“Die kürzeste, schönste und fremdartigste Erregtheit des Tages? Ich gehe weiter und spreche den Satz leise vor mich hin und merke dabei, daß er mir mehr als andere gefällt. Ich bleibe stehen, hole mein Notizbuch heraus und notiere den Satz. Und während ich ihn niederschreibe, kehrt die den Amselblicken verdankte Erregung zurück, und ich spüre, der Traum des Schreibens ruht auf einer Beleihung dessen, was ich sehe und höre und unablässig verwandle, auf einem offensiven und zugleich heimlichen Pakt mit allem, was sich ringsum ereignet, einem Pakt, der nichts als die Erwartung verlangt, daß wir überall auf Bilder und Eingebungen hoffen dürfen, die unserer Bedürftigkeit antworten und uns für die Dauer der Antwort von dieser Bedürftigkeit befreien. Und diese Erwartung, diese jeden Tag ins Freie hinausgetragene Empfänglichkeit ist nichts anderes als ein inneres Tätigsein, das uns aus der Nichtigkeit des bloßen Zeitvergehens herausnimmt, indem es uns vor uns selber betont.” (Genazino, 2014, S. 164 f.)
Dies waren die Zeilen von Wilhelm Genazino. Diese Zeilen rührten mich sehr und erinnerten mich gleichzeitig an gewisse Aussagen von Moshé Feldenkrais, welcher Sprache als ein Hindernis ansah. Ein Hindernis für was? Ein Hindernis für die Selbsterkenntnis. In diesem Satz bezieht er sich auf Psychotherapie, die laut Feldenkrais zu lange benötigt, um seelische Konflikte durch eine sprachliche Analyse aufzulösen. Ich stimme dem nur teilweise zu. Es braucht beides. Es braucht Sprache und es braucht Erfahrung durch den Körper und mit dem Körper.
Eine weitere Aussage von Moshé Feldenkrais ist die bezüglich der Freiheit. Freiheit bezüglich der Bewegungen. Bewegungen, die durch den Körper in der Umwelt stattfinden. Sofern eine Person mindestens drei Möglichkeiten des Handelns besitzt, um eine Handlung zu vollbringen, sprechen wir von Freiheit. Handeln ist hier gleichzusetzen mit Bewegen. Nur eine Möglichkeit zu haben, wäre eine Zwangslage. Bei zwei Möglichkeiten sprechen wir von einem Dilemma. Erst ab drei Möglichkeiten sprechen wir von echter Wahl. Ich frage dich, wie viele Möglichkeiten hast du vom Boden aufzustehen, eine, zwei oder drei?
Jetzt geht aus den wunderschön geschriebenen Zeilen von Genazino hervor, das der Protagonist Sprache mit den Bildern und den damit einhergehenden Empfindungen verbindet. Diese sind es, die ihn aus dem reinem Nicht-Handeln herausziehen, hinein in einem Akt des Wahrnehmens, hin zum Festhalten durch die Sprache. Die Tristesse des Alltags kann dahinziehen, denn alle Sinne sind dabei, sich des bloßen Zeitvergehens zu entziehen. Genau dadurch entsteht ein Raum von Möglichkeiten, nicht nur zwei oder drei, sondern unzählige. Ein schöpferischer Raum. Diese unzähligen Möglichkeiten haben auch etwas mit Sprache zu tun. Sprache in diesem Sinne kann als Medium zur Selbstfindung verstanden werden, in Verbindung mit Empfindung und Wahrnehmung.
Sprache, wie auch Bewegung, wie auch Psychotherapie, sowie auch Feldenkrais sind Wege. Viele Wege zu haben, diese zu gehen, ermöglichen eine interessante Reise, wohin auch immer, vielleicht zur Selbstfindung und schließlich zum gelebten Leben.
Auch für dich, eine interessante Reise.
Literatur
- Genazino, Wilhelm (2014). Leise singende Frauen. München: DTV