Warum fühlt sich ein Baby, ein Kleinkind, oder du angegriffen, gekränkt oder einfach nicht sicher? Dies hat unter anderem mit Schaltkreisen im Nervensystem zu tun. Diese Schaltkreise entscheiden, ob eine Situation oder eine Person als sicher, gefährlich oder lebensbedrohlich eingestuft wird. Das ganze nennt sich Neurozeption. Neurozeption ist ein Begriff aus der Polyvagal Theorie.

Stephen Porges, Begründer der Theorie

Stephen Porges, Begründer der Polyvagal Theorie, hat diesen Begriff geprägt, um die subkortikalen (unbewussten) Prozesse zu definieren. Diese unbewussten Prozesse bestimmen, ob eine Situation sicher oder gefährlich ist. Obwohl wir uns dieses Prozesses nicht bewusst sind, können wir seine Auswirkungen somatisch erfahren, also körperlich.

Die drei Äste und die Neurozeption

Die Polyvagal Theorie baut auf mehreren Organisationsprinzipien auf. Da wäre z.B. die inhärente Hierarchie, bestehend aus dorsalen Vagus, Sympathikus und ventralen Vagus.  Das sind die drei Äste des vegetativen Nervensystems. Die Neurozeption steuert diese drei Bereiche. Das Wort Neurozeption bedeutet so viel wie, das vegetative Nervensystem reagiert auf Hinweise (Sicherheit, Gefahr, Lebensgefahr), welche von innerhalb unseres Körpers kommen, der Umwelt und anderen Menschen. Dies passiert unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle. Und daraus entsteht dann der jeweilige physiologische Zustand. Jetzt habe ich es, glaube ich, zwei mal gesagt, aber Wiederholung “is key”. Und weiter gehts.

Nehmen wir ein Bild

Ich versuche es mal mit einer Metapher oder Bild. Neurozeption ist die Hand, welche mehrere Zepter hält. Zeption aus dem Lateinischen (capere) bedeutet so viel wie ergreifen, erzielen, annehmen. Ich habe also mehrere Zepter in der Hand, mit denen ich aktiv arbeiten kann. Daraus entsteht dann meine Neurozeption, letztlich wie ich mit meiner Hand mit Herausforderungen umgehe. Ok, das Beispiel mag vielleicht ein wenig hinken, doch vielleicht ist der Gedanke dahinter klarer. Die drei Bereich die Neurozeption ausmacht, sind Exterozeption, Interozeption und Propriozeption. Darauf habe ich ein Einfluss und dies wiederum wirkt auf die Neurozeption. Das Bild soll eine kleine Hilfestellung sein.

Überleben sichern

Ein ganz ganz ganz wichtiger Punkt ist folgender. Die Aufgabe des Gehirns ist es Überleben zu sichern. Noch mal, das Gehirn will unser Überleben sichern. Das Nervensystem ist somit darauf ausgelegt mögliche Gefahrenpotentiale und nicht eindeutig vorhersehbare Situationen zu erkennen und schnellstmöglich darauf zu reagieren. Das ist Neurozeption. Jetzt gehen wir mal kurz auf diese drei Bereiche der Neurozeption ein.

Propriozeption

Das Wort Propriozeption kommt aus dem Lateinischen. Es besteht aus “proprio” und “zeption”. Proprio bedeutet “eigen” und “zeption” bedeutet “Gespür”. In anderen Worten, ich habe also ein Gespür dafür, was mir eigen ist, d.h. nicht äußere Reize, sondern Reize, die aus mir heraus entstehen. In noch anderen Worten: Eigenwahrnehmung. Es handelt sich um die Wahrnehmung durch die Sinne.

Welche Sinne? Der propriozeptive Sinn ist der der Körperposition im Raum, der Sinn von Bewegung und von Beschleunigung. Die Skelettmuskeln, die Sehnen, sowie die Gelenkaktivitäten vermitteln dies. Die Gelenke sind wirklich sehr wichtig, denn hier sitzen viele Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind wie Vermittler von Informationen. Wenn diese Informationen schlecht weitergeleitet werden, bzw. vermittelt werden, ist die Bewegung nicht mehr so gut koordiniert, bzw. wir können diese nicht mehr so gut vorhersehen. Damit gehen natürlich Probleme einher.

Das propriozeptive System hat einen Partner. Dieser Partner ist das vestibuläre System. Dieses vestibuläre System ist für den Gleichgewichtssinn und die räumliche Orientierung zuständig. Zusammen beeinflussen sie unser Bewegungsverhalten, oder in anderen Worten die somatische Motorik. Das Gehirn, unser zentrales Nervensystem bekommt dabei nonstop Signale und dadurch entsteht ein Bild von uns im Raum. Das wäre erstmal die Propriozeption. Was ist denn nun die Exterozeption?

Exterozeption

Das Wort “extero” bedeutet so viel wie “außen”. Damit sind alle Sinne angesprochen, die das Außen wahrnehmen, also Reize, die außerhalb des Körpers angesiedelt sind. Was ist damit gemeint? Dazu zählen was du siehst, was du hörst, was du riechst, was du schmeckst und der Tastsinn. Eine ganz besondere Rolle bekommt das Sehen und das Hören, weil das Sehen und das Hören hat sehr viel der Wahrnehmung von Gefahrenreizen zu tun.

Der Tastsinn hat auch eine bedeutsame Rolle, zumal er auch mit der Schmerzwahrnehmung zu tun hat. Das hat viel mit Druckverhältnissen, Berührung und Vibrationen zu tun. Vibrationen könnten einen Einfluss auf Sehnen und Muskeln haben und somit über die Rückkoppelung negative Auswirkungen das Nervensystem. Woher kommen diese Vibrationen? Rate mal. Ja, richtig, Stress. Stress ist aber nicht Inhalt dieses Artikels, daher machen wir jetzt noch kurz mit der Interozeption weiter.

Interozeption

Das Gegenteil der Exterozeption ist die Interozeption, also alles was von innen kommt. Da wäre wieder der Schmerz, der Druck, die Temperatur, aber auch Hunger und Durst. Deine Organe haben auch Empfindungen. All diese Empfindungen haben unglaublich viel mit Emotionen zu tun. Emotionen stecken regelrecht im Körper. Wir beschreiben diese dann und nennen das dann Gefühl. Also das Gefühl an sich, konzeptionell betrachtet, ist zwar ein Wort, eine Kognition sozusagen, entstehen tut dies mitunter im Körper.

In anderen Worten, die Art und Weise, wie du dich fühlst, hat mit dem Selbstbild zu tun, um ein Wort der Feldenkrais Methode zu nutzen, also wie du dich bewegst, aber auch was du verkörperst, bzw. was du im Körper empfindest. Achtsamkeitspraktiken machen sich dies zu Nutze, d.h. sie beobachten gewisse Zustände ohne diesen Zuständen anzuhängen oder nachzugehen, lediglich beobachten. Das findet sich unter anderem im MBSR nach Jon Kabat-Zinn. 

Ich gebe dir ein Beispiel. Ich liege auf dem Boden, werde ganz ruhig, atme, beobachte meinen Atem und nehme ab einen gewissen Punkt meinen eigenen Herzschlag wahr. Oder, ich gehe in die Kletterhalle nach einer längeren Pause, verausgabe mich eventuell. Ein paar Tage später könnte dies in einem Muskelkater resultieren. Oder noch besser, ich bin in einer Gruppe von Menschen, fühle mich zugehörig oder auch nicht. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit, der Muskelkater oder der eigene Herzschlag sind interozeptive Realitäten.

Fazit

Jetzt hätten wir die drei eingegrenzt, bzw. wir hätten uns diesen drei Bereichen angenähert. Die Frage am Ende des Tages, die sich dabei immer stellt, ist: Bin ich hier sicher? Damit ist die Umgebung, die Situation und die Menschen angesprochen. Ganz wichtig, das ist keine kognitive Entscheidung. Das wäre ein wenig zu einfach. Die Aufgabe unseres Gehirns besteht, neben der Organisation von Bewegung (siehe hierzu folgenden Artikel: Wozu ein Gehirn?), darin, unser Überleben zu sichern.

Bilder: