Kennst du das Gefühl, du wachst morgens auf und fühlst dich steif? Es muss nicht einmal die nächtliche Ruhephase sein, sondern es kann auch eine längere Pause am Tag sein. Die Gelenke melden sich, es wirkt alles nicht mehr so geschmeidig, nicht mehr so geschmiert. Im Laufe des Tages jedoch ändert sich dieser Zustand. Der Lauf zur U-Bahn oder einfach schon das morgendliche Prozedere in der Küche und im Badezimmer und siehe da, die anfängliche Steifheit ist wieder weg. Und nun? Kommt sie wieder oder bleibt sie fern?

Morgensteifigkeit, ein Symptom

Morgensteifigkeit und Muskelschmerzen, beides zusammen, das könnte der Beginn einer Erkrankung namens Rheuma sein. Rheuma belagert nicht nur die Gelenke, sondern auch noch die Muskeln, sowie auch weitere Organe. Die kleinen Gelenke sind für Rheuma typisch, angefangen bei Fingergelenken bis zu den Sprunggelenken. Anders sieht es bei Arthrose aus, denn hier werden typischerweise die größeren Gelenke wie Hüfte und Knie belagert. Die Muskeln lassen die Ärzte hier außen vor. Sätze wie “Ich hatte schon immer ein Knirschen im Knie”, bzw. “Beim Treppe runterlaufen fühlte ich mich immer schon unwohl” sind typische Aussagen von Patienten mit einer Kniegelenksarthrose. Wieder ein anderer Missetäter nennt sich Multiple Sklerose. Auch hier kann Morgensteifigkeit ein Erscheinungsbild dieser Krankheit sein, wobei hier eine Erkrankung der Nervenisolierung zugrunde liegt. Wusstest du schon, dass wenn der Kortisonspiegel in der Nacht absinkt, dies zu einer gesteigerten Entzündungsreaktion im Körper führen kann. Geringere Beweglichkeit zum einen und stärkere Gelenkschmerzen wären das Resultat der nächtlichen Entzündungsreaktion. Während des Tages pendelt sich der Kortisonspiegel wieder ein und zwar durch Bewegung.

Du hast richtig gelesen, durch Bewegung! Die Entzündungsprozesse werden dadurch gehemmt. Speziell bei Frauen kann auch die Hormonumstellung im Zuge der Wechseljahre ein ausschlaggebender Faktor für Gelenk-, und Muskelschmerzen sein. Dieser Faktor sollte jedoch nach der Hormonumstellung des Körpers wieder bereinigt sein und keine weiteren Probleme verursachen. All diese vorher genannten Erkrankungen verursachen das Symptom Morgensteifigkeit bzw. verursachen Muskel,- und/oder Gelenkschmerzen.

Im Nachhinein ist man immer schlauer, ..., immer?

“Hättest du nur mit dem Krafttraining nicht begonnen, dann wärst du jetzt beweglicher”, “Ich wusste es ja schon immer, Tennis ist ungesund für das Kniegelenk”, oder “Mit der richtigen Ernährung wäre dir das nie passiert”. Das sind meist Aussagen von Leuten, welche sich als große Analytiker verstehen und im Nachhinein alles erklären können. Dieser sogenannte Rückschaufehler, ein Begriff aus der Psychologie, unterliegt der Fehlannahme, nach dem Eintreten eines Ereignisses zu glauben, dass man es vorhersehen hätte können. Der gesunde Menschenverstand und unsere Intuition beschreiben ziemlich gut Dinge, welche schon passiert sind. Er beschreibt diese Dinge kohärent und zwar subjektiv kohärent. Frage fünf verschiedene Menschen und du bekommst eventuell fünf völlig unterschiedliche und sehr glaubwürdige kohärente Erklärungen für die Morgensteifigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen. Wem glaubst du nun? Interventionsvorschläge zu machen, ist nicht immer eine leichte Sache, denn es richtet sich zuerst einmal nach der zugrundeliegenden Erkrankung. Primär wird die Intervention darauf abzielen, die Entzündungen im Gelenk zu lindern, die Beweglichkeit wieder zu verbessern und eventuell Ernährungsempfehlungen zu geben. Somit kommen Medikamente wie Ibuprofen bei Arthrose oder Kortisol bei Rheuma ins Spiel.

Vorher ist nachher!

Wäre es nicht angebracht, vorher schon ein wenig zu tun, um gar nicht erst so viele Verspannungen aufzubauen? Stimmst du mir zu? Dann beginne noch heute mit Feldenkrais. Darf es auch etwas anderes sein? Natürlich darf es auch etwas anderes sein. Hast du schon mal das Wort Pandikulation gehört? Wenn du dieses Wort jetzt im Internet nachschlägst, findest du wahrscheinlich heraus, dass es sich hierbei um ein Dehnen und Anspannen der Muskulatur handelt, insbesondere kommt dies beim Gähnen vor. Beobachte mal irgendeine Katze. Die machen dies den ganzen Tag und sind sie nicht ziemlich flink und vor allem beweglich?!?

Pandikulation ist kein Stretching

Ist das jetzt Stretching? Neueste Erkenntnisse aus den Sportwissenschaften besagen, dass ein statisches Stretching, also das Halten der Muskelspannung in einer gewissen Endposition für ca. 30 Sekunden, sogar kontraproduktiv sein soll. Weder zum Aufwärmen, noch nach dem Training wäre es empfehlenswert. Beim Aufwärmen setzt es den Muskeltonus herab, welcher so wichtig ist, vor allem bei Sportarten, welche Schnelligkeit, Power und Kraft benötigen, um überhaupt eine anständige Leistung zu vollbringen. Am Ende eines Trainings unterbricht es angeblich den Regenerationsprozess und dies verstärkt wiederum einen möglichen Muskelkater. Aus diesem Grund wird empfohlen sich ca. eine Stunde nach dem eigentlichen Training zu dehnen.

Aber beim Dehnen findet kein Lernprozess im Zentralnervensystem statt, da der Muskel in die Länge gezogen wird, was wiederum die Leistungsfähigkeit des Muskels herabsetzt und dies kann auch noch Schmerzen bereiten. Die Längenänderung, und dies ist ein wichtiger Punkt, ist nicht anhaltend, sondern nur vorübergehend. Was sich anpasst, ist die Schmerztoleranzgrenze, und dies tut sie auch nur, wenn wir regelmäßig an unseren Muskeln ziehen.

Kein Stretching der Welt trainiert das Nervensystem. Das Grundniveau bzw. der Grundtonus eines Muskels wird durch die Alpha-Gamma Feedback Schleife gesetzt. Somit kann nur ein Umlernen durch langsame bewusste und intentionale Bewegungen. An bereits steifen Muskeln zu ziehen, macht diese nur noch steifer. Der Muskeln wird sich wehren. Sie wehren sich aufgrund des Stretch Reflexes.

Was ist ein Stretch Reflex?

Wenn ein Muskel über einen gewissen Bereich hinaus gedehnt wird, werden Muskelspindel in eine spezifische Position gebracht, welche sie dazu veranlasst Nervenimpulse zu senden, den Muskel anzuspannen und zwar als Schutzmechanismus, d.h. um am Leben zu bleiben und Verletzungen zu vermeiden. Laut Stephen Porges geht ein steifes Gefühl im Körper mit dem Gefühl von Bedrohung einher. Der Muskel als Exekutive versucht uns dann zu schützen. Diese Bedrohung resultiert in Steifheit. Steifheit ist somit auch eine Sache der Wahrnehmung (Stanton, et al., 2017). Allerdings passiert vieles unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle. Wenn ich mich aktiv statisch dehne, senden meine bewussten intentionalen Anteile im Gehirn die Info zu dem Muskel, länger zu werden. Die nicht bewussten Anteile (Dehnreflex) setzen ein und verhindern die Überdehnung durch Anspannung.

Wenn ich Muskeln jenseits eines Punktes bewege, wo sich Muskeln und Sehnen aktiv und bewusst verlängern lasse, dehne ich die passiven Strukturen, also Bänder. Dann werden die Bänder flexibler, was nachteilig ist, denn es kann sein, dass diese sich dann nicht mehr zurückbilden, also keine gelenkstabilisierende Funktion mehr haben. Jetzt könnte auch der Stretchreflex durch das statische Stretching abnehmen. Der Muskel scheint jetzt länger zu sein und auch zu bleiben, doch dies scheint nur kurzzeitig der Fall zu sein. Längeres statisches Stretching vermindert aber auch die Leistungsfähigkeit eines Muskels, verringert die Gelenkstabilität. Durch statisches Stretchen wird, wie bereits erwähnt, an der Toleranz gearbeitet. Was hier zunimmt ist nicht die Muskellänge sondern die Schmerztoleranzgrenze. Die Wahrnehmung hat sich geändert, aber nicht die tatsächliche Struktur.

