Chronische Schmerzen sind unheilbar. Davon geht man aus. Stop! Davon ging man aus. Alan Gordon, Howard Schubiner und Alon Ziv sehen dies ein wenig anders. Häufig versagen medizinische Behandlungen bei chronischen Schmerzzuständen. Alan Gordon (2022), Psychotherapeut und Gründer des Pain Psychology Center in Los Angeles, hat dazu ein sehr interessantes Buch geschrieben. In diesem Buch stellt er die Pain Reprocessing Therapy (PRT) dar. Eine Therapieform gegen chronische Schmerzen. Darum soll es in diesem Artikel gehen.

Physisch und hypnotisch sind im Gehirn gleich

Schmerz involviert immer den Körper und das Gehirn. Der Körper schickt Signale und das Gehirn interpretiert und reagiert, legt sozusagen einen Schalter um. Doch manchmal hängt dieser Schalter und der Schmerz bleibt, chronifiziert sich. Chronischer Schmerz ohne körperliche Ursachen bzw. mit verheilten körperlichen Ursachen, d.h. die Verletzung ist vorüber, die Struktur ist heil, doch der Schmerz ist noch da, wird neuroplastischer Schmerz genannt. Derbyshire und Kollegen (2004) fanden folgendes in ihrer Studie mittels fMRT heraus. Einer Gruppe wurde physischer Schmerz durch 48 Grad Celsius heißes Wasser zugeführt, im Anschluss wurde der Gruppe Schmerz über Hypnose zugeführt. Es konnte gezeigt werden, dass bei beiden Durchgängen ähnliche Aktivierungsmuster im Gehirn erzeugt wurden.

Daraus lässt sich folgendes lernen: Schmerz ist immer real. Schmerz wird im Gehirn verarbeitet, egal wodurch er ausgelöst wurde.

Vorhersehbarkeit

2012 machten Baliki und Kollegen einen interessanten Versuch. Sie versuchten vorherzusagen, wer von den Rückenschmerzpatienten nach einer anfänglichen Schmerzepisode, chronische Schmerzen entwickeln würde. Sie lagen mit ihren Prognosen zu 85 % richtig. Das interessante daran ist allerdings: Weder wurden Röntgenbilder, MRT Scans oder Rückenuntersuchungen gemacht. Es wurde lediglich das Gehirn untersucht und zwar im Bezug auf Konnektivität zwischen spezifischen Arealen. Dies gab ihnen die Information, welcher Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit chronische Schmerzen entwickeln würde. 

Das ist wirklich spannend. Es braucht anscheinend keine Untersuchung des Körpers, um festzustellen, ob jemand Schmerz erleben wird oder eben nicht. Es reicht zu wissen, welche Areale im Gehirn mitverantwortlich für die Schmerzentstehung sind, bzw. für die Chronifizierung.

Kein Glaube versetzt Berge und auch Schmerzen

Was hat Glauben mit Schmerzen zu tun? Du weißt, was ein Schleudertrauma ist. Gehe mal davon aus, du sitzt im Auto, von hinten kommt jemand und fährt dir in den Kofferraum. Es kommt zu einem Schleudertrauma. Dies kann zu Schmerzen im Nacken und Kopf führen und dies verschwindet meist nach einer Zeit der Erholung wieder. Manchmal ist es aber nicht so, d.h. das Schleudertrauma ist schon vorbei, die Schmerzen noch da. In Litauen ist dies nicht so. Das Schleudertrauma Syndrom, wie es in anderen Ländern besteht, existiert dort nicht. Nach einem Jahr gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Unfallopfern und der Kontrollgruppe hinsichtlich Häufigkeit und Intensität dieser Symptome (Obelieniene et al., 1999). Die Erklärung hierfür ist spannend. Es gibt letztlich keine Idee bzw. keine spezifische Sichtweise über die Aufeinanderfolge von Ereignissen von chronischen Schmerz bei Auffahrunfällen. Das bedeutet, die Unfallopfer dachten nicht darüber nach, ob es jetzt einen Tag oder mehrere Monate dauerte, bis der Schmerz weggeht. Sie hatten einfach nicht den gleichen Glaubenssatz in ihrer soziokulturellen Umgebung.

