“Never lie. Never say that something has moved you if you are still in the same place” (Winderson, 1997).

Es dürfte ungefähr Sommer 2015 gewesen sein. Ich nahm an einer Tanz-Klasse teil bei Lily Kiara und Julie Nathanielsz. Die Technik heißt “Skinner Releasing Technique” nach Joan Skinner. Es ist schon irgendwie interessant. Ich sehe gewisse Parallelen zu Moshé Feldenkrais. Joan Skinner hatte auch eine Verletzung und zwar in der Wirbelsäule, welche fast ihre Tanzkarriere beendete. Sie ging zu Judy Leibowitz, eine Lehrerin der Alexander Technik und lernte, ihren Rücken anders zu gebrauchen. Dieses Lernen half ihr, weiter auf ihrem Weg zu bleiben, keinen Verletzungen mehr zu begegnen und ihren Ansatz zu unterrichten.

Was ist SRT - Skinner Releasing Technik?

Worum geht es bei SRT? Wenn ich das überhaupt in Worte fassen kann, dann würde ich mich dem so annähern. Um Kreativität, Spontanität, Flexibilität und Kraft. Es sind Gewohnheiten, körperliche Muster, die uns halten aber auch festhalten, die die Energie fließen lassen oder auch blockieren. Wie bei Feldenkrais, so auch bei SRT, wollen wir mehr Freiheit in der Bewegung, denn Freiheit in der Bewegung bedeutet Freiheit im Leben. Freiheit im Leben kommt einer spontanen Kreativität gleich. Bewegungen entfalten sich, intuitiv und experimentell. Der Fokus liegt nicht nur auf dem physischen Körper, sondern geht darüber hinaus auch zu energetischen Körpern. Körper, die miteinander tanzen. 

Lily Kiara und poetischer Tanz

Diese Tanz-Klasse, angeleitet von Lily Kiara, war einfach nur phänomenal. Sie erinnerte mich an das Konzept “organisches Lernen” nach Feldenkrais, in dem wir alle Teile miteinander integrieren und miteinander sprechen lassen. Lily assoziierte Bewegungen mit einem Gedicht. Ein Gedicht hat eine bestimmte Art und Weise zu starten, eine bestimmte Interpunktion und ein bestimmtes Ende. Ein Gedicht nutzt bestimmte Wörter, aber auch der Platz, bevor das erste Wort startet und das letzte Wort endet, gehört zu dem Gedicht. So ist dies auch mit Bewegung laut Lily. Immer bevor wir Bewegung starten war schon etwas da. Die kurze Zeit davor, aber auch die längere Zeit davor war schon etwas da. Dieses Etwas produziert die Bewegung. Wenn die Bewegung endet nehmen wir das Nachspiel wahr, das Nachspiel dieser wellenförmigen Bewegungen. Der Prozess war ein Fortschreiten hin zu einer flüssigeren Bewegung, ohne Anfang und ohne Ende, nicht ausgelöst durch innere zwanghafte Muster, sondern durch eine innere sonore Stimme, welche impulsartig etwas auslöst, immer wieder auslöst, von Welle zu Welle. 

Leichtigkeit und Verbindung

Nach ca. fünf Stunden fühlte ich mich so unglaublich gelöst. Ich fühlte mich leicht. Ich fühlte mich verbunden mit dem Boden, mit mir, mit anderen. Und vor allem fühlte ich mich verbunden mit diesem sonoren inneren Impulsen. Mir kam danach immer der Gedanke der Synchronizität, d.h. für mich die Verbindung von einem inneren Impuls, einer inneren Regung und den körperlichen Ausdruck. Dieser körperliche Ausdruck tanzt. Manchmal fragen mich Freunde, was ich gestern so getan habe. Ich sage manchmal, Impulsarbeit. Ich weiß, woher die Idee kommt und ich freue jedes Mal darüber, diese Erfahrung gemacht zu haben. SRT ist einfach nur wunderschön. Es kann so einfach sein, wenn ein Mensch zuhört.

Stille hilft

So schreibt Lily Kiara (2021), manchmal bedarf es der Stille, um hinzuhören, der Stille im Innen. Diese Stille kann auch durch das Hinhören evoziert werden. Das macht Zuhören zu etwas körperlichen. Ein verkörpertes Hinhören, oder noch besser, ein Hineinhören, in den Körper, in die Bilder, in die Aufmerksamkeit. Dieses Hinhören kann einen klaren Fokus haben oder auch aus einem Loslassen bestehen. Dieses Loslassen könnte die Aufmerksamkeit noch weiter öffnen, für das was noch im Raum vorhanden ist. Bilder können uns dabei leiten, nachdem wir Verbindung zum Körper hergestellt haben. Die geschlossenen Augen sind dabei sehr sehr sehr hilfreich. Neben der Stille darf die Sicherheit nicht fehlen. Warum?

Sicherheit ermöglicht Stille

Julie Nathanielsz (2021) verbindet die Theorien von Stephen Porges und Antonio Damasio. Was sage ich dazu? Ich finde es toll!!! In SRT steht das Gefühl von Sicherheit ganz weit oben, denn dieses Gefühl ermöglicht erst das volle Potential der Bewegungen zur Entfaltung zu bringen. Das Gefühl von Sicherheit hat nach Stephen Porges (2011) mit Neurozeption zu tun. Die Neurozeption sorgt dafür, ob wir in Sicherheit oder in Gefahr sind. Die Neurozeption ist unterbewusst und agiert sehr schnell, um unser Überleben zu sichern. Näheres zur Neurozeption findest du hier: Was bedeutet Neurozeption? Bei SRT werden Tänzer dazu angeleitet, in die Stille zu gehen, hinzuhören, das Innen zum Ausdruck zu bringen. Ohne Vertrauen ist dies schwer machbar. Vertrauen zur Gruppe, Vertrauen zu sich selbst. Ein sicherer Raum ermöglicht dieses Vertrauen aufzubauen, zu vertiefen. Stille stellt dabei ein offenes Fenster zu möglichen Bewegungsräumen dar (Nathanielsz, 2021). Etwas neues darf entstehen. Dieses Neue kommt aus dem Körper und geht durch den Körper hindurch nach Außen.

Die treibende Kraft der Emotion

Wenn wir über Gefühle sprechen, so sind wir bereits im Kopf, in der Großhirnrinde. Wenn wir das tun, sind uns diese Gefühle bewusst geworden, körperlich bewusst geworden. Diese körperlichen Zustände gilt es zu ermöglichen, durch Sicherheit, durch Stille. Antonio Damasio hat dazu sehr wichtige Beiträge geliefert, wenn er sagt, dass Emotionen ein Produkt des Geistes seien, welche dabei helfen können die Rolle des Körpers wiederherzustellen. Diese Wiederherstellung ist die Verbindung von “mind” zu “body”, aber auch die Verbindung von Innen und Außen, die Verbindung von mir zu anderen Lebewesen. Sicherheit setzt den Rahmen, Stille öffnet eine neue Tür, die Verbindung zur Emotion schafft etwas neues. Diese Neue wird dann ein Teil von mir.

Viele Teile, ein Zusammenhalt

“Memory is necessary for self-cohesion; it functions as a dynamic process holding who we are and organising what we can expect as we encounter new experiences” (Homann, 2010). Bevor wir Dinge bewusst wahrnehmen und dann darüber sprechen, passieren viele verschiedene Dinge. Gewisse Zentren im Gehirn, die Amydala, der Hippocampus, der Thalamus spielen bei diesem Spiel mit. Körperlich erfahren, emotional untermauert und dann erst bewusst kognitiv eingeordnet, das wäre der Ablauf. Wenn es jetzt um Verbindung geht, und darum geht es doch, zumindest für mich, und höchstwahrscheinlich für viele andere Menschen auch, wie komme ich denn da jetzt hin?

Nochmal Feldenkrais

Ein Mensch möchte auf seinen Weg sein. Dieser ist abhängig von seinen Wahrheiten. Diese fußen auf seiner Wahrnehmung. Die Wahrnehmung hat sehr viel mit Sicherheit zu tun. Sicherheit ermöglicht dann eine gewisse Stille. Stille ermöglicht das Hinhören und das Hineinhören. Dieses Hören ermöglicht das Innen nach Außen zu bringen, neues auszuprobieren, neue Wege zu gehen, d.h. neue Bewegungen zu machen. Diese Exploration ist ein Prozess, ein Fluß, welcher nicht stehen bleibt. Eine immer mehr vertiefte Selbstorganisation wäre ein Ergebnis auf diesem Weg. Mehr bei mir sein, mehr mit mir sein, mehr ich sein. Die verschiedenen Teile, die sich nun liebevoll die Hand geben. Das wäre für mich die “self cohesion” von der Homann spricht.

Abschließend…

Und wenn das dann der Fall ist, vielleicht bewegt mich dann etwas so sehr, dass ich nicht mehr am gleichen Ort bin. Und ich rede nicht nur vom physikalischen Ort. Aber das wäre ein ganz anderes Thema. 

Alles in Allem, Skinner Release Technik in Austin, Texas, war ein phänomenale Erfahrung. Ich werde es nicht vergessen. Wie könnte ich denn auch?!? Die Impulse in mir. Die Expression von innen nach außen. Das ist Lebendigkeit. Schau Dir bitte noch mal das Eingangsbild an 😉

Literatur:

  • Damasio, Antonio R. (1999). The feeling of what happens. Body and emotion in the making of consciousness. New York: Harcourt Brace
  • Homann, K. B. (2010). Embodied concepts of neurobiology in dance/movement therapy practice. American Journal of Dance Therapy, 32(2), 80–99. https://doi.org/10.1007/s10465-010-9099-6
  • Kiara, Lily (2021). Listening into Clarity. Poetic Embodiment. In: Emslie, Manny A. Skinner Releasing Technique. A Movement and Dance Practice. Axminster: Triarchy Press
  • Nathanielsz, Julie (2021). Attending to Details of Difference. In: Emslie, Manny A. Skinner Releasing Technique. A Movement and Dance Practice. Axminster: Triarchy Press
  • Porges, Stephen W. (2011). The Polyvagal Theory: Neurophysiological foundations of emotions, attachment, communication, and self-regulation. New York: W. W. Norton.
  • Winterson, Jeannette (1996). Art Objects: Essays on Ecstasy and Effrontery. New York: Vintage

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