Byung-Chul Han schreibt gleich zu Beginn in seinem neuen Buch, “die Angst geht um wie ein Gespenst” (Han, 2024). Wir sind konfrontiert mit apokalyptischen Szenarien. Es scheint, als hätten diese Apokalypsen gerade Konjunktur. Angst sei auch ein beliebtes Herrschaftsmittel, denn es mache Menschen gehorsam und erpressbar. Und schließlich verschließe sie die Zugänge zu anderen Menschen. Doch so wie die Molluske nicht ohne Wasser leben kann, so kann auch der Mensch nicht ohne Menschen leben. Die Molluske vermag es 5 Stunden ohne Wasser schaffen, der Mensch vielleicht mehrere Monate ohne andere Menschen. Ob dies jetzt erstrebenswert ist, lasse ich hier mal offen. Denn was hier fehlt, ist Berührung.

Berührung ist wichtig, nicht nur für Neuankömmlinge

Das autonome Nervensystem, jenes welches über Herzschlag, Atmung und Verdauung wacht, ist mit der Geburt schon vorhanden, doch noch nicht bereit für die Herausforderungen des Lebens. Was hier noch fehlt, ist die Ummantelung der Nerven, speziell des Vagusnervs. Der Vagusnerv ist sehr wichtig für die Regulation von zwischenmenschlichen Beziehungen. Gerade in dieser anfänglichen Zeit spielt die Co-Regulation durch ein primäre Bezugsperson eine enorm wichtige Rolle. Non-Verbale Kommunikation, Stimmmodulation, beruhigende Berührung und Hautkontakt stellen wichtige Regulationsstrategien dar, um dem Neuankömmling Sicherheit zu vermitteln (Porges, 2011), um ihm ein Gefühl des Willkommenseins zu vermitteln. So schreibt auch Byung-Chul Han:

“Die digitale Kommunikation verschärft die Vereinzelung des Menschen. Soziale Medien bauen paradoxerweise das Soziale ab. Sie führen letztlich zur Erosion des sozialen Zusammenhaltes. Wir sind bestens vernetzt, ohne jedoch verbunden zu sein. Die Beziehung wird durch den Kontakt ersetzt. Es findet keine Berührung statt. So leben wir in einer berührungslosen Gesellschaft. Im Gegensatz zur Berührung stiftet der Kontakt keine Nähe. Die Beziehung zum Anderen verkümmert dort radikal, wo der Andere als Du zu einem Es, zu einem Objekt herabsinkt, das nur noch meine Bedürfnisse befriedigt oder mein Ego bestätigt.” (Han, 2024, S. 23)

Der Positivitätskult

400 Likes auf Facebook, 200 Follower auf Instagram, im Telefon sind 300 Kontakte gespeichert, es wird produziert, konsumiert und das immer schneller, immer weiter, immer besser. Es ist ja der Leistungsgesellschaft immanent, angefeuert durch Glaubenssätze wie, “von nichts kommt nichts”, “wer sich nicht anstrengt, soll auch nicht belohnt werden”. Zu verdanken haben wir dies unter anderem auch der Positiven Psychologie, nach der jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist, doch dieser “Positivitätskult vereinzelt die Menschen, macht sie egoistisch, baut die Empathie ab, weil die Menschen sich nicht mehr für das Leid Anderer interessieren” (Han, 2024, S. 18). Wir sind gut vernetzt, jedoch ohne Berührung. Düster! Was setzt Han nun dagegen? Die Hoffnung!

Optimismus versus Hoffnung

Hoffnung und Optimismus mögen ähnlich verortet werden, dennoch finden sich bei beiden Haltungen grundlegende Unterschiede. Dem Optimismus fehlt unter anderem jede Negativität, weswegen der Optimismus auch so gut zum Positivitätskult passt. Alles ist möglich, immer positiv bleiben, immer alles optimistisch sehen. Die Hoffnung dagegen ist dialektisch geprägt. Han benutzt hier ein schönes Bild. “Verzweiflung und Hoffnung verhalten sich zueinander wie Tal und Berg” (Han, 2024, S. 15). Ganz unten angekommen, entsteht eine Kraft, ein Hinhören, ein Suchen nach Halt und Richtung. Verzweiflung und Hoffnung bedingen sich einander. Es ist ein Spiel mit dem Unbekannten, mit dem noch Noch-Nicht-Seienden und hier wären wir bei einem weiteren Unterschied.