Das Forscherteam um Castro et al. (2001) führten dazu ein Experiment durch. Eine Person sitzt im vorderen Auto. Ein weiteres fährt hinten in den Kofferraum. Ziemlich verrückt, oder? Nur das es gar kein zweites Auto gab. Der Aufprall des fiktiven zweiten Autos, von dem die Teilnehmer nichts wussten, wurde simuliert. Es wurden Glasscherben verteilt, das Auto wurde durchgeschüttelt durch vorher angebrachte Zug- und Druckmechanismen und die Geräusche durch zerplatzende Glasflaschen hergestellt. Ungefähr 20 % der Probanden, die dem Placebo ausgesetzt waren, weisen bei Auffahrunfällen mit niedriger Geschwindigkeit auf das Schleudertrauma hin, obwohl kein biochemisches Verletzungspotenzial besteht.

Zum einen gibt es zwar einen Unfall, aber kein dazugehöriges kulturelles Glaubenssystem, was darin resultiert, dass die chronischen Schmerzen erst gar nicht entstehen. Zum anderen gibt es keinen wirklichen Unfall, aber ein dazugehöriges Glaubenssystem, was für manche Teilnehmer darin resultiert, chronische Schmerze auszubilden.

Bis hierher können wir folgendes festhalten. Schmerz ist etwas gutes. Es ist ein Gefahrensignal und somit überlebensnotwendig. Neuroplastischer Schmerz zählt nicht dazu. Es gleicht eher einer Fehlinterpretation der körperlichen Signale als gefährlich. Wo kommt denn jetzt diese Fehlinterpretation her? Womöglich durch ein Gefühl namens Angst.

Angst als Benzin auf dem Grill

Angst ist auf der einen Seite sehr nützlich. Angst hilft uns dabei in Sicherheit zu bleiben, sobald wir eine Gefahr entdecken. Angst schärft demzufolge die Sinne. Angst kann aber auch anders, nämlich die Schmerzsignale verstärken. Sie tut dies laut Gordon mit drei Gewohnheiten. Menschen, die sich ständig sorgen, um was auch immer, sorgen damit für einen hohen Alarmzustand des Gehirns. Menschen, die versuchen perfekt zu sein und somit sehr viel Druck aufbauen, eigentlich nur noch unter Druck funktionieren, sorgen auch für einen hohen Alarmzustand des Gehirns. Zudem zählt Selbstkritik auch zu den Gewohnheiten, einen hohen Alarmzustand des Gehirns herzustellen. 

Der Punkt mit diesen Gewohnheiten ist folgender: Sie kommen nicht über Nacht, haben eine lange Geschichte, was es umso schwieriger macht, wahre Ursachen herauszufinden. Was sich allerdings über Schmerz und Angst sagen lässt, ist, sie gehen eine Verbindung ein. Dies nennen wir Feedback oder Rückmeldeschleife. Dieses Feedback ist äußerst effizient. Zuerst mag ein Schmerz gewesen sein, welcher Angst auslöst. Diese Angst schafft einen hohen Alarmzustand im Gehirn und verursacht somit noch mehr Schmerz. Mehr Schmerz führt zu mehr Angst. Mehr Angst führt wiederum zu mehr Schmerz. Jetzt muss es nicht nur Angst sein. Es könnte auch Ärger, Stress, Verzweiflung, Frustration, etc. sein. Das hört sich ja fatal an. Was nun?

Perspektivenwechsel

Ich habe da so meinen Spruch: Wechsel die Brille und du brauchst keine Pille. Er hat mir persönlich öfters geholfen. Die Brille zu wechseln ist aber nicht immer ganz einfach. Nicht einfach deshalb, da manche Menschen darauf bestehen, eine körperliche Ursache für die Schmerzen zu finden. Ich kenne dieses Verhalten gut, ich saß diesem Verhalten auch mal auf. Es hat mich leider nicht weitergebracht. In einer Studie konnte sogar gezeigt werden, dass Menschen mit einem hohen Wert beim Fragebogen zum Thema “der Schmerz in meinem Körper sagt mir, dass da etwas falsch ist” eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, chronische Schmerzen zu entwickeln. (Swinkels-Meewisse et al., 2006). Vielleicht sind es die Bandscheiben, oder eine Entzündung, oder Vitaminmangel, oder oder oder. Das wäre die alte Brille. Die neue Brille wäre: Mein Gehirn macht gerade Fehler, aber mein Körper, dem geht es gut. Vielleicht hilft dies und der Schmerz ist weg, für immer. Laut Gordon gibt es drei Barrieren, welche ein wenig näher betrachtet werden möchten. Evolutionär betrachtet sind wir so nervlich vernetzt, dass wir bei Schmerz eine körperliche Ursache annehmen, vor der wir uns schützen müssen. Wie komme ich da raus? Indem ich mir bewusst werde, dass es ein falscher Alarm war. 