Mittendrin statt nur dabei!

Nun zurück zur erwähnten Pandikulation. Worum geht es genau bei dieser Technik? Bei dieser Technik begeben wir uns in einen aktiven Lernprozess über unsere Sensomotorik, also über unser Bewegungs- und Wahrnehmungsverhalten. Pandikulation beschäftigt sich mit Bewegungsmustern, im Gegensatz zum Dehnen, welches meistens nur einen Muskel bzw. eine Muskelgruppe aufs Korn nimmt. Der sensomotorische Kortex kümmert sich um die kinästhetische Wahrnehmung, also die Wahrnehmung von unserem Körper im drei-dimensionalen Raum. Dafür senden die Muskeln ja ständig Informationen über ihren Spannungszustand zum Kortex. Genau diese Informationen brauchen wir nun, um eine bessere Kommunikation zwischen Gehirn und Körper herzustellen, um uns besser zu bewegen, neue Bewegungen zu lernen und zu programmieren.

Pandikulation uns SMA

Das Wort Pandikulation wird auch mit der sensomotorischen Amnesie, kurz SMA, in Verbindung gebracht. Wenn ältere Schichten des Gehirns, also nicht der sensomotorische Kortex, den Muskeltonus kontrollieren, kann dies zur chronisch angespannten bis hin zur verspannten Muskulatur führen. Was einst ein Unfall, bzw. ein Traumata war, oder ganz einfach das stressige alltägliche Leben ist, führt irgendwann zu Schmerzen in den Gelenken, schlechter Haltung und flacher Atmung, aufgrund der verspannten Muskulatur. Da wir aber die Kontrolle über die Muskeln möchten, können wir lernen uns zu entspannen. Dies erreichen wir, indem wir den Muskel über die komplette Bewegungsamplitude nutzen. Es entsteht nicht nur eine Verbesserung der Stoffwechselvorgänge und eine bessere Energiebereitstellung, sondern vor allem, und das ist hier der wichtigste Punkt, eine bessere Ansteuerung der Muskeln durch das Nervensystem. Je besser unsere Sensomotorik, desto besser wird die Kontrolle der Muskulatur, desto weniger Schmerzen haben wir, da wir nicht mehr in dem Modus “automatischer Pilot” durchs Leben laufen. Wenn das nicht mal ein Grund ist, Pandikulation in den Alltag zu integrieren.

Wie läuft eine sogenannte Pandikulation ab?

Wir spannen die Muskeln bzw. den Muskel aktiv und bewusst an, über seinen gewohnheitsmäßigen Tonus hinaus. Nennen wir dies mal Kontrolle zurückgewinnen, die wir spüren. Dies stellt gleichzeitig einen Unterschied zum statischen Stretching dar, wofür wir nicht wirklich fokussiert sein müssen. Dann reduzieren wir aktiv die Spannung bis hin zur Entspannung. Das Gehirn speichert nun diese neue Längenänderung in der Muskulatur ab und hat somit etwas gelernt. Nämlich folgendes: eine neue Muskellänge durch Reduzierung des Muskeltonus. Es ist wie Gähnen und wer kann nicht sagen, dass dies nicht entspannend ist.

Abschluss

Noch mal in Stichpunkten: Pandikulation schult unsere Sensomotorik, bringt dauerhafte Veränderungen bezüglich Längenänderungen mit sich. Dafür benötigt es unsere volle Bewusstheit. Pandikulation befreit uns von SMA und setzt die Alpha-Gamma Feedback Schleife auf Null.

Jetzt ist es so, das wir altern und Gewohnheiten entwickeln, d.h. Pandikulation kann nicht alle Gewohnheiten ungeschehen machen. Wichtiger scheint demnach zu sein unsere senso-motorische Bewusstheit aufrechtzuerhalten.

Literatur:

  • Stanton, T.R., Moseley, G.L., Wong, A.Y.L. et al. (2017). Feeling stiffness in the back: a protective perceptual inference in chronic back pain. Sci Rep 7, 9681. https://doi.org/10.1038/s41598-017-09429-1

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