Vor kurzen lies ich die Geschichte einer großen Liebe zu Ende. Die Geschichte von Irvin D. Yalom und Marilyn Yalom. Eine Geschichte über das Leben und das Sterben. Im Kapitel “In die Sonne schauen” bezieht sich Irvin Yalom auf ein Gespräch mit einer trauernden Patientin, welche einen engen Freund verloren hat. Dieser Verlust brachte sie mit einem Gefühl in Verbindung, dem Gefühl der Angst vor dem Tod.

“Was genau fürchten Sie am Tod? fragte ich sie. Sie antwortete: All die Dinge, die ich nicht getan haben würde. 

Das fühlt sich außerordentlich wichtig an; es ist das Herzstück meiner therapeutischen Arbeit. Ich bin seit vielen Jahren davon überzeugt, dass es eine positive Korrelation zwischen der Angst vor dem Tod und dem Gefühl des ungelebten Lebens gibt. Mit anderen Worten: je geringer die Zufriedenheit im Leben, desto größer die Angst vor dem Tod.” (Yalom & Yalom, 2021, S. 92)

All die Dinge, die sie nicht getan hat? Es ist also das Nichts, vor dem wir uns fürchten und an dem hängen wir uns auf. Doch dieses Nichts hat eine größere Bedeutung als man erfühlen könnte und zwar für die einzelne Person, denn diese Bedeutung geht einher mit einem gelebten Leben. Ich erinnere mich an die Aussage eines Patienten, welcher in der Gruppe verkündete, das Leben sei einfach, wenn man verstanden hat worum es geht. In der Tat waren manche andere Patienten von dieser Aussage ziemlich geschockt. Ich fand diese Aussage toll und vor allem eines: mutig. Ist es nicht so, dass ein Warum zum Leben, das Wie viel erträglicher macht. Dieser letzte Satz stammt einst von Friedrich Nietzsche. Was der Patient eigentlich sagen wollte, geht doch eher in die Richtung von, da ist jemand, der hat sich Gedanken gemacht, und hat auch einmal hinein gespürt, was wirklich wichtig ist und hat dadurch eventuell eine große Menge an Leichtigkeit im Leben dazu gewonnen. 

Leben, ein Kampf

Jetzt mag es Menschen geben, welche das Leben eher als einen Kampf ansehen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ich kenne diese Aussage sehr gut, ich kann sie nachvollziehen und nachempfinden, denn einst war diese Aussage für mich Realität, doch nun, Jahre später, stimmt diese nicht mehr. Einst bot diese Aussage Schutz und Sicherheit, denn sie gab vor, wie die Welt und das Leben ist. Eine Aussage, die die Welt und das Leben genau definiert, schafft zu allererst einen Raum. Dieser Raum mag warm und gewohnt sein, denn seine Reduktion durch diese Aussage bietet Vorhersehbarkeit, doch nach längerem Hineinspüren bröckelt auch diese Vorhersehbarkeit. Die Welt ist also gefährlich und das Leben anstrengend. Kämpfen tut ein Mensch dann vermehrt, wenn ein Mangel besteht, wenn etwas fehlt. Eben das gelebte Leben wie vorher angesprochen. Liese sich diese Aussage auch mit einer anderen austauschen? Womöglich.

Leben, ein Spiel

Leben könnte ein Spiel sein. In diesem Spiel bin ich Teil vom Ganzen. Das Ego hat in diesem Spiel ein wichtige Funktion. Angesehen als das Bild, das ich von mir selbst habe, trägt sich dieses Bild sehr gerne nach Außen, um Anerkennung zu bekommen. Halt Halt! So könnte dieses nach-Außen-tragen langfristig zu einer Qual werden, denn aus Zwang entstanden, bringt es irgendwann ein extremes Streben mit sich, das Streben nach Anerkennung. Dieses Streben gleicht dem Kampf, von dem wir vorher gesprochen haben. Ein Kampf unterliegt ja auch gewissen Regeln, was bei einem Spiel weniger der Fall ist. Es sind eher die Prinzipien, welche hier gelten. Ein Prinzip vom Leben als Spiel wäre, das Ego zu integrieren. Dadurch entsteht Wachstum. Wachstum durch Akzeptanz. Akzeptanz durch ein Hinterfragen der ureigenen Verhaltensweisen, die am Ende des Tages doch nicht so starr aussehen wie einst gedacht. Das Ego kann also ein guter Helfer sein, mich mir anzunähern, mich mehr zu leben.

Leben, eine Melodie

Leben kann auch eine Melodie sein. Wie sagt man so schön, aus Fehlern lerne man. Diese Fehler, welche hin und wider in einer Melodie entstehen, würden wir als Dissonanz beschreiben. Diese Fehler wahrzunehmen, zu modifizieren und schließlich daraus zu lernen erzeugt Konsonanz. Musik wirkt. Sie trägt zum subjektiven Glücksgefühl bei. Zudem hat sie einen großen Einfluss auf die Körperrhythmen, wie z.B. die Herzfrequenz und die Intensität des Pulsschlags, sowie auf den Atemrhythmus, den Stoffwechsel, und das Schmerzempfinden.

Leben, eine Aufgabe

Leben kann aber auch als Aufgabe gesehen werden: Ja zu sich zu sagen, Ja zu seinem Potential zu sagen. Dies erinnert mich an die Aktualisierungstendenz nach Carl Rogers (1942). Entsteht ein Graben zwischen der Art und Weise wie ich mich sehe und wie ich mich erlebe, so nennen wir das nach Rogers Inkongruenz. Diese Inkongruenz kann in Angst, sowie in Verzerrungen von Erfahrungen münden. Diese Aktualisierungstendenz nach Rogers spricht die Entwicklung des eigenen Selbst an. Diese Entwicklung ist ein stetiger Prozess der Selbstgestaltung. Meine Aufgabe, so liese sich sagen, besteht darin, mein Leben zu gestalten. Was nun? Leben als Aufgabe, als Melodie oder als Spiel? Oder, die Aufgabe wäre, dieses Spiel melodisch zu spielen? Wie dem auch sei, es hört sich schon um einiges besser an als, Leben als Kampf. Es sind eben nicht nur Wörter, sondern auch das was noch so alles mitschwingt. Was schwingt denn mit? 

Metaphern sind wie Brillen

Was passiert denn wenn ich die Brille wechsle? Im Artikel Brillenwechel sehe ich die Brille als ein Modus, Dinge zu betrachten. Eine spezifische Brille gibt mir einen spezifischen Blick. Wechsle ich nun die Brille, so ändert sich vielleicht alles oder auch nur ein klein wenig von diesem spezifischen Blick. Laut Glucksberg (2003) sind Metaphern attributive kategoriale Behauptungen bzw. Bestimmungen. Hier wird nicht verglichen, sondern zugeschrieben. Dazu ein Beispiel: das Wort “fliegen” impliziert Bewegung in der Luft; das Wort “Pfeil” impliziert schnell. Wenn ich jetzt sage, “Ich setzte mich aufs Rad und flog davon”, dann mache ich somit eine Vorhersage in Richtung von, “sein Rad ist wie ein Pfeil”. 

Und was passiert, wenn ich “das Leben ist ein Kampf” sage? Kampf geht einher mit Krieg bzw. mit Konkurrenz. Das Wort Kampf bzw. das Wort Krieg beinhaltet auch immer ein gegen. Ich gegen den Rest der Welt, ich gegen die anderen, ich gegen das System. Das Wort “gegen” könnte sich in einer nie aufhörenden Aufgabe manifestieren, nämlich besser sein zu wollen, Nummer Eins zu sein. Doch wird dieser Zustand letztlich eintreten, und falls er tatsächlich eintritt, wird er zu einem glückseligen Leben führen? Die Fragen sind schwer zu beantworten. Es kann sein. Es kann aber auch nicht sein. 

Was nun?

Denken ist toll. Es eröffnet imaginativ Räume. Räume zum Wachstum. Untermalt mit dem Bild des melodischen Spiels habe ich somit ein Bild an der Hand, welches als Kraftbild, als innere Richtschnur gelten darf. Spüren ist noch toller, denn spüre ich die positiven Feedbackprozesse im Körper, welche ich mir durch dieses Denken ermögliche, so manifestiere ich eine neue Verhaltensweise in meinem Leben. Dies mag ein wenig dauern, ab sechs Monaten bewege ich mich dann schon Richtung Integration. Dann läuft alles vielleicht ein wenig leichter. Also, der Patient sagte, das Leben sei einfach, wenn man weiß was wichtig ist. Für mich ist Leichtigkeit sowie Echtheit wichtig. Möge die Brille auf unserer Seite sein. Was ist für dich wichtig, um dieses Gefühl der Zufriedenheit und eventuell auch das Gefühl der Leichtigkeit zu spüren?

Literatur:

  • Glucksberg, S. (2003). The psycholinguistics of metaphor. Trends in Cognitive Sciences, 7(2), 92–96. https://doi.org/10.1016/S1364-6613(02)00040-2
  • Rogers, C. (1942). Counselling and psychotherapy. New concepts in practice. Boston: Houghton Mifflin 
  • Yalom, D. Irvin & Yalom, Marilyn (2021). Unzertrennlich. Über den Tod und das Leben. München: btb Verlag