Eine weitere Barriere wäre konditioniertes Lernen, d.h. es besteht eine Assoziation zwischen dem Schmerz und einer spezifischen Aktivität oder Position. Ich hatte z.B. sehr lange Schmerzen, sobald ich mich nach vorne bückte, insbesondere beim Gang zum WC. Allein die Tatsache, den Klodeckel zu öffnen, verursachte enorm Schmerzen. Ich musste mich dafür nach vorne beugen, was mit Angst einherging und einem Gedanken, “es kann schon alleine der Bleistift sein, welchen ich aufhebe, welcher mir Schmerzen verursacht”. Damals kannte ich dieses Buch noch nicht. Es ist jetzt auch schon weit über 10 Jahre her. Ich wusste von meinen strukturellen Problemen, welchen ich eine gewisse Zeit für eine Heilung gab. Die Schmerzen schienen davon allerdings nicht wegzugehen. Wie komme ich jetzt da raus? Laut Gordon ist die Antwort, Umlernen. Für mich war damals die Antwort, Feldenkrais. Und, sie ist es immer noch!

Eine letzte Barriere sind medizinische Diagnosen und zwar nach dem biomedizinischen Modell, welches eher Symptome behandelt und von einem einzigen strukturellen Grund ausgeht. Hier würde ich hinzufügen, es mag bestimmt auch andere Ärzte geben. Ich kenne jedenfalls welche, was allerdings die Behauptung von Gordon nicht widerlegt. Das Problem bei diesem Vorgehen ist die Verstärkung der Idee, mit dem Körper sei etwas nicht in Ordnung, was bei neuroplastischen Schmerz ja nicht der Fall ist. 

Der Brillenwechsel für diese Barrieren könnte darin bestehen, Beweise zu finden und zwar genau für den besonderen Fall, sobald der Schmerz seine normalen Reaktionsmuster verlässt. Diese Beweise helfen uns dabei zu glauben, der Schmerz komme nicht vom Körper, sondern von einer Fehlsteuerung des Gehirns. Mögliche Beweise wären:

  • Der Schmerz kam aus dem Nichts, bzw. der Schmerz verschwindet einfach so.
  • Der Schmerz erschien zu Zeiten starker Stressbelastung.
  • Es gibt Symptome in verschiedenen Stellen in meinem Körper.
  • Der Schmerz startet in beiden Gliedmaßen zur gleichen Zeit, z.B. Handgelenke.

Wie geht es jetzt weiter? Nach einem Perspektivenwechsel, wäre es sinnvoll das Gehirn auf eine neue Spur zu bringen, d.h. neue Assoziationen herzustellen. Diese Reinterpretation wird Somatic Tracking genannt.

Somatic Tracking

Es sind genau drei Schritte, welche dafür notwendig sind. Der erste Schritt wäre Achtsamkeit, d.h. in der Gegenwart sein, ohne Ziele, ohne Bewertungen mit voller Aufmerksamkeit auf den jetzigen Moment gerichtet. In anderen Worten geht es darum, den Schmerz zu beobachten und zwar ohne Angst. Hier kommen für mich zwei Dinge zusammen. Zum einen die Haltung der Achtsamkeit aus meiner Arbeit als Mind-Body-Medizin-Therapeut und zum anderen die Untersuchung bzw. Beobachtung körperlicher Zustände aus der polyvagalen Arbeit. In der Polyvagal Arbeit unterscheiden wir Körper 1 und Körper 2. Körper 1 wären die körperlichen Signale, z.B. Druck, Unwohlsein, welche sich auf Körper 2 auswirken, z.B. Entstehung von einem Gefühl wie Angst, Wut. In einer Studie von 2016 konnte gezeigt werden, dass alleine der achtsame Fokus auf die Atmung Aktivitäten in der Amygdala und dem präfrontalen Kortex regulieren konnte (Doll et al., 2016). Und diese Regulation durch Atmung unterbricht sodann auch die Angstkreisläufe. Werden die Angstkreisläufe besser reguliert, so können auch die Assoziationen zwischen Schmerz und Angst verstört werden (Khoo et al., 2019).

