“In Verbindung sein”, davon handelt dieser Text im allgemeinen. Was bedeutet in Verbindung sein? Was ist der Fall wenn keine Verbindung vorhanden ist? Wie entsteht letztlich Verbindung? Davon handelt dieser Text im speziellen. Ich möchte diesen Text in einen Rahmen einbetten. Der Rahmen ist für mich als ein Drei-Schritt zu verstehen, aus dem Leiden über die Liebe ins Leben. Die Verbindung, worum sich also hier alles dreht, soll das Leiden über die Liebe transformieren.
Ein Mensch leidet, weil er nicht wirklich lebt, weil er nicht wirklich verbunden ist (Charf, 2020) und somit nicht auf seine innere Stimme hören kann (Schaffer, 1991). Auf die innere Stimme zu hören ist manchmal erschwert aufgrund einer systemischen Dysregulation unseres Nervensystems, Verzerrungen der Identität und Brüchen im Bindungsverhalten (Heller, 2012). Diese Gründe gehen zurück auf traumatische Erlebnisse, welche den Weg ebnen für vier Grundängste: Angst vor der Selbsthingabe, vor der Selbstwerdung, vor der Wandlung und vor der Notwendigkeit / bzw. Beständigkeit (Riemann, 1993). Nach Irvin Yalom (2003) leiden wir aufgrund von vier nicht beantworteten grundlegenden Themen, die alle Menschen teilen: die Unausweichlichkeit des Todes, was sich auch in der Terror Management Theorie wieder findet (Solomon et. al., 2016), die Freiheit mein Leben so zu gestalten wie ich will, die existentielle Isolation bzw. Einsamkeit (s.a. Cacioppo, 2008) und die Frage nach dem Sinn des Lebens (s.a. Frankl, 1990). Für Sylvester Walch (2011) besteht Leiden in noch nicht aufgelösten inneren Blockaden und einer Überidentifikation mit dem Ego, bzw. aus einer Überidentifikation mit dem Getrenntsein (Essen, 2016). Dies kann alles der Fall sein, wenn keine Verbindung besteht.
In meinen eigenen Worten: Ein Mensch lebt also nicht wirklich, weil er sich, das Leben und die Welt nicht wirklich liebt. Das Leiden im Leben ist also: Nicht Selbst Sein Hier Jetzt. Der Weg zum Leben geht somit über das Lieben. Das Lieben bedeutet für mich Selbstentwicklung in Richtung Verbindung zum eigenen Selbst, der eigenen Person, eingebettet in Raum und Zeit. Der Raum wäre die Welt. Ich sehe die Welt hierbei als Universität. Die Zeit wäre das Leben. Ich sehe das Leben hierbei als der einzig wahre Lehrer. Wie kommt es nun dazu sein ganzes Selbst zu sein? Indem ich sehe und verstehe, annehmend erfahre und ausdrückend bewahre. Diese Abfolge von Verstehen, Annehmen und Ausdrücken ist keine einmalige Sache, die einmal gemacht wird und das war es dann. Es ist ein Prozess des konstanten Lernens. Das ist Entwicklung hin zum lebendigen Menschen, zum verbundenen Menschen.
Es kommt nicht plötzlich über Nacht
Es fängt mit der Geburt an und hört mit dem Tod auf
Es ist ein Werden Tag für Tag
Es ist ein Loslassen Tag für Tag
Es ist Werden, Veränderung, Wachsen, Lernen, Entwicklung
Es ist Loslassen, Ruhe, Stabilität, Integration
Es ist Sein
Ein Mensch leidet also, weil er keine Verbindung zu seiner inneren Stimme hat. Jeder Mensch hat eine innere Stimme (Liebermann, 2015). Jeder! Diese brauchen wir, um uns mit uns selbst zu verbinden, sowie auch mit anderen Menschen. Wir brauchen sie, um Gefühle und Gedanken anderer zu verstehen und schließlich, um gesünder und glücklicher zu leben. Diese innere Stimme kann ein Ton sein, kann aus Worten bestehen, aus Emotionen, aus Sinnesempfindungen, aus Muskelkontraktionen, aus so vielen. Am schönsten ist es, wenn diese innere Stimme ein Gefühl des Angenommenseins auslöst (Peyton, 2017). Dieses Gefühl kann durch Berührung entstehen, durch körperliche sowie durch sprachliche. Laut Peyton entsteht Verbindung mit mir selbst, in dem ich auf mein emotionales Selbst höre, welches mir konstant zurückspiegelt, ob ich mit mir verbunden bin. Auf mein emotionales Selbst zu hören, setzt voraus, nicht dauerhaft unter Stress zu stehen.
Wenn wir unter Stress stehen, uns Sorgen machen, zwanghaft Pläne für die Zukunft schmieden, uns selbst und andere bewerten, ruminieren, haben wir einen externalen Fokus, einen nach außen gerichteten Fokus. Ist Stress nicht anwesend, wandert der Fokus mehr nach innen, um Erfahrungen zu integrieren und soziale Interaktionen zu organisieren. Dafür ist unser Ruhezustandsnetzwerk zuständig (engl.: default mode) (Peyton, 2017), welches Dinge für soziale Interaktionen erinnert, neues integriert und kreativ dabei ist. Der wichtige Punkt hier ist, das in diesem Ruhezustand Verbindung entstehen kann, wenn wir es zulassen. Verbindung zu uns selbst, als Voraussetzung für die Verbindung zur Welt. Jetzt ist es leider so, dass manch ein Mensch ein systemisches dysreguliertes Nervensystem aufgrund von traumatischen Erlebnissen hat (Heller, 2012), d.h. das Ruhezustandsnetzwerk arbeitet in einer eher abträglichen Art und Weise für uns. Es gibt einen inneren Kritiker, welcher uns konstant das Leben zur Hölle macht. Wie ist es dazu gekommen?
Dieser innere Kritiker geht zurück auf die ersten Lebensjahre, in welchen ein Neugeborenes Emotionen entwickelt. Emotionen sind zwar angeborene motorische Ausdrucksmuster, welche aber erst diese Funktion durch die interpersonale Regulation mit der primären Bezugsperson übernehmen. Dies nennt Alan Fogel (1993) Koregulation. Diese Interdependenz zwischen primärer Bezugsperson und dem Neugeborenen zeigt sich dann ein Leben lang durch sogenannte Erlebens- und Verhaltensmuster, in Form von Mangel an Verständnis für sich selbst, in konstanter Selbstkritik, Grenzüberschreitungen bei anderen Menschen, sowie bei einem selbst (Gendlin, 1981). In der Transaktionsanalyse nach Eric Berne (1967) ist der innere Kritiker das Eltern-Ich bzw. das Kindheits-Ich, welches für generalisierende und destruktive Selbstkritik verantwortlich ist, indem es im Hier und Jetzt dysfunktionale Muster der Vergangenheit reaktiviert. Nach dem IFS-Modell (Internal Family Systems Therapy) drückt sich der innere Kritiker in Form von Machthabern, Pessimisten, Perfektionisten, Grüblern, etc. aus (Schwartz, 2021). Ziel ist es hier wieder ein inneres Gleichgewicht der einzelnen Familienmitglieder herzustellen, durch einen liebevollen Dialog. In der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie (REVT) wird der innere Kritiker durch vier Grundkategorien voneinander abgegrenzt: Absolute Forderungen “musturbations” in Form von “Ich muss perfekt sein”; globale negative Selbst- und Fremdbewertungen in Form von “Ich bin ein Versager” bzw. “Der Andere ist nichts wert”; Katastrophendenken und Niedrige Frustrationstoleranz (Ellis, 2016). Auch hier greift der liebevolle Dialog in Form eines Disputs.
Welche Möglichkeiten gibt es nun den inneren Kritiker zu begegnen? Nach Berne (1967) ist das Erwachsenen-Ich ähnlich einem Datenverarbeitungssystem, das Informationen aus drei Quellen bezieht: Eltern-Ich, Kindheits-Ich und eigene aktuelle Informationen. Diese werden dann überprüft, um letztendlich eine integrierte Entscheidung zu treffen. Integriert ist die Entscheidung dann, wenn Wertehaltungen des Eltern-Ichs, sowie Gefühle des Kindheits-Ich mit dem heutigem Wissen in der aktuellen Situation übereinstimmen, ergo ihre Berechtigung haben bzw. angebracht sind. Die Transaktionsanalyse zielt also auf eine Stärkung des Erwachsenen-Ichs ab.
Im Focusing nach Gendlin (1981) wird mit der gefühlten Sinnesempfindung (engl.: felt-sense) gearbeitet. Dazu wird zu allererst ein innerer Freiraum geschaffen. Ich entspanne mich, achte auf meinen Körper und nehme Empfindungen erfahrungsoffen wahr. Dann stelle ich mir das Problem, ich aktualisiere es imaginativ und richte meine Wahrnehmung auf den felt-sense, ergo auf Körperreaktionen. Ich versuche diesen felt-sense so gut wie möglich mit einem Wort, Symbol oder Bild zu beschreiben und überprüfe, ob dies für mich stimmig ist. Dann stelle ich mir die Frage, was der felt-sense braucht, was ich brauche, um mich besser zu fühlen. Sobald ich darauf eine Antwort habe, mache ich mich auf den Weg.
Albert Ellis (2016) versucht mit der REVT zu allererst den inneren Kritiker zu identifizieren, z.B. in dem ich mich der Annahme mit einer Frage annähere, warum es so schlimm ist nicht perfekt zu sein. In einem weiteren Schritt kann ich diesen inneren Kritiker mit einem logischen Disput begegnen, in dem ich mich z.B. frage, ob ich nichts wert bin, sofern ich nicht perfekt bin; oder mit einem empirischen Disput, in dem ich mich darauf aufmerksam mache, was ich in schwierigen Zeiten schon alles geschafft habe; oder schließlich mit einem hedonistischen Disput. Hier mache ich mir die negativen Konsequenzen meines Perfektionismus bewusst und stelle mir die Frage, was dies mit mir emotional macht.
Sarah Peyton (2017) spricht von resonierender Selbstbeobachtung, um Selbstfreundlichkeit zu entwickeln. Diese Fähigkeit ist in uns angelegt, ergo jeder Mensch kann diese Fähigkeit zu einer Fertigkeit ausbauen und anwenden. Jaak Panksepp untersuchte Motivationssysteme und fand dabei folgendes heraus
“Emotionen sind jene psychoneuralen Prozesse, die besonders starken Einfluß auf die Kontrolle von Erregung und den Ablauf von Verhalten ausüben, das bei intensiven, überlebenswichtigen Interaktionen mit anderen Lebewesen und Objekten auftritt.“ (Panksepp, 1998)
Nach Panksepp liegt jeder Emotion ein evolutionär geformtes, psychobiologisches emotionales Organsystem zugrunde, einem Netzwerk von Hirnarealen, die sich bei Bedarf zu einer emotionalen Kommandostruktur zusammenschließen. Es gibt sieben spezifische Systeme, die er SEEKING (SUCHE), LUST (SEXUELLES VERLANGEN), CARE (PFLEGE), PLAY (SPIEL), PANIC/GRIEF (PANIK/TRAUER), FEAR (FURCHT) und RAGE (WUT) nannte. SUCHE, FURCHT, PANIK und WUT sind bereits kurz nach der Geburt funktionsfähig, gemessen an der Fähigkeit gezielter Hirnstimulation kohärente emotionale Reaktionen hervorzurufen, und funktionieren bei Mensch und Tier in bemerkenswert ähnlicher Weise. Interessant sind die beiden Systeme SPIEL und PFLEGE. Jede liebevolle Beziehungserfahrung aktiviert das PFLEGE System, sowie dysfunktionale Beziehungserfahrung dieses System lahmlegen. Fühlt sich ein Neugeborenes sicher und wohl, exploriert es seine Umwelt spielerisch (Lengning & Lüpschen, 2012). Diese Exploration, dieses Spiel ist wichtig, denn hier lernen Kinder soziale Interaktion, Sympathie und Solidarität (Zimpel, 2013). Hier lernen Kinder Gefühle und Gedanken anderer zu verstehen und auch sich selbst zu verstehen (Liebermann, 2015). In diesen Interaktionen können Kinder sich selbst beobachten und lernen, Selbstfreundlichkeit zu entwickeln. Findet dies in der Kindheit nicht statt, ist es natürlich nicht zu spät.
Diese resonierende Selbstbeobachtung, von der Sarah Peyton spricht, hat für mich Ähnlichkeit mit dem Konzept der liebevollen Selbstbeachtung nach Koch-Kersten (2021) und Danner (2016). Frau Koch-Kersten spricht von einer bedingungsfreien Wertschätzung, basierend auf Wärme, Respekt und Anerkennung, frei von Bewertung, offen für das was sich an Gedanken, Gefühlen, Sinnesempfindungen, Körperreaktionen zeigen mag. Es ist ein liebevoller Blick, der ein bedingungsloses Ja ausdrückt, und zwar absichtsvoll. Alles willkommen heißen was in uns ist, führt schließlich zu seelischen Wachstum. Für Danner ist Selbstbeachtung das bewusste Zuwenden der Aufmerksamkeit, auf all das, was gerade in meinem Leben der Fall ist. In dem ich all das, was gerade der Fall ist, bejahe, eröffne ich mir eine Erfahrung der Sicherheit und des Angenommenseins. So kann sich dann die innere Stimme entwickeln, so kann schließlich Verbindung entstehen (Peyton, 2017).
In der Psychotherapie wird viel von Ressourcenaktivierung gesprochen (Grawe, 1998). Der Mensch wird sich hierbei seiner Fähigkeiten, Stärken und positiven Eigenschaften bewusst, erfährt diese und nutzt sie für die Lösung eines Problems. Hier könnte ich nach all den Dingen fragen, welche dazu führen, das Leben als lebendig, sich als lebendig zu erfahren und die Welt als einen interessanten Ort zu erfahren. Im Besonderen sind hier die interpersonalen (unterstützende Beziehungen), die emotionalen (Erleben von positiven Emotionen) sowie die mnestischen (positive Erinnerungen) Ressourcen von Interesse.
Ressourcen nutzen um in Verbindung zu sein, bzw. diese Verbindung herzustellen. Nach dem Lesen des Texts, ist es eventuell ein wenig klarer geworden, die inneren Stimmen miteinander zu verbinden, Schweigemauern abzubauen, Verbindung zu anderen zu suchen und dies nicht aufgrund von instrumentellen Gründen. Verbindung ist etwas Schönes. Es ist wie ein Sonnenschein im Sommer auf der nackten Haut. Die Wärme die dieser Strahl der Sonne vermittelt, kann ein wohliges Gefühl erzeugen. Ich rede nicht von 50 Grad im Schatten. Diese wohlige Gefühl kann und darf auch anderweitig entstehen.
Literatur
- Berne, Eric (1967). Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen. Hamburg: Rowohlt Verlag
- Cacioppo, John T. & Patrick, William (2008). Loneliness. Human nature and the need for social connection. New York: W.W. Norton
- Charf, Dami (2020). Die 3 Quellen echten Lebensglücks. München: Gräfe und Unzer
- Danner, Dennis (2016). Ja zu mir. Trauma und seelisches Wachstum. Kröning: Asanger Verlag
- Ellis, Albert (2016). Rational Emotive Behavior Therapy, 2nd Edition: A Therapist's Guide. Oakland: New Harbinger Publications
- Essen, Siegfried (2016). Selbstliebe als Lebenskunst. Ein systemisch-spiritueller Übungsweg. Heidelberg: Carl Auer Verlag
- Fogel, Alan (1993). Developing through relationships: Origins of communication, self, and culture. Chicago: University of Chicago Press
- Frankl, Viktor (1990). Der leidende Mensch: Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie. München: Piper.
- Gendlin, E. T. (1981). Focusing. New York: Bantam Books
- Grawe, Klaus (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe
- Heller, Laurence & LaPierre Aline (2012). Healing Developmental Trauma: How Early Trauma Affects Self-Regulation, Self-Image, and the Capacity for Relationship. Berkeley: North Atlantic Books
- Koch-Kersten, Brigitte (2021). Personenzentrierte Traumatherapie: Heilung durch Selbstbejahung. Kröning: Asanger Verlag
- Lengning, A., Lüpschen, N. (2012). Bindung. München: Ernst Reinhardt Verlag
- Lieberman, M. D. (2015). Social. Why our brains are wired to connect. Oxford: Oxford University Press
- Panksepp, J. (1998). Affective neuroscience: The foundations of human and animal emotions. New York: Oxford University Press
- Peyton, Sarah (2017). Your resonant self. Guided Meditations and Exercises to Engage your Brain´s Capacity for Healing. New York: W.W. Norten and Company
- Riemann, Fritz (1993). Grundformen der Angst. München: Ernst Reinhardt Verlag
- Schaffer, Ulrich (1991). Die innere Stimme. Eine Bewusstwerdung. Stuttgart: Kreuz Verlag
- Schwartz, Richard (2021). No Bad Parts: Healing Trauma and Restoring Wholeness with the Internal Family Systems Model. Boulder: Sounds True
- Solomon, Sheldon; Greenberg, Jeff & Pyszczynski, Tom (2016). Der Wurm in unserem Herzen. Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Leben beeinflusst. München: DVA
- Walch, Sylvester (2011). Vom Ego zum Selbst. Grundlagen eines spirituellen Menschenbildes. München: Barth
- Yalom, Irvin D. (2003). Was Hemingway von Freud hätte lernen können: Das große Yalom - Lesebuch. München: Btb Verlag
- Zimpel, André Frank (2013). Lasst unsere Kinder spielen! Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
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