Der Begriff „toxisch“ wird oft verwendet, um dysfunktionale Dynamiken in Beziehungen zu beschreiben, doch was bedeutet das eigentlich aus der Perspektive des Körperbewusstseins und der Neurowissenschaften? In Beziehungen, die toxisch sind, spiegelt sich häufig ein Ungleichgewicht im Erleben von Sicherheit und Verbindung wider. Dabei spielen sowohl individuelle als auch gemeinsame Muster eine Rolle, die auf frühere Erfahrungen, ungelöste Traumata oder erlernte Schutzstrategien zurückgehen.
Gesunde vs. toxische Beziehungen
Die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges bietet einen Rahmen, um zu verstehen, wie unser Nervensystem auf Bedrohung und Sicherheit reagiert. In gesunden Beziehungen fühlen wir uns sicher, gesehen und reguliert, was durch das soziale Bindungssystem im ventralen Vagusnerv unterstützt wird. Toxische Beziehungen hingegen können den Körper in einen Zustand von Kampf, Flucht oder Erstarrung versetzen, wodurch sowohl die emotionale als auch die körperliche Gesundheit beeinträchtigt wird.
Wie toxische Dynamiken entstehen
Eine toxische Beziehung entsteht oft dann, wenn ein oder beide Partner überwiegend im sympathischen (Kampf/Flucht) oder dorsovagalen (Erstarrung) Zustand agieren. Diese Zustände sind nicht „böse“ an sich – sie sind Überlebensmechanismen, die in der Vergangenheit vielleicht notwendig waren, aber in einer Beziehung zu Misstrauen, Kontrolle oder emotionaler Distanz führen können. Schauen wir uns mal Beispiele für toxisches Verhalten an:
- Love Bombing
Auf den ersten Blick mag die intensive Aufmerksamkeit wie ein Liebesbeweis wirken. Doch hinter der Fassade steht oft ein unbewusstes Bedürfnis nach Kontrolle oder Abhängigkeit. Für den Körper bedeutet das: ein unnatürliches Hochgefühl, gefolgt von einer plötzlichen emotionalen Leere. Diese Dysregulation kann das Nervensystem destabilisieren. - Gaslighting
Beim Gaslighting wird das Gegenüber manipuliert, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. Der Körper reagiert darauf oft mit Erstarrung oder ständiger Alarmbereitschaft, da die Verbindung zu sich selbst untergraben wird. - Extreme Höhen und Tiefen
Intensive Wechsel zwischen Konflikten und Versöhnung lösen starke Hormonausschüttungen aus, die den Körper in einen Teufelskreis von Stress und Erleichterung versetzen. Diese Dynamik kann süchtig machen und das Nervensystem destabilisieren.
Das Bedürfnis nach Sicherheit
In einer gesunden Beziehung fühlen wir uns im Körper entspannt und präsent. Dieses Gefühl der Sicherheit entsteht nicht nur durch äußere Umstände, sondern durch die Fähigkeit, den eigenen Körper wahrzunehmen und sich mit dem Partner in einem „sicheren sozialen Raum“ zu verbinden.
Wie Körperbewusstsein helfen kann:
- Achtsamkeit auf Körpersignale
Wenn du dich in einer Beziehung wiederholt angespannt, atemlos oder lethargisch fühlst, könnten das Hinweise deines Körpers auf eine toxische Dynamik sein. - Bewegung und Regulation
Methoden wie Feldenkrais oder andere körperorientierte Ansätze fördern fließende, rhythmische Bewegungen, die das Nervensystem beruhigen und Sicherheit fördern. Diese Bewegungen erinnern den Körper daran, wie sich Balance und Stabilität anfühlen. - Kohärenz schaffen
In der Polyvagal-Theorie geht es darum, von Zuständen der Dysregulation (z. B. Angst oder Erstarrung) zu Zuständen von Sicherheit und Verbindung zu wechseln. Das bewusste Wahrnehmen der eigenen Atmung, Bewegungen und des emotionalen Zustands kann dabei helfen, toxische Muster zu erkennen und zu durchbrechen.
Reflektion und Grenzen setzen
Eines der wichtigsten Werkzeuge, um toxisches Verhalten zu vermeiden oder zu heilen, ist die Selbstregulation. Wenn wir unseren eigenen Körper und seine Reaktionen verstehen, können wir bewusste Entscheidungen treffen, anstatt aus einem Zustand der Überforderung oder Schutzstrategie heraus zu handeln. Dabei ist es wichtig, klare Grenzen zu setzen – nicht nur gegenüber dem Partner, sondern auch gegenüber unseren eigenen erlernten Mustern.
Sind toxische Beziehungen heilbar?
Die Heilung einer toxischen Beziehung ist möglich, erfordert jedoch, dass beide Partner bereit sind, an sich selbst zu arbeiten, Sicherheit im Nervensystem wiederherzustellen und alte Wunden zu bearbeiten. Ein körpertherapeutischer Ansatz, gepaart mit psychologischer Unterstützung, kann helfen, toxische Dynamiken zu transformieren.
Fazit
Toxische Beziehungen zeigen sich nicht nur im Verhalten, sondern auch in den körperlichen Reaktionen, die sie auslösen. Das Verständnis der Signale unseres Körpers und der Einfluss des Nervensystems können uns helfen, gesunde Verbindungen aufzubauen und toxische Muster zu durchbrechen. Dein Körper ist ein wertvoller Kompass – er zeigt dir, was dir guttut und was nicht. Achte auf ihn.
Bilder
- Foto von Afif Ramdhasuma auf Unsplash