“Wechsle die Brille und du brauchst keine Pille.”

Dieser Spruch zielt darauf ab, die Brille als ein Modus, Dinge zu betrachten, anzusehen. Durch ein spezifische Brille bekomme ich einen spezifischen Blick, der nur dieser Brille zu verdanken bzw. zu verschulden ist. Wechsle ich die Brille, so ändert sich vielleicht alles oder auch nur ein klein wenig. Der Text hier stellt den Versuch dar, mit ein paar verschiedenen Denkrichtungen zu spielen. Der Feldenkrais Methode, der emotionale Konstruktivismus und die philosophische Psychologie von Peter Bieri.

Die Welt ist voll mit Menschen und deren Gehirne sind voll mit Gefühlen, Gedanken und Empfindungen. Wie wirken sich Emotionen auf unsere Wahrnehmung aus und was hat das mit Selbstbestimmung zu tun? Diesen Fragen möchte ich mich hier annähern.

Bewegen, Wahrnehmen, Fühlen und Denken

Moshé Feldenkrais sagte einst, das der Mensch nie abgekapselt nur denkt, fühlt oder sich bewegt. Es treten immer alle Tätigkeiten gleichzeitig auf, wenn auch in unterschiedlichen Stärken. Ein Mensch denkt, fühlt, bewegt sich und nimmt wahr. Wie er dies tut und wieviel er wovon tut, ist situationsabhängig. Die Feldenkrais Methode bedient sich der Bewegung und der Wahrnehmung dieser. Wir schulen sozusagen unseren Wahrnehmungshorizont in Bezug auf die Bewegung, zugunsten einer Verbesserung der Bewegung. Mit Verbesserung der Bewegung, noch genauer, mit Verbesserung unserer Bewegungsgewohnheiten, geht auch eine Verbesserung unserer Denk-, und Fühlgewohnheiten einher. Dies, könnte man sagen, läuft nebenbei ab. Im Englischen heißt es, “there is motion in emotion”. Dies bedeutet, das sobald wir an der Bewegung minimale Änderungen vornehmen, bringt dies auch emotional Änderungen mit sich. Hier würde die Veränderung einer Bewegung das Ändern einer Brille gleichkommen. Ändere ich Bewegungsmuster, sehe ich plötzlich anders hinein in die Welt. Das Sehen bekommt hier eine neue emotionale Qualität. Die Emotion steckt uns regelrecht im Knochen. Wie ist es dazu gekommen?

Emotion als Hintergrundbeleuchtung

Wir fühlen uns in der Welt, wie wir gelernt haben uns zu fühlen. Dies hat eine lange Geschichte, welche mit der Geburt, oder sogar vor der Geburt schon, beginnt. Eine Emotion kann wie ein früh installiertes Programm verstanden werden. Frühe Erfahrungen mit Bezugspersonen schaffen diese Emotionen und legen uns zeitlebens fest. In den Grundlinien des Emotionalen Konstruktivismus (Arnold, 2009) werden Emotionen als Hintergrundbeleuchtungen beschrieben, ohne diese wir nichts sehen würden. Diese Emotionen leuchten somit unser Denken, unser Wahrnehmen und unser Handeln aus, geben diesen eine bestimmte Note.

Jeder Mensch hat somit eine emotionale Grundtendenz. Dies bedeutet, dieser Mensch neigt dazu sich immer in gewisser Weise zu fühlen. Diese Grundtendenzen unterliegen weniger unserer Kontrolle. In anderen Worten, wir können sie nicht ändern, jedoch können wir diese beobachten und Feinjustierungen vornehmen. Gefühle wiederum sind temporäre Erscheinungen, die mehrmals am Tag auftauchen und wieder verschwinden. Anders als die Emotion, die mehr als Hintergrundbeleuchtung verstanden werden können, leuchten Gefühle kurz auf und sind dann wieder weg. Gefühle sind alt, schnell und klar, doch manchmal unangebracht, denn unser Zusammenleben ist weitaus komplexer geworden als es noch vor tausenden von Jahren war, als schnelle Entscheidungen und Reaktionen zum Überleben nötig waren. Hier können wir durch Abstand und einer Feinjustierung etwas an unserer Reaktionstendenz ändern, nämlich nicht immer gleich zu reagieren, sondern Variation mit einzubauen, durch das Wechseln einer Brille. 

Die emotionale Färbung der Wahrnehmung

Wenn unsere Welt zuerst eine emotionale ist, und dann erst eine erzählerische wird, so ist es von großer Wichtigkeit, was wir uns erzählen. Wenn gewisse Personen gewisse Gefühle in uns auslösen, ist es wichtig zu verstehen, das die Ursache dieser Gefühle immer noch in uns liegt und nicht ausserhalb von uns. Wenn wir uns jetzt selbst verändern möchten, wenn wir mit der jetzigen Art und Weise unseres Seins nicht zufrieden sind, wie fangen wir damit an? Peter Bieri (2011) schreibt in seinem Buch, das wir uns selbst zum Thema machen. Wir bauen eine gewisse Distanz zu uns auf.

Dies hat viel Fragen zu tun. Wer bin ich und wie bin ich zu dem geworden? Diese Fragen werden zu einer Art zweiten Natur. Somit entstehen durch bestimmte Frage neue Antworten, im Sinne von neuen Erfahrungsräumen, oder von neue Brillen. Für Selbstveränderung bzw. Selbstbestimmung, wie Herr Bieri schreibt, brauchen wir dazu Wissen, Geduld und Mut. Wir halten uns dabei immer vor Augen: Emotionen beeinflussen unseren Wahrnehmungshorizont. Deswegen ist es ratsam, seiner Wahrnehmung mit ein wenig Skepsis entgegenzutreten, mag sie einem auch noch so gewiss erscheinen. Wahrnehmung ist emotional gefärbt und die Emotionen sind geschichtlich gefärbt. Somit stellt sich uns Neues immer im Licht unserer Erfahrung dar. Manchmal machen wir es uns schwer Neues zuzulassen, aufgrund unseres Erfahrungshorizontes. Wir sind meist das, was wir aushalten können, nicht das, was wir sein könnten, denn es ist leichter an alten Mustern festzuhalten, welche Sicherheit geben, auch wenn diese abträglich sein sollten.

Die Erweiterung des Wahrnehmungshorizontes

Diese alten Muster können wir auch Primärkonstruktionen (Arnold, 2009) nennen. Diese nehmen wir in den Blick, wir beobachten sie. Diese Primärkonstruktionen lauten Bewahren und Wandel, Nähe und Distanz. Hierbei wird prinzipiell auf das Sicherheitsbedürfnis abgezielt. Jeder Mensch möchte sich zuerst sicher fühlen. Der eine tut dies, in dem er an Bewährtem festhält, der nächste, in dem er ständig Änderung sucht. Ein wieder anderer sucht Sicherheit in der Nähe zu den Menschen und zu guter letzt gibt es noch den, der Sicherheit in einer gewissen Distanz findet. Es kann nicht von Veränderung gesprochen werden, wenn Verhalten nur durch ein neues Vokabular ausgekleidet wird, jedoch die Primärkonstruktionen ausser Acht gelassen werden. Es braucht beides, die narrative Konstruktion, welche sich mit der emotionalen Erfahrung verbindet.

Immer wieder an Bekanntem festzuhalten, Neues nicht in die Wahrnehmung integrieren zu wollen, hindert einen Menschen auch daran den Wahrnehmungshorizont zu erweitern. Was zu tun ist, ist die Art und Weise wie man denkt, fühlt und wahrnimmt unter die Lupe zu nehmen, diese genau zu beobachten, und sich Fragen zu stellen, woher diese Konstruktionen rühren.

Fazit

Was kann ich aus dem Gesagten mitnehmen? Ein selbstbestimmtes Leben ist auch ein Leben das Reflexion voraussetzt. Selbstverantwortung wächst mit dieser Selbstreflexion. Ich stelle mich und meine Wahrnehmungen in Frage, denn der erste Eindruck trügt. Ich bin mir meiner Brille, beziehungsweise meiner Brillen, durch die ich die Welt erblicke, bewusst. Dies führt zu einer Achtsamkeit in vierfacher Weise. Ich bin achtsam auf mein Denken, mein Fühlen, mein Bewegen und mein Wahrnehmen. Falls du soeben größeres Interesse an Peter Bieri entdeckt haben solltest, ich kann ihn wärmstens empfehlen.

Literatur:

  • Arnold, Rolf (2009). Seit wann haben Sie das? Grundlagen eines Emotionalen Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer Verlag
  • Bieri, Peter (2011). Wie wollen wir leben? Heidelberg. Salzburg: Residenz Verlag

Bilder:

  • Foto von Engin Akyurt auf Unsplash