In diesem Artikel möchte ich Einblicke aus der Polyvagal-Theorie mit der Forschung von Kok et al. (2013) verbinden. Meditation wird oft als Methode zur Entspannung und Stressbewältigung gepriesen, doch ihre Wirkungsweise reicht weit über einfache Entspannung hinaus. Aktuelle Forschungen zeigen, dass Meditation tiefgreifende physiologische und psychologische Veränderungen bewirken kann, die das Wohlbefinden steigern und die Gesundheit fördern. Zwei zentrale Ansätze, die diese Wirkungen erklären, sind die Polyvagal-Theorie von Stephen W. Porges und die Studie von Kok et al. (2013), die den Zusammenhang zwischen positiven Emotionen, sozialen Verbindungen und dem Vagustonus untersucht.
Die Polyvagal-Theorie: Sicherheit als Grundlage für Exploration
Die Polyvagal-Theorie beschreibt, wie das autonome Nervensystem auf Signale von Sicherheit oder Bedrohung reagiert und dadurch unser Verhalten beeinflusst. Laut Porges reguliert der ventrale Vagus, der jüngste Teil des Nervensystems, das Social Engagement System (SES). Dieses System verknüpft den Vagusnerv mit Gesichtsmuskeln, Stimme und Hörwahrnehmung und ermöglicht es uns, soziale Bindungen aufzubauen und positive Interaktionen zu erleben.
Ein zentraler Aspekt der Theorie ist, dass wir nur dann explorativ und kreativ sein können, wenn wir uns sicher fühlen. Sicherheit aktiviert den ventralen Vagus, fördert Entspannung und verbindet uns mit unserer Umwelt. Im Gegensatz dazu können Bedrohungszustände wie Über- oder Unteraktivierung des Nervensystems (z. B. durch Stress oder Trauma) unsere Fähigkeit zur Selbst- und Co-Regulation beeinträchtigen. Dies verdeutlicht die Bedeutung von Interventionen, die den ventralen Vagus aktivieren und ein Gefühl von Sicherheit fördern.
Die Forschung von Kok et al. (2013): Positive Emotionen und der Vagustonus
Die Studie von Kok et al. (2013) untersuchte, wie positive Emotionen die physische Gesundheit durch den Aufbau sozialer Verbindungen und die Erhöhung des Vagustonus verbessern. Der Vagustonus ist ein Marker für die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems und steht in Zusammenhang mit emotionalem Wohlbefinden, besserer Stressbewältigung und Herzgesundheit.
Methodik
65 Erwachsene wurden entweder einer Kontrollgruppe oder einer Interventionsgruppe zugeordnet, die an einem sechswöchigen Loving-Kindness-Meditationsprogramm (LKM) teilnahmen. LKM ist eine Praxis, die darauf abzielt, Mitgefühl und positive Emotionen gegenüber sich selbst und anderen zu entwickeln. Die Teilnehmer dokumentierten täglich ihre positiven Emotionen und sozialen Interaktionen; der Vagustonus wurde zu Beginn und am Ende der Studie gemessen.
Ergebnisse
Die Studie zeigte, dass:
- Positive Emotionen: Teilnehmer der LKM-Gruppe berichteten über signifikant höhere positive Emotionen.
- Soziale Verbindungen: Positive Emotionen förderten das Gefühl von sozialen Verbindungen, was wiederum zu einer Verstärkung der positiven Emotionen beitrug.
- Vagustonus: Ein höherer Ausgangs-Vagustonus sagte stärkere Zuwächse an positiven Emotionen und sozialen Verbindungen voraus. Umgekehrt verbesserten diese Zuwächse den Vagustonus – ein Kreislauf, den die Autoren als „Aufwärtsspirale“ bezeichneten.
Meditation als Brücke zwischen Theorie und Praxis
Die Ergebnisse der Studie von Kok et al. lassen sich durch die Polyvagal-Theorie erklären. Meditation, insbesondere Loving-Kindness-Meditation, kann den ventralen Vagus aktivieren, indem sie positive Emotionen und ein Gefühl von Sicherheit fördert. Dadurch wird das Social Engagement System gestärkt, was sowohl psychologische als auch physiologische Vorteile mit sich bringt.
Warum ist Meditation effektiv?
- Aktivierung des ventralen Vagus: Meditation fördert Entspannung und Sicherheit und bringt das Nervensystem in einen Zustand, der Exploration und soziale Verbindung ermöglicht.
- Verbesserung der Herzratenvariabilität (HRV): Eine erhöhte HRV, die mit einem gesunden Vagustonus einhergeht, ist ein Zeichen für Stressresilienz und emotionale Stabilität.
- Aufbau sozialer Ressourcen: Positive Emotionen, die durch Meditation gefördert werden, verbessern die Qualität sozialer Interaktionen und schaffen ein Netzwerk von Unterstützung und Sicherheit.
- Langfristige Gesundheitseffekte: Meditation kann chronischen Stress abbauen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken und die allgemeine Lebensqualität verbessern.
Fazit: Meditation als Schlüssel zu Gesundheit und Wohlbefinden
Die Kombination der Polyvagal-Theorie und der Ergebnisse der Studie von Kok et al. zeigt, wie Meditation das Nervensystem regulieren und positive Emotionen fördern kann. Diese Wirkungen gehen über die individuelle Ebene hinaus, indem sie soziale Bindungen stärken und ein Gefühl von Sicherheit schaffen, das für eine gesunde Interaktion mit der Welt entscheidend ist. Loving-Kindness-Meditation bietet eine praxistaugliche Möglichkeit, diesen Prozess zu unterstützen und eine „Aufwärtsspirale“ für körperliches und emotionales Wohlbefinden zu initiieren.
Literatur:
- Dana, Deb (2018). The Polyvagal Theory in Therapy. Engaging the rhythm of regulation. New York: W. W. Norton & Company, Inc.
- Kok, B. E., Coffey, K. A., Cohn, M. A., Catalino, L. I., Vacharkulksemsuk, T., Algoe, S. B., Brantley, M., & Fredrickson, B. L. (2013). How positive emotions build physical health: perceived positive social connections account for the upward spiral between positive emotions and vagal tone. Psychological science, 24(7), 1123–1132. https://doi.org/10.1177/0956797612470827
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