Für den Optimisten ist die Zeit geschlossen. Es gibt keine Überraschungen. Die Zukunft erscheint dem Optimisten immer verfügbar und formbar. Der Optimist und der Pessimist können sich da die Hände reichen, denn auch für den Pessimisten ist die Zukunft geschlossen, allerdings sieht dieser sich gefangen in der Zeit, sieht sich nicht mehr im Austausch mit der Welt. Beide sind sozusagen möglichkeitsblind. Die Hoffnung kann dabei helfen aus diesem Gefängnis der Zeit auszubrechen, denn sie sieht die Zukunft als Möglichkeitsraum, welcher gleichzeitig eine Unverfügbarkeit innewohnt, welche es gilt auszuhalten. Wahrhaft unglückliche Zeiten! Sind sie das wirklich, diese Zeiten, denn “unglückliche Zeiten sind gut zu überstehen, wenn Sinn in ihnen gesehen werden kann, daher ist Sinn wichtiger als Glück.” (Schmid, 2016, S. 58)

Trotzdem Ja sagen

Han zitiert Nietzsche, welcher die Hoffnung als ein Ja zum Leben deutet, als ein Trotzdem. Dieses Trotzdem kann im Handeln gesehen werden. Manches vermag im stillen Kämmerlein entdeckt werden. Heureka, die Erkenntnis leuchtete im Oberstübchen, doch nun, bleibt sie dort für immer. Glück entsteht auch durch Sinnhaftigkeit und Sinnhaftigkeit findet sich im Tun, daher ändere dein Tun und nicht deine Gedanken, denn “unser Tun bestimmt unser Sein, und unser Glück entwickelt sich aus unserer Aufmerksamkeit” (Dolan, 2014). Um den Bogen zu spannen, zurück zur Berührung, Berührung vermag Sinn durch die Sinnesempfindung herstellen.

“Menschen erfahren Sinn in Zusammenhängen, in die sie eingebettet sind. Bereits der Sinnlichkeit verdanken wir solche Zusammenhänge, ihr Sinnpotenzial wird oft gar nicht ausgeschöpft. Durch die Sinne hängen Menschen mit der Welt zusammen, in der sie leben, ohne Sinne würden sie in einem schwarzen Nichts versinken. Je reicher die Sinnlichkeit eines Menschen entwickelt ist, desto sinnerfüllter ist sein Leben. Das spricht für eine bewusste Pflege aller Sinne des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Berührens.” (Schmid, 2016, S. 58 f.)

In der Tat, eine bewusste Pflege! Das Wort Pflege beinhaltet für mich ein Hintergrundleuchten, welches ich als Menschlichkeit bezeichnen möchte. Mensch sein, menschlich sein, sich kümmern, um sich, um andere, mit sich, mit anderen zusammen. Diese Pflege der Sinnlichkeit schafft, bzw. kann Verbindung schaffen. Verbindung schafft Vertrauen. Vertrauen stärkt die Hoffnung vor der Ungewissheit der Zukunft. Vertrauen stärkt die Präsenz im Hier und Jetzt und baut somit schließlich Angst ab. Ein Miteinander darf entstehen. Wenn du möchtest, probiere gerne die folgend Übung aus. Du brauchst dazu einen anderen Menschen. 😉

Verbindung durch Sinnesempfindung

Vorab, Ablenkungen bei dieser Übung abzustellen, kann ich sehr empfehlen. Am Ende dieses Textes findest du die Audiolektion. Du kannst gleich zur Lektion springen, oder gerne vorab den Text lesen.

Position: Stellt euch gegenüber auf warmen Untergrund, barfuß oder mit Socken. Die Distanz zwischen euch ist soweit, dass sich eure Handinnenflächen berühren können und die Ellbogen leicht angewinkelt sind.

