Kann jemand durch Power Posing innere Stärke verkörpern? Hier möchte über Embodiment, Amy Cuddy und das Vertrauen, das aus dem Körper kommt, sprechen. In meinem Artikel Der vertrauensvolle Gorilla beschreibe ich, wie sich Körperhaltung auf das subjektive Empfinden von Sicherheit und Selbstwirksamkeit auswirkt – nicht als theatrale Geste, sondern als tief verkörperte Botschaft an das eigene Nervensystem. Die zentrale These: Wer in sich ruht, strahlt das aus. Doch was heißt das konkret? Wie kann Vertrauen tatsächlich über den Körper entstehen – und lässt sich das üben?
Ein vielbeachteter Ansatz stammt von der US-amerikanischen Sozialpsychologin Amy Cuddy. Ihre Forschungen zur Wirkung sogenannter „Power Poses“ haben international Debatten ausgelöst – zu Recht. Denn sie berühren einen sensiblen Punkt unserer Zeit: das Verhältnis von Innen und Außen, von psychischer Verfassung und körperlichem Ausdruck.
Was sind Power Poses eigentlich?
Der Begriff „Power Pose“ beschreibt expansive, offene Körperhaltungen, die mit Dominanz, Kontrolle und Zuversicht assoziiert sind. Beispiele sind: aufrechter Stand mit geöffneten Armen, Hände in die Hüften gestemmt („Wonder Woman“-Pose) oder entspannt zurückgelehnt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. Amy Cuddy und ihre Kolleg:innen wollten wissen: Wirken solche Haltungen nicht nur auf andere – sondern auch auf uns selbst?
In ihrer ersten vielzitierten Studie zeigen Carney, Cuddy und Yap (2010), dass bereits zwei Minuten in einer Power-Pose zu messbaren Veränderungen führen können. Versuchspersonen, die eine solche Haltung einnahmen, berichteten nicht nur von gesteigertem Selbstvertrauen – es veränderten sich auch hormonelle Marker: Der Testosteronspiegel (assoziiert mit Dominanz) stieg, während das Stresshormon Cortisol sank (Carney, Cuddy & Yap, 2010).
„Our bodies change our minds. Our minds change our behavior. And our behavior changes our outcomes.“ – Amy Cuddy
Die Botschaft ist klar: Körpersprache ist keine Einbahnstraße. Sie wirkt nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst. Der Körper kommuniziert nach innen – nicht bloß nach außen.
Kritik und Weiterentwicklung der Studien
Die erste Studie von Cuddy et al. war nicht unumstritten. Spätere Replikationsversuche konnten insbesondere die hormonellen Effekte nicht eindeutig bestätigen. Die Debatte wurde öffentlich – manche Medien sprachen sogar von einer „Entzauberung der Power Poses“. Doch Cuddy reagierte differenziert: In einer Folgestudie (Cuddy, Schultz & Fosse, 2018) konzentrierte sie sich auf das psychologische Erleben der Teilnehmenden – und stellte fest: Der Effekt auf das Selbstempfinden bleibt signifikant.
Die Ergebnisse zeigten, dass expansive Körperhaltungen subjektiv erlebte Kraft, Selbstsicherheit und Präsenz steigern – unabhängig von biologischen Markern wie Hormonen. Cuddy spricht daher lieber von postural feedback statt von „Power Posing“: also einer Rückkopplung zwischen Haltung und innerem Zustand (Cuddy, Schultz & Fosse, 2018).
Diese Unterscheidung ist wichtig – nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern auch aus therapeutischer Perspektive. Denn sie macht deutlich: Es geht nicht um ein äußeres Machtgehabe, sondern um innere Regulation. Um die Rückgewinnung eines körperlich verankerten Vertrauens.
Embodiment und Vertrauen: Ein neuropsychologischer Blick
Vertrauen ist kein rein kognitiver Zustand. Es entsteht auf der Ebene des autonomen Nervensystems – und ist eng verbunden mit dem Gefühl von Sicherheit im eigenen Körper. Wer sich aufrecht und weit macht, gibt dem Organismus ein klares Signal: Ich bin nicht in Gefahr. Dieses Signal wirkt bis in die tiefen Schichten unseres Gehirns, insbesondere in den Hirnstamm und das limbische System, wo Bedrohung und Schutz verarbeitet werden.
In der somatischen Therapie nutzt man diesen Zusammenhang gezielt: Körperhaltungen, Atemrhythmen und Muskeltonus werden bewusst verändert, um das subjektive Erleben von Sicherheit zu fördern. Power Posing kann dabei als einfache, aber wirksame Einstiegstechnik dienen – nicht um andere zu beeindrucken, sondern um mit sich selbst in Beziehung zu treten.
Akter und Sultana (2024) betonen in ihrer Studie die Bedeutung von Mimik, Stimme und Körpersprache für Vertrauen in der Kommunikation – auch in geschäftlichen Kontexten. Besonders interessant: Der Effekt sei nicht nur beim Gegenüber spürbar, sondern beginne bereits in der Selbstwahrnehmung der sprechenden Person. Diese Rückkopplung zwischen Ausdruck und Gefühl ist ein zentrales Element jeder Embodiment-Praxis.
Keith Adams und der stille Dialog des Körpers
Auch die Studie von Keith Adams (2022) unterstreicht, dass Körpersprache nicht nur Ausdruck, sondern auch Regulation innerer Zustände ist. In seinem Überblick über Redner und öffentliche Auftritte wird deutlich: Menschen, die sich bewusst aufrichten, klare Gesten nutzen und ruhig atmen, wirken nicht nur überzeugender – sie fühlen sich auch stabiler.
Besonders spannend: Adams verweist explizit auf die Verbindung zu Cuddys Power-Pose-Forschung und betont, dass Selbstsicherheit durch den Körper entstehen kann – nicht bloß im Kopf. Für viele Menschen, die sich vor Reden oder in sozialen Situationen unsicher fühlen, ist das ein echter Perspektivwechsel: Es braucht nicht immer erst inneres Selbstvertrauen, um sich aufzurichten. Oft entsteht Selbstvertrauen genau dadurch.
Praktische Anwendung: Vertrauen über den Körper herstellen
Wie kann man sich diesen Effekt im Alltag zunutze machen? Hier ein einfaches Übungsbeispiel: Embodiment-Übung: Zwei Minuten innere Stärke
- Stelle dich hüftbreit auf, die Füße fest am Boden.
- Die Arme stützt du locker in die Hüften, der Brustkorb ist weit, der Blick geradeaus.
- Atme tief und ruhig in den Bauch.
- Bleibe für zwei Minuten in dieser Haltung – ohne Ablenkung.
- Spüre nach: Wie verändert sich dein innerer Zustand?
Diese Mini-Intervention lässt sich in vielen Kontexten nutzen: vor einem wichtigen Gespräch, einem Auftritt, einem Bewerbungsgespräch – oder einfach als tägliches Ritual, um dich mit deiner eigenen Kraft zu verbinden. Du möchtest es gleich mal ausprobieren? Dann klicke hier auf die Audio und erlebe den Unterschied zwischen vorher und nachher.
Fazit: Vertrauen beginnt im Körper
Die Idee, dass man sich „hineinfühlen“ muss, um Vertrauen zu erleben, greift zu kurz. Manchmal braucht es zuerst die Haltung, dann stellt sich das Gefühl ein. Der Körper kann Wegweiser sein – nicht als Ersatz für psychische Prozesse, sondern als Ressource, die oft übersehen wird.
Cuddy hat mit ihrer Forschung ein Fenster geöffnet: zu einem verkörperten Verständnis von Selbstwirksamkeit und Präsenz. Und auch wenn die biologische Messbarkeit diskutiert wird – die subjektive Erfahrung bleibt kraftvoll. In einer Welt, die oft auf äußere Kontrolle setzt, kann es heilsam sein, die inneren Quellen der Stärke wiederzuentdecken. Der Körper ist eine davon.
Literatur:
- Adams, K. (2022). The benefits of using effective body language in public speaking. IOSR Journal of Research & Method in Education (IOSR-JRME), 12(5), 17–23. https://www.iosrjournals.org/iosr-jrme/papers/Vol-12%20Issue-5/Ser-3/C1205031723.pdf
- Akter, F., & Sultana, R. (2024). The role of nonverbal communication: A study of body language, tone of voice, and facial expressions in public speaking and business communication. Port City International University. https://www.researchgate.net/publication/390941503
- Carney, D. R., Cuddy, A. J. C., & Yap, A. J. (2010). Power posing: Brief nonverbal displays affect neuroendocrine levels and risk tolerance. Psychological Science, 21(10), 1363–1368. https://doi.org/10.1177/0956797610383437
- Cuddy, A. J. C., Schultz, S. J., & Fosse, N. E. (2018). P-Curving a more comprehensive body of research on postural feedback reveals clear evidential value for power-posing effects: Reply to Simmons and Simonsohn (2017). Psychological Science, 29(4), 656–666. https://doi.org/10.1177/0956797617746749
Bilder: