Sicherheit ist ein Grundbedürfnis – körperlich wie seelisch. Doch wir suchen sie oft dort, wo sie sich kaum finden lässt: in Kontrolle, in festgelegten Rollen, in stabilen Beziehungen, äußeren Umständen oder vertrauten Routinen. Der Körper hingegen lebt in ständiger Veränderung. Atmung, Herzschlag, Bewegung – nichts bleibt gleich. Auch das Leben selbst konfrontiert uns fortlaufend mit Wandel, Unsicherheit und Verlust.
Irvin D. Yalom beschreibt vier existenzielle Grundkonflikte, die diese Erfahrung begleiten: die Unvermeidbarkeit des Todes, die Isolation des Einzelnen, die Freiheit zur Selbstgestaltung und die Suche nach Sinn. All diese Themen rufen Unsicherheit hervor – und oft reagieren wir darauf mit dem Versuch, inneren Halt durch äußere Kontrolle zu ersetzen.
Doch was wäre, wenn Sicherheit nicht im Festhalten liegt, sondern im Dasein – im bewussten Spüren, im Kontakt mit dem Körper, im Mitgehen mit dem, was ist? Das folgende Zitat von Cornelia Hammer beschreibt dieses Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Stabilität und der Realität von Veränderung auf eindrückliche Weise.
Menschen haben ein existentielles Bedürfnis sich sicher zu fühlen
“Inmitten von Körperprozessen, die ständige Veränderung bedeuten, und einem äußeren Lebensprozess, der uns unablässig mit Neuem konfrontiert, leben wir mit Gehirnen, die darauf aus sind, Sicherheit inmitten dieser Bewegung zu finden, indem wir Festigkeit und Beständigkeit suchen. Wir suchen Sicherheit genau da, wo sie nicht ist. Wir versuchen, Beziehungen, Gegenstände und Umstände zu sichern, indem wir festhalten, festmachen, kontrollieren und bestimmen. Unser kleiner Geist kann sich keine andere Art der Sicherheit vorstellen” (Hammer, 2020).
Existenzielle Unsicherheit – und wie wir ihr begegnen
Was Cornelia Hammer hier beschreibt, ist nicht nur ein neurobiologisches Phänomen, sondern berührt tiefere menschliche Fragen. Genau hier setzt Irvin D. Yalom (2003) an. In seiner existenziellen Psychotherapie benennt er vier Grundthemen, mit denen jeder Mensch im Laufe seines Lebens konfrontiert wird – ob bewusst oder unbewusst: die Angst vor dem Tod, das Gefühl existenzieller Isolation, die Freiheit als Verantwortung für das eigene Leben und die Suche nach Sinn. Diese Themen wirken wie ein Hintergrundrauschen in unserem Inneren. Sie erzeugen eine Unsicherheit, die nicht durch äußere Sicherheiten gelöst werden kann.
Der Wunsch nach Kontrolle, nach Dauer und Verlässlichkeit ist verständlich – aber er ist letztlich ein Versuch, die tieferliegende existenzielle Verunsicherung zu überdecken. Yalom beschreibt, wie wir aus dieser Spannung heraus psychologische Strategien entwickeln: Verdrängung, Projektion, Idealisierung. Wir halten fest – an Menschen, an Systemen, an Routinen –, um der inneren Bewegung nicht zu begegnen. Doch wahre Sicherheit entsteht nicht durch Vermeidung, sondern durch Kontakt: mit uns selbst, mit unserem Körper, mit unserer Endlichkeit.
Das bedeutet nicht, dass wir diesen Themen rational begegnen müssen. Vielmehr braucht es einen Erfahrungsraum, in dem wir lernen können, mit dieser Unsicherheit zu leben – und uns trotzdem sicher zu fühlen. Der Körper kann ein solcher Raum sein. Er ist unmittelbar, gegenwärtig, ehrlich. Wer lernt, sich im eigenen Körper sicher zu fühlen, kann auch Unsicherheit in der Welt besser halten.
Wenn Geist Halt sucht – der Boden als Anker
Die existenzielle Unsicherheit, die Yalom beschreibt, findet nicht nur im Geist statt – sie spiegelt sich auch im Körper wider. Wenn wir in unserem Inneren keine feste Basis spüren, verstärkt das die innere Unruhe und das Gefühl von Unsicherheit. Genau hier setzt der sichere Kontakt zum Boden an: Er bietet eine greifbare, unmittelbare Erfahrung von Halt und Stabilität.
Das bewusste Spüren des Bodens unter den Füßen – das, was in Zapchen Somatics als „resting down“ bezeichnet wird – ist mehr als ein körperlicher Vorgang. Es ist eine Einladung, im Hier und Jetzt anzukommen und eine innere Verankerung zu finden, die weit über rationale Kontrolle hinausgeht. Denn gerade wenn Gedanken, Sorgen und Ängste uns treiben, kann der Boden zu einem Anker werden, der Sicherheit schenkt und uns ermöglicht, inmitten der ständigen Bewegung des Lebens ruhiger und stabiler zu bleiben.
In der Körperpsychotherapie ist der Boden daher nicht nur physisch, sondern auch symbolisch von großer Bedeutung: Er steht für Erdung, Verankerung und eine unterstützende Kraft, die uns trägt – selbst wenn unser Geist nach Sicherheit sucht, wo sie scheinbar nicht zu finden ist.
Funktionale Ehrlichkeit – Ruthy Alons Perspektive auf Körper und Leben
Der sichere Kontakt zum Boden und die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers eröffnen nicht nur Stabilität, sondern führen uns auch zu einer grundlegenden Ehrlichkeit mit uns selbst. Eine beeindruckende Perspektive hierzu bietet Ruthy Alon (1996) mit ihrem Konzept der „funktionalen Ehrlichkeit“ („Functional Honesty“). Sie beschreibt, wie eng unser Umgang mit dem Körper mit unserem gesamten Leben verbunden ist – wie wir mit unserem Körper umgehen, spiegelt wider, wie wir mit unseren Ängsten, Wünschen und Herausforderungen umgehen.
Alon macht deutlich, dass es einen entscheidenden Unterschied gibt zwischen Menschen, die lediglich vermeiden wollen, Schmerz oder Unbehagen zu spüren, und denen, die bereit sind, ihren Körper als Weg zu einem erfüllten Leben zu nutzen. Besonders der untere Rücken wird dabei zum Sinnbild für verborgene Ängste und Widerstände. Doch zugleich ist Bewegung das Mittel, über das wir uns selbst in Raum und Zeit ausdrücken und neu ordnen können.
Indem wir lernen, unser körperliches Erleben nicht nur quantitativ zu bewerten – etwa wie schnell oder weit wir uns bewegen – sondern vor allem nach dem Maßstab unseres inneren Erlebens und Wohlbefindens, öffnen wir den Raum für echte Heilung und kreative Entfaltung. Alon warnt vor einer Verengung von Bewegung und Denken, die uns nicht nur körperlich, sondern auch geistig in eine Einbahnstraße führt.
Diese Sichtweise ergänzt die bisherigen Überlegungen zu Sicherheit und Erdung perfekt: Sicherheit im Körper bedeutet auch, ehrlich mit sich zu sein, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und gleichzeitig offen zu bleiben für das, was der Körper uns über unsere innere Haltung und unser Leben mitteilt.
Neurozeption und die innere Landkarte von Sicherheit
Die körperliche Erfahrung von Sicherheit ist nicht nur eine bewusste Entscheidung oder ein kognitives Konstrukt – sie wird wesentlich durch das autonome Nervensystem vermittelt. Stephen Porges (2004) prägte dafür den Begriff der Neurozeption: ein unbewusstes biologisches System, das kontinuierlich bewertet, ob eine Situation sicher, gefährlich oder lebensbedrohlich ist. Diese Einschätzung geschieht weit unterhalb der Schwelle bewusster Wahrnehmung – über Körpersignale, Mimik, Tonfall, Umgebung und Beziehungserfahrungen. Wenn der Körper Sicherheit registriert, wird der ventrale Vagusnerv aktiviert – ein System, das soziale Nähe, Entspannung und Regulation ermöglicht.
In diesem Sinne ist der sichere Kontakt zum Boden, wie zuvor beschrieben, nicht nur ein psychologisches Bild, sondern eine konkrete Möglichkeit, neurobiologisch Sicherheit zu signalisieren. Wer im Körper geerdet ist, wer Wärme, Weichheit und tragende Verbindung spürt, sendet dem Nervensystem die Botschaft: „Du bist in Sicherheit.“ Das wiederum beeinflusst, wie wir auf andere Menschen zugehen, wie wir uns selbst regulieren – und ob wir uns überhaupt öffnen können für Veränderung, Verbundenheit und Entwicklung.
Verkörperte Sicherheit – Warum der Boden zählt
Sicherheit entsteht nicht im Denken, sondern im Erleben. Sie ist kein Zustand, den wir mit dem Kopf erreichen, sondern eine Empfindung, die aus der Tiefe des Körpers kommt. In einer Welt voller Reize, Beschleunigung und Unsicherheit wird der Körper zum Ort der Rückbindung – an uns selbst, an die Gegenwart, an die Realität. Der Boden spielt dabei eine zentrale Rolle: Er ist physisch da, jederzeit spürbar, verlässlich. Und doch geht es um mehr als nur Schwerkraft – es geht um Erdung im existenziellen Sinne: um ein Sich-Verbinden mit dem, was trägt, auch wenn alles andere wankt.
Sich sicher zu fühlen bedeutet daher nicht, dass das Leben vorhersehbar wird oder wir Kontrolle gewinnen. Es bedeutet, inmitten des Unvorhersehbaren präsent zu bleiben – mit uns, mit anderen, mit dem Leben selbst. Der Körper, insbesondere im Kontakt zum Boden, kann uns diese Art von Sicherheit lehren: durch Spüren statt Denken, durch Zulassen statt Festhalten, durch Dasein statt Flucht. So wird Sicherheit nicht zur Ausnahme, sondern zur gelebten Erfahrung im Wandel.
Literatur:
- Alon, Ruthy (1996). Mindful Spontaneity. Berkeley: North Atlantic Books
- Hammer, Cornelia (2020). Im Körper zu Hause sein. Mit Zapchen Somatisch zu Leichtigkeit und Wohlbefinden. Heidelberg: Carl-Auer Verlag
- Porges, S. W. (2004). Neuroception: A subconscious system for detecting threats and safety. Zero to Three, 24(5), 19–24.
- Yalom, Irvin D. (2003). Was Hemingway von Freud hätte lernen können: Das große Yalom - Lesebuch. München: Btb Verlag
Bilder:
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