Der zweite Schritt besteht darin, dem Gehirn mitzuteilen, dass alles in Ordnung ist. Sloan & Telch (2002) konnten zeigen, dass Mitteilungen der Neubewertungen von Sicherheit die Angst reduzieren kann. Je mehr Beweise ich sammle, desto valider werden diese Mitteilungen und desto mehr hinterlassen sie ihre Wirkung und reduzieren nachträglich die Angst. 

Als dritten Schritt bezieht sich Gordon auf die Forschung des positiven Affekts. Sobald Menschen in Kontakt kommen mit witzigen Bildern, lustigen Videos oder unterhaltsamer Musik zeigt dies Auswirkungen auf deren Affekt und zwar im positiven Sinne. Dieser positive Affekt kann dabei helfen die Angst bezüglich des Schmerzes zu überwinden (Geschwind et al., 2015). Diese drei Schritte dienen einem Ziel: Reduktion von Gefahr und Herstellung eines Gefühls von Sicherheit. Ich könnte jetzt sagen, das ist ja ähnlich der Übungen aus der Polyvagal Theorie. Beim Somatic Tracking gibt es zwei Sachen zu beachten. 

Somatic Tracking Umsetzungshilfen

Manchmal ist es jedoch schwer bis unmöglich, gerade wenn ein Mensch in einem äußerst schmerzhaften Zustand ist, mit Leichtigkeit, Spiel und Spaß an die Sache ranzugehen. Somatic Tracking greift dann, wenn der Schmerz nicht gerade lebensbedrohlich ist. Dafür ist es notwendig die Intensität des Schmerzes ein wenig zu reduzieren. Jetzt kann der Blick auf den Schmerz vielleicht schon voll ausreichen. Ich könnte den Schmerz mit Neugierde betrachten, so wie ich Kindern beim Spielen zusehe, oder wie ich den Sonnenuntergang beobachte und staune.

“Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen; und wenn ihn das Urphänomen in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es ihm nicht gewähren, und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen; hier ist die Grenze.” (Goethe, 1994)

Überdies kann es sehr dabei helfen, nicht permanent auf das Ziel zu schielen. Dies erinnert mich an einen Spruch, welchen mir ein Freund zum Geburtstag schenkte. Ich dürfte 18 gewesen sein.

“Wer nicht strebt, erreicht” Horst Lange

In diesem Satz steckt so viel. Er hat Ähnlichkeiten mit dem Satz, der Weg ist das Ziel. Genau das meint Gordon mit outcome independence. Ein Mensch hat Schmerz, tut alles um diesen loszuwerden. Er tut alles mit nur einem Ziel und auf dieses Ziel ist er fokussiert. So sehr fokussiert, dass alleine dadurch ein enormer Stress entsteht, ein Alarmzustand. Ich denke, es dürfte klar sein, dass diese Strategie nicht funktioniert. In den Prozess einzutauchen, mit Neugierde und Anfängergeist, scheint mir da eine wesentlich bessere Alternative, um die Überaktivierung zu regulieren und um somit sich ganz dem Somatic Tracking hinzugeben.

Sich dem Schmerz exponieren oder in die Vermeidung gehen

Um die Angst des neuroplastischen Schmerzes hinter sich zu lassen, ist es notwendig, sich dieser Angst auszusetzen. Das bedeutet nicht, bei Höhenangst in den 32. Stock eines Gebäudes auf dem Rande eines Daches zu stehen, um sich zu beweisen, das eventuell alles gut wird. Das Wichtigste beim Exponieren ist das Gefühl von Sicherheit. Nur dann kann eine korrigierende Erfahrung stattfinden. Und viele von diesen korrigierenden Erfahrungen kumulieren und widerlegen letztlich die Fehlinformation Schmerz und vermitteln, dass alles in Ordnung ist. 

Vermeidung wird ja meist negativ konnotiert. Hier, in der PRT allerdings nicht. Manchmal ist der Schmerz einfach zu groß, so dass eine korrektive Erfahrung schwer möglich ist. Hier lässt sich, wie vorher erwähnt, zum einen die Intensität herausnehmen oder den Fokus weiterhin auf den Prozess halten. Oder in die Vermeidung zu gehen, allerdings nicht ohne liebevolle Worte. Was könnte das sein? “Mein Gehirn denkt, da wäre Gefahr, aber dies ist ein falscher Alarm”. “Mein Körper ist ok und ich bin es auch”. Wichtig dabei ist nicht, dass es gesagt wird, sondern wie. Die Haltung hinter diesen Aussagen entscheidet (Roditi et al., 2009). Es geht weiter…

Normal oder drüber?

Wir lebe in aufregenden Zeiten. Es tut sich viel. Jedes Jahr, jedes Jahrzehnt, aber auch jeden Tag, im Leben vieler Menschen. Manche von ihnen sind einfach nur drüber, d.h. ihr Nervensystem ist nicht mehr im Toleranzfenster. Sie sind entweder untererregt oder übererregt. Diese Übererregung des Nervensystems braucht Regulation, definitiv. Wir werden ja täglich bombardiert, ja du liest richtig, bombardiert mit Informationen. Das ist das eine. Was wäre hier zu tun? Mir fällt das Dopaminfasten ein. Lese hier gerne mehr dazu. Das andere ist, wir suchen auch aktiv nach Informationen, wir setzen uns selbst diesen immensen Stress aus, ohne es vordergründig wahrzunehmen. Das liegt daran, dass es gefährliche Stimuli einfach leichter haben, unsere Aufmerksamkeit zu bekommen (de Oma & Black, 2013). Das Ding hiermit ist, unsere Gehirn ist einfach nicht dafür gemacht. Unser Gehirn kommt eben immer noch aus der Steinzeit. 

Erinnerst du dich an die Rattenexperimente von B. F. Skinner? Kurz und knapp war es so: Ratten sitzen in einem Käfig, betätigen einen Hebel, bekommen dafür einen leckeren Snack. Die Verbindung von Hebel und Snack lässt das Dopaminsystem der Ratten aufleuchten. So entstehen Gewohnheiten. Viele Dinge der modernen Welt funktionieren ähnlich, z.B. unser Smartphone. Gehen wir mal davon aus, das Telefon liegt nicht in Sichtweise und es summt. Jetzt passiert folgendes: Das Gehirn setzt Dopamin und Cortisol frei. Cortisol hält uns dabei in einem hohen Alarmzustand. Dopamin schafft Gewohnheiten. Ich könnte statt dem Wort Gewohnheiten auch das Wort Sucht nehmen. Die Frage hier wäre, wie könnte ich moderne Technologie nutzen, so dass diese nicht zu meinem Nachteil wird.

Jetzt kann es aber auch der Fall, dass die heutige Unvorhersehbarkeit fast noch schlimmer ist als Dinge, über die wir uns aufregen bzw. sorgen. Dazu führten Wissenschaftler einen Test durch. Teilnehmer der Studie spielten einen Videospiel, in dem sie Steine umdrehten. Manchmal befand sich eine Schlange unter dem Stein, manchmal nicht. Wenn eine Schlange unter dem Stein war, bekamen sie einen milden Elektroschock. Manchmal wussten die Teilnehmer von der Schlange und dem darauffolgenden Schock. Ihr Stresslevel ging hoch. Das Spannende ist allerdings: Ihr Stresslevel ging noch weiter hoch, als sie es nicht wussten, bzw. sich nicht sicher waren. In anderen Worten bedeutet dies. Zu wissen, dass etwas schlimmes passiert ist weniger schlimm, als mit der Ungewissheit umzugehen, dass es passieren könnte oder auch nicht. Wir scheinen ganz klar ein stark ausgeprägtes Sicherheitssystem zu haben. Laut Gordon hilft hier, sich bewusst zu machen, dass etwas der Fall sein kann oder auch nicht, und beides ist in Ordnung.

Wir leben also in aufregenden Zeiten. Ok, das ist so. Eigentlich will ich mich doch nur gut fühlen. Wie geht das denn jetzt?

Sich einfach nur gut fühlen oder gut darin werden, sich gut zu fühlen

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich sehr negativ unterwegs war, vor allem kognitiv, aber auch emotional. Alles war schlecht, die Welt, das Leben, das System. Ich wusste an allem etwas auszusetzen. Hat es mich weitergebracht? Na ja, das war eine rhetorische Frage. Negative Haltungen, Gedanken und die dazugehörigen Emotionen verstärken die Assoziationen im Gehirn. In andere Worten, werden wir dadurch immer besser in der Entwicklung von Angst. Das Gegenteil ist aber auch wahr, so fanden Finan und Garland (2015) heraus, dass positiver Affekt experimentellen verursachten Schmerz sowie chronischen Schmerz reduzieren kann. Da kommt mir die Geschichte mit den beiden Wölfen. Welchen Wolf möchtest du füttern?

Wie füttere ich nun den guten Wolf? Ich könnte mir meiner Empfindungen bewusst werden und mich darüber freuen. Ich gebe Dir ein paar Beispiele:

  • morgens nach dem Aufwachen, die angenehme Wärme unter der Bettdecke voll auskosten.
  • morgens unter der Dusche, das warme Wasser auf meiner Haut spüren und was es mit mir macht.
  • morgens, 90 Minuten nach dem Aufstehen, den köstlichen Duft von Kaffee riechen und den Geschmack auf der Zunge zergehen lassen. Zudem wahrnehmen, welche neuen Räume energetischer Art entstehen (Ich gehe davon aus, du trinkst nicht mehr als 2-3 Tassen Kaffee am Tag)
  • morgens, den Stoff eines neu gewaschenen T-Shirts oder Hemds auf dem Körper spüren und dabei zum Fenster rausschauen hinein ins Grün und sich der Farbenvielfalt erfreuen.

Das waren ein paar Dinge und ich bin immer noch am Morgen. Hurley und Kwon (2012) untersuchten dies und fanden heraus, dass der Fokus auf den Körper, das ganze erleichtert. Savoring ist ein Wort aus der positiven Psychologie und bedeutet so viel wie das bewusste Wahrnehmen und Auskosten der vorhandenen positiven Emotionen, welche durch gewisse Aktivitäten sowie Empfindungen entstehen. Was mache ich, wenn ich das nicht schaffe, bzw. wenn ich mir selbst dabei nicht glaube?

So tun als ob…

Jetzt könnte ich mir in einem Schmerzzustand einflüstern, dass alles ok ist, dass es ein Fehlalarm ist, dass die Welt ein sicherer Ort ist, dass auch ich in Ordnung bin, usw. Aber ich glaube es nun mal nicht. Es bleibt eine leere Worthülse. Was nun? Die Frage, die ich mir immer wieder stelle und jetzt auch dir, ist, wie redest du mit dir, und zwar täglich?

In einer Untersuchung zum Selbstgespräch wurde junge Tennisspieler in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe wurde im positiven Selbstgespräch unterrichtet, die Kontrollgruppe nicht. Es konnte festgestellt werden, dass positive Selbstgespräche die Selbstwirksamkeit und auch die sportliche Leistung verbessere (Hatzigeorgiadis et al., 2008). 

Am Ende angekommen

Ein, in der Tat, tolles Buch. Eine tolle Therapieform zur Regulation von Gefahr/Schmerz und Sicherheit. Ein Umlernprozess für das Gehirn gegen die Konditionierung abträglicher Assoziationen. 

Literatur:

  • Baliki, M. N., Petre, B., Torbey, S., Herrmann, K. M., Huang, L., Schnitzer, T. J., Fields, H. L., & Apkarian, A. V. (2012). Corticostriatal functional connectivity predicts transition to chronic back pain. Nature neuroscience, 15(8), 1117–1119. https://doi.org/10.1038/nn.3153
  • Castro, W. H., Meyer, S. J., Becke, M. E., Nentwig, C. G., Hein, M. F., Ercan, B. I., Thomann, S., Wessels, U., & Du Chesne, A. E. (2001). No stress--no whiplash? Prevalence of "whiplash" symptoms following exposure to a placebo rear-end collision. International journal of legal medicine, 114(6), 316–322. https://doi.org/10.1007/s004140000193
  • de Berker, A. O., Rutledge, R. B., Mathys, C., Marshall, L., Cross, G. F., Dolan, R. J., & Bestmann, S. (2016). Computations of uncertainty mediate acute stress responses in humans. Nature communications, 7, 10996. https://doi.org/10.1038/ncomms10996
  • de Oca, B. M., & Black, A. A. (2013). Bullets versus burgers: is it threat or relevance that captures attention?. The American journal of psychology, 126(3), 287–300. https://doi.org/10.5406/amerjpsyc.126.3.0287
  • Derbyshire, S. W., Whalley, M. G., Stenger, V. A., & Oakley, D. A. (2004). Cerebral activation during hypnotically induced and imagined pain. NeuroImage, 23(1), 392–401. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2004.04.033
  • Doll, A., Hölzel, B. K., Mulej Bratec, S., Boucard, C. C., Xie, X., Wohlschläger, A. M., & Sorg, C. (2016). Mindful attention to breath regulates emotions via increased amygdala-prefrontal cortex connectivity. NeuroImage, 134, 305–313. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2016.03.041 
  • Finan, P. H., & Garland, E. L. (2015). The role of positive affect in pain and its treatment. The Clinical journal of pain, 31(2), 177–187. https://doi.org/10.1097/AJP.0000000000000092
  • Geschwind, N., Meulders, M., Peters, M. L., Vlaeyen, J. W., & Meulders, A. (2015). Can experimentally induced positive affect attenuate generalization of fear of movement-related pain?. The journal of pain, 16(3), 258–269. https://doi.org/10.1016/j.jpain.2014.12.003 
  • Goethe, Johann Wolfang (1994). Goethes Werke Band XII. Schriften zur Kunst. Schriften zur Literatur. Maximen und Reflexionen. München: C.H. Beck
  • Gordon, Alan & Ziv, Alon (2022). The way out. A revolutionary, scientifically proven approach to healing chronic pain. New York: Penguin Random House
  • Hatzigeorgiadis, Antonis & Nikos, Comoutos Former Zourbanos & Goltsios, & Theodorakis, Yannis. (2008). Investigating the Functions of Self-Talk: The Effects of Motivational Self-Talk on Self-Efficacy and Performance in Young Tennis Players. Sport Psychologist. 22. 10.1123/tsp.22.4.458. 
  • Hurley, D. B., & Kwon, P. (2012). Results of a study to increase savoring the moment: Differential impact on positive and negative outcomes. Journal of Happiness Studies: An Interdisciplinary Forum on Subjective Well-Being, 13(4), 579–588. https://doi.org/10.1007/s10902-011-9280-8
  • Khoo, E. L., Small, R., Cheng, W., Hatchard, T., Glynn, B., Rice, D. B., Skidmore, B., Kenny, S., Hutton, B., & Poulin, P. A. (2019). Comparative evaluation of group-based mindfulness-based stress reduction and cognitive behavioural therapy for the treatment and management of chronic pain: A systematic review and network meta-analysis. Evidence-based mental health, 22(1), 26–35. https://doi.org/10.1136/ebmental-2018-300062
  • Obelieniene, D., Schrader, H., Bovim, G., Miseviciene, I., & Sand, T. (1999). Pain after whiplash: a prospective controlled inception cohort study. Journal of neurology, neurosurgery, and psychiatry, 66(3), 279–283. https://doi.org/10.1136/jnnp.66.3.279 
  • Roditi, D., Robinson, M. E., & Litwins, N. (2009). Effects of coping statements on experimental pain in chronic pain patients. Journal of pain research, 2, 109–116. https://doi.org/10.2147/jpr.s6357
  • Sloan, T., & Telch, M. J. (2002). The effects of safety-seeking behavior and guided threat reappraisal on fear reduction during exposure: an experimental investigation. Behaviour research and therapy, 40(3), 235–251. https://doi.org/10.1016/s0005-7967(01)00007-9
  • Swinkels-Meewisse, I. E., Roelofs, J., Schouten, E. G., Verbeek, A. L., Oostendorp, R. A., & Vlaeyen, J. W. (2006). Fear of movement/(re)injury predicting chronic disabling low back pain: a prospective inception cohort study. Spine, 31(6), 658–664. https://doi.org/10.1097/01.brs.0000203709.65384.9d

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