Atemwahrnehmung: Bevor ihr beginnt, schließt eure Augen und legt eure ganze Aufmerksamkeit auf eure Atmung. Legt gerne eine Hand auf die Brust und eine auf den Bauchraum. Atmet. Wo ereignet sich die Atmung? Mehr oben, mehr unten, nur oben, nur unten? Wie ereignet sie sich? Fühlt die Atmung sich gezwungen, erzwungen an, oder kommt und geht sie mit Leichtigkeit?

Bodenwahrnehmung: Dann richtet eure Aufmerksamkeit auf die Füße. Wo steht ihr, mehr vorne, mehr hinten, mehr auf dem linken oder rechten Fuß? Spielt ein wenig, findet einen Ort, der euch gefällt. Achtet weiterhin auf eure Atmung, atmet ihr noch, während ihr eure Füße wahrnehmt? Achtet auf die Knie, sind diese durchgedrückt oder entspannt? Findet eine euch entspannte leichte Position. Dann öffnet eure Augen.

Augenkontakt: Seht euch an. Seht diesen Menschen an. Ohne Bewertungen, ohne Schablone, ohne Muster, ohne irgendwelche Konzepte, versucht nur den Menschen vor euch zu spüren. Seht euch in die Augen und atmet. Achtet auch darauf, ob eventuell der Impuls entsteht, wegschauen zu wollen. Geht diesem Impuls nicht nach, seht euch weiter an. Wenn ihr möchtet lasst die Mundwinkel ein wenig nach oben wachsen, nur ein klein wenig und seht euch dabei an. 

Miteinander: Dann legt eure Hände aufeinander. Deine linke Handinnenfläche berührt die rechte des Gegenübers. Deine rechte Handinnenfläche berührt die linke des Gegenübers. Seht euch weiterhin an, atmet und spürt die Hände, den Hautkontakt. Was spürt ihr dort? Eine kalte Handinnenfläche, eine warme, trockene Haut, schwitzige Hände. Achtet mal darauf, vielleicht ändert sich irgendetwas. Vielleicht waren die Hände kalt und plötzlich werden sie warm. Könnte ja sein.

Spiel: Dann spielt ein wenig, in dem ihr mit den Händen drückt und nachlasst. Am besten fängt eine Person damit an, die andere Person lässt nach, dann drückt die andere Person und du lässt nach. Versucht bei diesem Spiel alle Anstrengung rauszunehmen. Macht dies mit Leichtigkeit. Achtet auf eure Spannung in den Armen. Leichtigkeit. Atmen, Augenkontakt. Hautkontakt. Ein leichtes Grinsen im Gesicht. Spielt ein wenig und lasst das Drücken und Nachlassen immer mehr entstehen, in einem offenen Raum von Möglichkeiten. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht.

Dankbarkeit: Nehmt die Hände wieder weg. Legt eine Hand auf den Bauch, eine auf die Brust. Seht euch an, in die Augen und sprecht folgenden Satz aus, “Danke du wunderbarer Mensch”, mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Sprecht den Satz leise und langsam aus. Wie atmet du jetzt? Wie ist der Kontakt zum Boden jetzt? Wie fühlst du dich jetzt? Vielleicht möchtest du dieses Gefühl mitnehmen, mit hinein in den Tag, in die Nacht, in was auch immer noch kommen mag. 

Viel Freude nun mit der Audiolektion! 🙂 mit einem ventralen Lächeln

Literatur:

  • Dolan, Paul (2014). Absichtlich glücklich. Wie unser Tun das Fühlen verändert. München: Pattloch Verlag
  • Han, Byung-Chul (2024). Der Geist der Hoffnung. Wider die Gesellschaft der Angst. Berlin: Ullstein Verlag
  • Porges, Stephen W. (2011). The Polyvagal Theory: Neurophysiological foundations of emotions, attachment, communication, and self-regulation. New York: W. W. Norton.
  • Schmid, Wilhelm (2016). Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers. Berlin: Suhrkamp

Bilder: