. Sich etwas vorstellen bedeutet den Raum zu wechseln und den Raum zu wechseln bedeutet das Sein zu ändern. Auch wenn ich mir das jetzt bewusst mache, wenn ich wirklich den Raum verlasse und versuche mit 100 Prozent Aufmerksamkeit dabei zu sein, so werde ich es nie schaffen, alle Aspekte zu beleuchten. Was jedoch machbar ist, ist die Wirkung des Gesamtbildes wahrzunehmen und einfach wirken zu lassen. Was heißt das jetzt? Damit soll folgendes gemeint sein. Ich wechsle den Raum, es gibt unzählige neue Eindrücke, welche meist unterhalb meiner Wahrnehmungsschwelle verarbeitet werden. Nur wenige gelangen ins Bewusstsein und stehen mir dann zur Verfügung, d.h. ich kann dann damit reflektieren und intuitiv darauf reagieren. Der Raum ist somit nicht nur eine physische Entität, sondern weitaus mehr. Er ist eine gelebte Erfahrung, d.h. der Raum wirkt unverzüglich auf mich zurück und ich gebe diese Wirkung dann wieder in Raum hinein. Diese Wechselwirkung verläuft durch eine Grenze. Diese Grenze nennt sich Haut.
Die Haut, Ort der Grenze und Verbindung
Die Haut ist zum einen unser größtes Sinnesorgan und zum anderen stellt sie eine Grenze dar (Grunwald, 2017). Eine Grenze zwischen Innen und Außen. Die Regulation der Temperatur verläuft über die Haut, die Haut atmet auch. Der Kopf denkt, die Haut fühlt. Blinde und taube Menschen entwickeln hier erstaunliche Fertigkeiten. Mit dem Körper zu hören, zu spüren, ist auch sehr in unserem Sprachgebrauch eingegangen. Ich könnte z.B. sagen, dass mich etwas aus der Haut fahren lässt, oder, dass eine Erfahrung unter die Haut ging, oder im besten Falle, dass ich mich wohl in meiner Haut fühle. So frage ich mich, was denn der Fall sein müsste, dass ich mich wohl in meiner Haut fühle? Muss ich dafür immer den Raum verlassen und einem anderen Raum ermöglichen, auf meinen Emotionalkörper einzuwirken?
Das Bild wachsen lassen
Das kann man machen. Es geht allerdings auch anders. Imaginativ, wie vorher schon angedeutet. Ich könnte also, nur durch meine Vorstellungskraft, ein Bild entstehen lassen und wachsen lassen. Dafür könnte ich mich wahrnehmen. Der Raum wird auf mich einwirken, sogar wenn es dunkel ist und ich nichts sehe. Dann wirkt die Abwesenheit von Licht auf mich ein und die Dunkelheit wird gewisse Gefühle in mir evozieren, sowie gewisse Empfindungen verstärken. Es könnte ja sein, dass mich das entspannt, der Muskeltonus geht runter. Ich nehme all das wahr und gebe es zugleich wieder zurück. Für diese Erforschung der Wechselwirkung könnte ich Mikrobewegungen machen, so wie wir es bei der Feldenkrais Methode tun. Jedoch verlassen wir die Methode ein klein wenig und versuchen nicht eine Bewegung besser zu machen, Stress oder Schmerzen zu lindern, sondern durch die Bewegung eine neue Seinsweise wahrzunehmen. Diese Seinsweise muss nicht gleich im sozialen Raum getestet werden, sondern imaginativ erforscht werden. Ein Bild wächst und vielleicht verändert es sich auch. Was heißt das jetzt wieder?
Die Plastizität des Bildes
Ich versuche es mal konkret. Ich denke an eine bestimmte Person, ein So-Sein. Diese Person hat eine Aussenwirkung und ein Inneres. Das Innere kenne ich nicht, nur die Aussenwirkung. Ich habe eine Aussenwirkung, der ich mir bewusst werden kann und ich habe ein Innen, das nur mir zugänglich ist. Jetzt könnte ich mich fragen, ob ich meine Aussenwirkung ändern möchte und wenn ja, wie. Dann mache ich mir davon ein Bild von dem neuen Außen und nehme dabei mein Innen wahr. Wie geht es damit in Resonanz, wie fühle ich mich damit, was spüre ich? Kann ich dies durch Mikrobewegungen eventuell noch untermalen? Ja, kann ich, in dem ich mir gewisse Bewegungsmuster bewusst mache und sie exploriere, d.h. versuche herauszufinden, ob es anders eventuell leichter werden könnte. Dieses Hin- und Herspiel von Außen nach Innen und so weiter erzeugt immer tiefer ein Bild. Dieses Bild ist plastisch, d.h. es passt sich ständig an. Ich gehe mit diesem Bild in Wechselwirkung und versuche intuitiv herauszufinden, ob ich mich damit wohl fühle. Das wäre Exploration auf einem sehr feinen Niveau. Ich kann dabei Sprache als Hilfsmittel nutzen. Ich kann dabei mit dem Bild arbeiten. Ich kann mit Mikrobewegungen arbeiten. Was ich suche ist Kongruenz zwischen Innen und Außen. Wenn diese Kongruenz mit einem Wohlgefühl gepaart ist, so wäre dies schon ziemlich gut.
Gelebte Poesie
Dieses Wohlgefühl, diese Kongruenz, dieses neue Innen und Außen, nehme ich dann mit, hinein in den sozialen Raum. Dort sind andere Menschen und es ist jetzt mal total egal, wie bewusst, oder unbewusst die sind. Vollkommen egal. Die Frage wäre, wie wirkt mein neues Innen und Außen im sozialen Raum? Fühlt es sich flüssig an oder erratisch und kühl oder gekünstelt? Fühlt es sich kongruent an? Ist es etwas, was mich mit Wärme erfüllt, weil es vielleicht eine neue viel schönere Verbindung darstellt, zu mir und zu anderen? Das wäre wunderbar. Ist es gelebte Poesie durch den Körper? Wenn ja, ganz ehrlich, das wäre PRIME oder HIGH END oder einfach nur wunderschön. Es ist nicht einfach, da hinzukommen, doch es ist möglich. Und wenn es möglich ist, könnte ich mir den Weg auch leicht gestalten. Und vielleicht entsteht dadurch etwas graziöses, oder gelebte Poesie!
Literatur:
- Bachelard, Gaston (2014). The Poetics of Space. New York: Penguin Classics
- Grunwald, Martin (2017). Homo Hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können. München: Droemer Verlag
Bilder: