Dopamin-Fasten, derzeit ist dieser Begriff nicht nur von ein paar Auserwählten in Benutzung. Nicht zu wenig kursiert der Begriff gerade in den Medien. Ich muss gerade schmunzeln, gerade da, in den Medien, den sozialen Medien, welche ja auch im Dopamin-Fasten inbegriffen sind. Konkret heißt es, auf alles verzichten, was Spaß macht. Das müsste man noch ein wenig korrigieren. Manche Dinge machen Spaß, manche aber auch nur vordergründig. Vordergründig ok, hintergründig und langfristig eher nachteilig. Jetzt ist es so, wenn man über Dopamin spricht, könnte man im gleichem Atemzug auch über Sucht sprechen. 2021 ist dazu ein sehr interessantes Buch herausgekommen von Anna Lembke, Professorin, Psychiaterin und Spezialistin für Suchtmechanismen. Ich habe es mit großen Interesse verschlungen und möchte hier, wenn möglich, einen kurzen Abriss dazu geben. Ich schreibe diesen Artikel mit Fragen und Antworten.

Was ist eigentlich Sucht?

Sucht ist der kontinuierliche und zwanghafte Konsum von Substanzen und/oder Verhalten trotz dem Wissen der Selbst- u. Fremdverletzung. Der selbstlaufende Konsum an sich ist schon die Droge bzw. die Sucht. Sucht ist interindividuell unterschiedlich (eine Person mag Cannabis, die nächste Alkohol, die nächste ist handysüchtig, die nächste süchtig nach romantischen Fantasien) und intraindividuell dynamisch (was eine Person heute süchtig macht, muss nicht in 5 Jahren noch so sein).

Was sind die Risikofaktoren eine Sucht zu entwickeln?

Da wäre einmal die Verfügbarkeit. Die Welt unterliegt gerade einer Transformation: von Knappheit zu Überfluss. Das Problem damit ist die unmittelbare Befriedigung, d.h. wir müssen immer überall alles gleich haben. Die Knappheit besteht nicht wirklich materiell, sondern eher kognitiv. Es ist ein Gedanke, der sich in ein Suchen verwandelt. Wir leben in einer Überflussgesellschaft. Hier ist die Rede von Nordamerika und auch Europa. Es ist mehr da als zum Überleben notwendig. Dieser Überfluss erzeugt Langeweile. Langeweile wäre ein weiterer Faktor. Langeweile motiviert, sich der unverzüglichen Befriedigung hinzugeben. Doch die Langeweile könnte uns auch dazu zwingen, uns mit uns selbst, der Welt und dem Leben auseinanderzusetzen. Zu viel Freizeit und damit verbunden, eventuell keine Ideen, was in dieser Freizeit sinnvolles anzustellen sei. Ich erinnere mich gerade an die Worte von Gerald Bronner (2022), welcher behauptet, wir würden auf Gefahr laufen, weil wir in unserer Freizeit den Verlockungen der digitalen Welt unterliegen, welche es gewieft schafft unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das ist in der Tat ein Problem, denn unsere Aufmerksamkeit ist ein sehr begrenztes Medium.

Die Verfügbarkeit und die Langeweile sind demnach Kennzeichen unseres limbischen Kapitalismus. Darüber hinaus gibt es auch noch Vererbung, Erziehung, kritisches Lebensereignisse, welche auch zu den Risikofaktoren gehören. Ein weiteres Problem, welches durch diesen Hedonismus entsteht, sind Anhedonie, Angst, Irritierbarkeit, Schlaflosigkeit, Dysphorie. Ich denke es erübrigt sich zu fragen, wer darauf nicht gerne verzichten würde?

Was hat Sucht mit Dopamin zu tun?

Je mehr Dopamin im Belohnungszyklus des Gehirns (ventrales tegmentales Areal, Nucleus Accumbens, präfrontaler Cortex) desto süchtigmachender ist die Erfahrung und je mehr Dopamin eine Droge auslöst, desto süchtigmachender ist diese. Hier gibt es eine wichtige Differenzierung: Dopamin ist für das Wanting / Craving zuständig, aber nicht für das Liking. Craving einfach erklärt, wäre das Gleichgewicht von Lust und Schmerz. Dieses Gleichgewicht ist auf die schmerzvolle Seite gekippt. Craving ist ein Defizit, das dazu führt die Substanz bzw. das Verhalten aufzusuchen. Die Erwartung, die damit verknüpft ist, führt bei Erreichen zu einer starken Erhöhung über die Baseline (Baseline ist so eine Art Grundniveau) der Dopaminkonzentration, bei Nichterreichung zu einem starken Sinken unter Baseline. In anderen Worten, eine Erwartung die nicht eintritt ist schlimmer als keine Erwartung.

Was passiert wenn es schief läuft mit dem Dopamin?

Es entsteht ein Dopamin Defizit Zustand, d.h. andauernder hoher Konsum von Dopamin Substanzen/bzw. Erfahrungen/Verhalten erzeugt ein Defizit. Und dann fühlen sich natürliche Belohnungen nicht mehr gut an.

Was hat dieser Dopamin Defizit Zustand mit Gleichgewicht zu tun?

Lust und Schmerz sind Gegensätze. Es braucht eine Homöostase, ein Gleichgewicht. Lust ist wichtig, denn ohne würden wir nicht essen oder uns reproduzieren. Schmerz ist genauso wichtig, denn ohne würden wir uns nicht vor Verletzung oder Bedrohung schützen. Gibt es ein Zuviel an Lust, kann sich dies ins Gegenteil umkehren, also Schmerz. Dies geht zurück auf die Opponent Process Theory (Solomon & Corbit, 1974). Vom Schmerz wegrennen macht ihn nur noch größer. Hier spricht Anna Lembke die anfängliche Phase der Abstinenz an, welche selbst Schmerz auslöst und nach ca. vier Wochen zu einer Linderung kommt.

Was macht die Attribution mit Lust und Schmerz?

Die Wahrnehmung was Lust und Schmerz ist, ist abhängig von der Zuschreibung. Zuschreibung bedeutet in der Psychologie Attribution. Hier gibt es folgendes zu beachten. Attribution kann als Ressource gesehen werden und ist somit selbstwertstärkend. Es geht aber auch anders. So wird beim Attributionsfehler die Ursache für das Entstehen von etwas auf die Person gelegt und äußere Faktoren werden vernachlässigt. Es kann aber auch dazu führen, Symptome wie Müdigkeit oder Erschöpfung einer Krankheit zuzuschreiben und nicht der Überstimulation, d.h. die Person macht immer weiter mit dem süchtigen Verhalten. Es findet sich dann bei dieser Person keine Motivation das Verhalten zu ändern. Zudem kann es auch eine Diagnosesucht auslösen. Was hier, bei der Attribution, drinstreckt, ist ein unglaubliches Potential. Ein Potential hin zur Verbesserung.

Was kennzeichnet Toleranz?

Eine wiederholte Exposition mit dem gleichen Stimulus erzeugt immer weniger Lust und immer mehr Schmerz, d.h. die Kreisläufe auf der einen Seite werden schwächer, auf der anderen Seite stärker. Dies führt zu einer Neuroadaptation, was mit der Opponent Process Theory erklärbar wäre. Also, Toleranz bedeutet, immer mehr von etwas mit immer weniger Wirkung.

Was sagt Anna Lembke dazu?

Sie bietet dazu eine Lösung an: Abstinenz, so dass sich die Balance wieder herstellen kann, und zwar durch Dopamin-Fasten. Gehen wir das mal am Beispiel Rauchen kurz durch.

D = Data = Ich besorge mir Details vom täglichen Konsum, z.B. wann, wo rauche ich wie viel?

O = Objective = Ich suche nach individuellen Gründen für den Konsum, z.B. immer wenn ich mich nach Belohnung sehne, rauche ich.

P = Problems = Ich analysiere Probleme, die damit verbunden sind, z.B. durch das Rauchen leiden meine emotionalen Regulationsstrategien.

A = Abstinence = Ich stelle mein Gleichgewicht wieder her. Zusätzlich lerne ich die Kausalität zu verstehen zwischen der Substanz/dem Verhalten und wie ich mich fühle. Es braucht vier Wochen Abstinenz, um aus dem Dopamin Defizit Zustand rauszukommen. Wenn Abstinenz nicht reicht, besteht noch ein weiteres Problem hinter der Sucht, was mit einer Therapie bearbeitet werden kann.

M = Mindfulness = Was genau macht mein Hirn ohne Bewertung? Für mich lebt es dann in einem Zustand von angenehmer Leere.

I = Insight = Zu welchen Einsichten gelange ich nach der Abstinenz? Rauchen bedeutet Abtauchen. Abtauchen bedeutet weniger mitbekommen, aber auch weniger Teilhabe. Keine Teilhabe fühlt sich nicht gut an. Somit ab jetzt Auftauchen.

N = next steps = Wie lauten die konkreten nächsten Schritte? Mindestens drei Möglichkeiten finden, welche die vorherige Belohnung ersetzen.

E = Experiment = Wie geht es weiter in der Welt da draußen? Die Welt dreht sich weiter und ich drehe mich mit ihr.

Was ist Self Binding?

Self Binding ist ein absichtsvolles und gewolltes Setzen von Grenzen zwischen uns und der Sucht (Substanz/Verhalten). Wichtig ist die Grenze des freien Willens zu akzeptieren und uns trotzdem an unser Ziel zu binden. Es gibt dazu mehrere Unterformen. Physisches Self Binding umfasst z.B. Medikation, aber auch Schließfächer, um Dinge wegzusperren, oder eine Operation bei Magenproblemen. Es gibt darüber noch das chronologische Self Binding. Hier könnte ich mich für bestimmte Tage, Wochen oder Monate, bzw. auch für eine bestimmte Zeit des Tages beschränken. Was hier passiert ist ein Belohnungsaufschub. Das spannende hierbei ist, je länger wir warten desto niedriger nehmen wir die Belohnung wahr. Und schließlich gibt es kategorisches Self Binding. Ich schaffe mir eine Unterteilung in Kategorien für Substanzen/Verhalten und Trigger. Dann gebe ich mir die Erlaubnis von gewissen Kategorien und die Nicht-Erlaubnis für andere.

Was verhält es sich mit Ehrlichkeit und Scham?

Radikale Ehrlichkeit produziert Bewusstheit über unsere Aktionen, schafft Intimität zu anderen, kreiert eine wahrhaftige Biographie. Soziale Scham durchbricht die Isolation durch Unterbrechung des Zykluses der Sucht.

Noch ein Wort zur Hormesis?

Hormesis bezeichnet das Phänomen, dass geringe Dosen toxischer Substanzen bzw. Noxen eine positive Wirkung auf den Organismus haben können. Jetzt könnte sich eine Person dem Schmerz in Intervallen aussetzen. Was hier passiert ist der Wechsel von Schmerz zu Lust, d.h. die Balance kippt und die Person ist wieder fähiger Lust wahrzunehmen. Beispiele dafür wären: eine kalte Dusche, Intervallfasten oder Fasten, Fitnesstraining, etc. Auch hier ist das Maß ausschlaggebend. Wir können auch süchtig nach Stress und Schmerz werden.

Was lerne ich nun daraus?

Erwartungen zu haben ist menschlich, keine Erwartungen haben grenzt an Idealismus. Dies differenziert zu betrachten, wäre ein erster wichtiger Schritt. Langeweile als Hinweis betrachten, um daraus eine Ressource entstehen zu lassen, d.h. mit mir, der Welt Kontakt aufnehmen und im Leben Fuß fassen. Selbstakzeptanz als die Person die ich bin und diese Akzeptanz auch auf andere Menschen erweitern. Die Neuroplastizität ist dabei auf meiner Seite, d.h. es gibt eine erfahrungsabhängige Plastizität. Diese Plastizität besagt, dass belohnende Erinnerungen im Langzeitgedächtnis inklusive deren assoziierten Hinweisreizen dopaminproduzierende Neuronen ändern. Es ist nur die Frage, worauf ich den Fokus lege. Am Anfang ist es harte Arbeit. Ehrlichkeit währt am Längsten. Morgens eine kalte Dusche nach der warmen Dusche und zweimal im Jahr Heilfasten.

Ich schließe mit den Worten von dem Psychoanalytiker Winnicott: Ein falsches Selbst kann zu Gefühlen von Leere führen, bzw. existentieller Leere und Isolation, d.h. ein Hoch auf Authentizität bzw. Selbstverwirklichung im Sinne von Abraham Maslow und Carl Rogers.

Literatur:

  • Bronner, Gérald (2022). Kognitive Apokalypse. Eine Pathologie der digitalen Gesellschaft. München: C.H. Beck
  • Lembke, Anna (2021). Dopamine Nation. London: Headline
  • Solomon, R. L., & Corbit, J. D. (1974). An opponent-process theory of motivation: I. Temporal dynamics of affect. Psychological Review, 81(2), 119–145. https://doi.org/10.1037/h0036128

Bilder:

  • Foto von Jhunelle Francis Sardido auf Unsplash