Wenn du etwas schweres vom Boden aufhebst, wirst du wahrscheinlich feststellen, dass es wichtig ist, wie du dies tust. Dies ist nicht nur bei schweren Dingen der Fall, sondern auch bei leichten Dingen, wie z.B. einen Bleistift. Vielleicht spürst du einen gewissen Schmerz oder eine Verspannung, oder vielleicht fühlst du dich einfach nicht gut dabei. Womit kann das zu tun haben?
Obsessionen
In unserem Rumpf gibt es eine Anzahl an größeren und kleineren Muskeln, die Bauchmuskeln, die Rückenstreckermuskulatur, die Beckenbodenmuskulatur, das Zwerchfell, alle sind sie wichtig für die Stabilisierung unseres Körpers, unserer Wirbelsäule. Dieses fein ausgeklügelte System an verschiedenen Muskeln zusammen mit dem Nervensystem aktiviert sich sobald wir uns bewegen, etwas schweres heben, springen, uns bücken usw. Heute besteht jedoch eine regelrechte Obsession bezüglich des Trainings der sogenannten “Core”- Muskulatur. Man findet unzählige Menschen in Fitnessstudios, welche sich Bauchmuskeln aus Stahl antrainieren. Ein gesundes Maß an Muskeltonus ist ja natürlich und nützlich, doch braucht es diese extrem steifen Muskeln?
Eine starke Mitte
Eine starke Mitte ist nicht durch das minutenlange Verharren in einer gewissen Position zu erlangen, wie es z.B. beim Unterarmstütz der Fall ist. Mehr ist nicht gleich besser. Der Unterarmstütz ist eine wichtige und auch hilfreiche Übung. Die Frage ist jedoch, wie sich die Muskulatur mit diesem Stütz am besten trainieren lässt. Eine gesunde Balance zwischen Bewegung und Nichtbewegung zu finden, stellt für mich ein lobenswertes Ziel dar. Dies ist es allein schon deswegen, da tägliche Funktionen uns dazu veranlassen uns zu bewegen. Dies spricht regelrecht gegen die derzeitige Obsession in der Fitnesswelt. Eine starke Mitte resultiert also eher aus dem gesunden Zusammenspiel von Kräftigung und Mobilisation. Kräftigung bedeutet hierbei nicht für drei Minuten einen Unterarmstütz zu halten.
Bewegung, nicht Stillstand
Unsere Wirbelsäule ist für Bewegung gemacht, nicht für Stillstand. Deswegen kann genau ein zu viel an Krafttraining zuträglich sein für Rückenschmerzen. Das gleiche trifft auch auf keine Bewegung zu, also den berühmten “Couchpotatoe”. Laut Feldenkrais Lehrer Ruthy Alon (1996) ist es egal, ob Sie Profisportler, Tänzer, Arzt, Buchhalter, Bauarbeiter oder sonstiges sind. Rückenschmerzen suchen jeden heim. Niemand ist davor gefeit. Aus diesem Grunde ist über folgendes genau nachzudenken. Ein Körper, welcher sowieso schon zu unbeweglich ist, wird durch falsches Krafttraining noch unbeweglicher. Der Schmerz allein führt nämlich schon zu einer höheren Muskelspannung, und somit eventuell zu einem unbeweglicheren Körper. Ein wenig Entspannung in der schmerzenden Region wäre ein anderer Ansatz. Ich möchte hier ganz kurz anbringen, dass die Feldenkrais Methode keine Entspannungsmethode ist, sondern eine Lernmethode.
Paradigmenwechsel
Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel der Bewegung. Die Glaubenssysteme müssen sich ändern. Nicht das Credo “no pain, no gain”, sondern eher das Credo “move, in all ways, always” macht sich als Leitgedanke um einiges besser. Dieser Gedanke geht auf meine Lehrerin Angel DiBenedetto zurück. Dies gibt schon einen ganz anderen Ton an. Somit kann man nicht sagen, eine Übung passt für jeden. Jede Person braucht ein individuelles Assessment. Einfach mit der Gießkanne gewisse Übungen über die Population zu schütten mag vielleicht marketingtechnisch gewinnträchtig sein, jedoch erfüllt dies nicht die individuellen Schmerz-, bzw. Behandlungsbedürfnisse der Patienten.
Das Spiel auf einem Bein
Mache gerne mal einen kleinen Test:
Stelle dich auf deinen rechten Fuß, der linke Fuß ist dabei wenige Zentimeter über den Boden. Vielleicht merkst du, dass du leicht nach rechts tendierst, um den Körper auszubalancieren. Als nächstes bringe deinen rechten Ellbogen zum linken Knie, so das sich beide berühren. Was ist alles nötig, um diese Bewegung “einfach” auszuführen und die Balance kinderleicht zu halten? Führe diese Bewegung mehrmals aus. Wechsle auch mal die Seite. Wenn dies zu leicht sein sollte, schließe abwechselnd einmal das rechte und dann das linke Auge. Immer noch zu leicht? Schließe beide Augen. Und, immer noch leicht? Gratulation. Unglaublich schwer? Dann hast du jetzt eine Bewegung, die du für die nächsten Wochen ausprobieren kannst. Beobachte dabei deinen Fortschritt. Wie schnell ändert sich dein Gefühl im Stand und im Gang? Gibt es eventuell einen Zusammenhang? Große und superstarke Muskeln nützen dir hier rein gar nichts. Du willst mehr von diesen Übungen? Nicht verzagen, Christian fragen.
Der Propriozeption zuliebe
Wenn dir die vorangegangene Übung Spaß macht und/oder vielleicht auch etwas schwer fallen sollte, verliere nicht den Mut. Mache einfach weiter! Du schulst deine Propriozeption. Es gibt Exterozeptoren, wie die Augen, die Ohren, den Mund und die Nase und es gibt Propriozeptoren, wie unter anderem das vestibuläre System im Innenohr, die taktilen Rezeptoren auf der Haut und die kinesthetischen Rezeptoren, die Muskeln. Um aktiver Teilnehmer in einer Bewegung zu sein, diese Bewegung ins kleinste Detail zu kennen, mache die Propriozeption zu deinem zweiten Frühstück. Ja, höre auf Sudoku zu spielen! Ok, spiele weiter Sudoku und mache dabei die Übung. Kreiere Freiheit, in dem du deine Optionen erweiterst. Optionen kommen nicht einfach so, sie fallen auch nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis von konstanter Arbeit, von Hingabe, von Leidenschaft und auch von Geduld und Entspannung. Kein Genie ist 24 Stunden aktiv. In den Pausen wächst du. Ich wünsche dir viele kreative und erfolgreiche Pausen!
Noch etwas, Propriozeption lässt sich sehr gut trainieren. Propriozeption hat auch mich Sicherheit zu tun. Sicherheit hat mit einem Gefühl der Präsenz tun. Präsent zu sein bedeutet auch lebendig zu sein. Wenn du mehr über Propriozeption, Exterozeption und Interozeption lesen magst, klicke gerne hier: Was bedeutet Neurozeption?
Literatur:
- Alon, Ruthy (1996). Mindful Spontaneity. Berkeley: North Atlantic Books
Bilder:
- Das Bild mit dem Unterarmstütz. Irgendwann mal auf iStock. Es ist schon einige Jahre her.
- Das andere Bild. In Killeen, Texas, USA. Ich glaube ich wollte spielen. Also wenn Stehen auf einem Bein langweilig ist, hier hast du eine kleine Anregung. 😉