In der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie (PEP), entwickelt von Dr. Michael Bohne, beginnt vieles mit einer überraschend einfachen Übung: Beine überkreuzen, Arme verschränken – und an eine Waage denken. Diese vorbereitende Geste, oft zu Beginn einer PEP-Intervention eingesetzt, soll nicht nur zur inneren Sammlung beitragen, sondern auch das Nervensystem in Balance bringen. Doch was steckt dahinter? Und welche Rolle spielt diese Übung im Kontext von Embodiment, Gehirnphysiologie und sogar ADHS?
Was ist PEP?
PEP steht für „Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie“ – eine integrative Methode, die Elemente aus EMDR, EFT, Hypnotherapie, Verhaltenstherapie und systemischer Arbeit miteinander verbindet. Sie geht weit über reines Klopfen hinaus und nutzt kognitive, körperliche und emotionale Prozesse, um belastende Glaubenssätze, Beziehungsmuster oder Ängste zu verändern. Gefühle werden in PEP nicht nur als mentale Zustände, sondern als körperlich erfahrbare Phänomene verstanden – dadurch wird der Körper gezielt in die psychische Verarbeitung einbezogen. Zentral ist dabei die Aktivierung von Selbstwirksamkeit, das bewusste Erleben eigener Ressourcen und die Unterbrechung automatischer Stressreaktionen. PEP wird in Therapie, Coaching, psychosomatischer Grundversorgung und auch im klinischen Alltag eingesetzt. Die Methode ist pragmatisch, humorvoll und dabei tiefgreifend. Ok soweit. Jetzt kommen wir mal zu dieser Übung.
Die preparative Übung: Überkreuzen, verschränken, ausbalancieren
Zu Beginn vieler PEP-Sitzungen nutzt Bohne eine kleine Körperübung, die einfach aussieht, aber in ihrer Wirkung tief greifen kann. Man sitzt aufrecht, überkreuzt das rechte Bein über das linke, streckt beide Arme aus, überkreuzt sie (rechts über links), verschränkt die Finger und legt die Hände zum Brustkorb hin ab. In dieser Position verweilt man für einen Moment, atmet ruhig – und stellt sich dabei innerlich eine Waage vor. Diese symbolische Geste markiert nicht nur den Einstieg in die Intervention, sondern erzeugt durch die Körperhaltung selbst eine Beruhigung und Zentrierung. Sie ist eine Form des „Embodiment“: das körperliche Ausdrücken einer inneren Haltung.
Warum wirkt diese Haltung?
Obwohl es noch keine isolierten Studien zur spezifischen Wirkung dieser Überkreuzübung gibt, lassen sich plausible neurophysiologische Erklärungen herleiten. Überkreuzende Bewegungen stimulieren beide Körperhälften gleichmäßig und können eine bilaterale sensorisch-motorische Integration fördern. Das kann das Nervensystem regulieren – etwa über eine Vagusaktivierung oder über die taktile Rückmeldung, die durch die verschränkten Hände erzeugt wird. In der PEP-Theorie spricht man hier auch von einer Störung neuronaler Fixierungen: Durch bewusste Körperverlagerung kann das Gehirn aus eingefahrenen Stressmustern ausbrechen. Solche Embodiment-Techniken sind bekannt dafür, emotionale Regulation zu erleichtern, vor allem wenn sie mit Atemfokus oder inneren Bildern kombiniert werden – wie in diesem Fall mit der inneren Waage.
Balance zwischen den Gehirnhälften? Eine Verbindung zu McGilchrist
Der Neurologe und Philosoph Ian McGilchrist beschreibt in seinem Werk The Master and His Emissary die unterschiedlichen Rollen der linken und rechten Gehirnhälfte. Die rechte Hemisphäre sei zuständig für das Ganze, das Körperliche, das Konkrete und das Emotionale, während die linke stärker auf Sprache, Abstraktion und analytisches Denken spezialisiert ist. Bohnes Übung könnte man auch als körperliches Abbild dieses Gleichgewichts deuten: Die Überkreuzbewegung aktiviert beide Hirnhälften, die „Waage“ symbolisiert die bewusste Integration beider Perspektiven. In McGilchrists Sinne wäre dies ein Versuch, beide Hirnhälften in ein dialogisches Miteinander zu bringen, statt einer Dominanz der linken, rationalen Seite zu erliegen. So gesehen ist diese kleine Geste nicht nur körperlich beruhigend, sondern auch neurophilosophisch sinnvoll.
Anwendung bei ADHS: Kleine Geste, große Wirkung?
Besonders interessant ist diese Übung im Kontext von ADHS. Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung haben oft Schwierigkeiten mit Impulskontrolle, innerer Unruhe und emotionaler Regulation. Genau hier kann die Überkreuzhaltung helfen: Sie bringt das Nervensystem zur Ruhe, schafft über den Körper eine Orientierung nach innen und wirkt gleichzeitig strukturierend. Bilaterale Stimulation – wie sie auch in EMDR oder Brainspotting eingesetzt wird – kann bei ADHS helfen, die Aufmerksamkeit zu bündeln und emotionale Reizbarkeit zu reduzieren. Vor allem bei Symptomen wie Impulsivität, Übererregbarkeit oder Stressüberflutung kann die Übung unterstützend wirken. Ihre Stärke liegt definitiv in der emotionalen Selbstregulation.
Ok, und hier kommt nun die Übung, in der ADHS Gruppe aufgenommen. Viel Freude beim Wiederholen.
Fazit: Eine kleine Bewegung mit großer Symbolkraft
Was zunächst wie eine einfache Körperhaltung erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als tiefgreifende Intervention. Die überkreuzte Position, das Bild der inneren Waage und der bewusste Moment des Innehaltens schaffen einen Raum, in dem Körper und Geist wieder in Kontakt treten. In der PEP-Methode fungiert sie als Eingangstor zur Selbstregulation und zur Aktivierung innerer Ressourcen. Auch wenn noch nicht alle neurophysiologischen Wirkmechanismen erforscht sind, sprechen Theorie, klinische Erfahrung und erste Studien klar für ihren Nutzen. In einer Welt, die oft von Überreizung und kognitiver Übersteuerung geprägt ist, kann diese einfache Geste eine Einladung sein, sich selbst wieder auszubalancieren – mit beiden Beinen auf dem Boden, aber auch mit beiden Gehirnhälften im Gespräch.
Bilder:
- Bild von NomeVisualizzato auf Pixabay