Hast du dich jemals gefragt, warum du bestimmte Dinge einfach nicht tun kannst, obwohl du es dir wünschst? Vielleicht hast du das Gefühl, in einem unsichtbaren Netz gefangen zu sein, das deine Entscheidungen lenkt und deine Möglichkeiten begrenzt. Dieses Netz besteht oft aus deinen eigenen Glaubenssätzen. Was aber, wenn genau diese Glaubenssätze wie ein Gefängnis wirken – ein Gefängnis, das du dir selbst gebaut hast?
Die Macht der Glaubenssätze
Glaubenssätze sind wie unsichtbare Landkarten, die dein Verhalten und deine Wahrnehmung der Welt steuern. Sie können dir Orientierung und Sicherheit geben, aber sie können dich auch einschränken. Norbert Elias beschreibt in "Über den Prozess der Zivilisation", wie soziale Normen und innere Zwänge über Jahrhunderte hinweg ein feines Geflecht aus Regeln und Erwartungen geschaffen haben. Diese äußeren Zwänge werden internalisiert und zu einem Teil unserer Identität.
In deinem Alltag zeigt sich das vielleicht so: Du bist überzeugt, dass du erst erfolgreich bist, wenn du einen bestimmten Status erreicht hast, oder dass du immer für andere da sein musst, um wertvoll zu sein. Diese Glaubenssätze sind nicht neutral; sie beeinflussen deine Gefühle, deine Entscheidungen und letztlich dein Leben.
Anspruchsdenken: Ein moderner Motor für innere Zwänge
Anspruchsdenken beschreibt das Gefühl, besondere Privilegien oder Belohnungen zu verdienen, unabhängig von den eigenen Leistungen. Es ist eng mit sozialen und kulturellen Erwartungen verbunden. Laut einer Studie von Lange, Redford und Crusius (2019) können sich diese Ansprüche in Aussagen manifestieren wie: “Ich muss alles schaffen” oder “Ich darf keine Schwäche zeigen”. Diese inneren Regeln setzen dich unter Druck, anstatt dich zu befreien. Du jagst Idealen hinterher, die vielleicht gar nicht deine eigenen sind, sondern von gesellschaftlichen Erwartungen geprägt wurden.
Die Verbindung zwischen Anspruchsdenken und Statusstreben
Eine zentrale Frage ist: Warum entwickeln Menschen Anspruchsdenken? Die Studie von Lange, Redford und Crusius (2019) liefert dazu spannende Einsichten. Die Autoren argumentieren, dass Anspruchsdenken oft auf ein starkes Streben nach sozialem Status zurückzuführen ist. Menschen mit hohem Anspruchsdenken glauben, besondere Privilegien zu verdienen, weil sie sich als besonders wertvoll wahrnehmen und diese Wahrnehmung durch Statusbestätigung in der sozialen Umgebung validiert sehen wollen.
Kernthesen der Studie:
- Statusstreben als Motor von Anspruchsdenken: Menschen mit hohem Anspruchsdenken sind stark motiviert, sozialen Status zu erlangen.
- Wertorientierung: Sie legen besonderen Wert auf Eigenschaften wie Macht, Einfluss und Prestige.
- Statusbezogene Emotionen: Diese Personen erleben intensivere Emotionen wie Neid auf höhergestellte Personen und Stolz auf eigene Errungenschaften.
- Verhalten: Anspruchsvolle Menschen neigen dazu, statusfördernde Strategien anzuwenden, wie das Hervorheben eigener Leistungen oder das Herabsetzen anderer.
Die Studie zeigt, dass Anspruchsdenken und Statusstreben oft Hand in Hand gehen und zusammen eine Art Teufelskreis schaffen können. Das Streben nach Status führt zu erhöhten Ansprüchen, die wiederum Druck und Unzufriedenheit erzeugen, wenn sie nicht erfüllt werden.
Die Rolle des Selbstbildes
In meinem Artikel über Selbstbild, Zwang und Selbstentfaltung, schreibe ich, wie unser Selbstbild oft zu einem unnachgiebigen Richter wird. Es sagt uns, was wir dürfen und was nicht. Du wirst vielleicht sagen: “Aber so bin ich nun mal.” Doch was, wenn dieses “So-bin-ich” lediglich das Produkt von Gewohnheiten, Ängsten und äußeren Erwartungen ist?
Wenn du glaubst, du bist nicht kreativ, wirst du wahrscheinlich keine kreativen Projekte beginnen. Wenn du denkst, du bist schlecht im Umgang mit anderen, vermeidest du soziale Situationen. Dein Selbstbild wird so zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – und zum Gefängnis.
Wie du dich befreien kannst
Vielleicht fragst du dich jetzt, wie du diese unsichtbaren Gitterstäbe durchbrechen kannst. Die gute Nachricht: Es gibt Wege heraus.
- Werde dir deiner Glaubenssätze bewusst
Der erste Schritt zur Befreiung ist, deine Glaubenssätze zu erkennen. Nimm dir Zeit, um zu reflektieren: Welche Überzeugungen hast du über dich selbst, über andere und über die Welt? Schreib sie auf. Oft hilft es, sie laut auszusprechen, um ihre Macht zu spüren. - Stelle deine Glaubenssätze infrage
Frage dich: Woher kommen diese Glaubenssätze? Sind sie wirklich wahr? Was würde passieren, wenn du sie loslassen würdest? Beispielsweise könntest du einen Satz wie “Ich muss perfekt sein, um geliebt zu werden” hinterfragen. Ist das wirklich so? Gibt es Menschen, die dich lieben, obwohl du Fehler machst? - Experimentiere mit neuen Perspektiven
Probiere aus, wie es sich anfühlt, einen Glaubenssatz für eine Weile beiseitezulegen. Spiele ein wenig, ja wirklich, sei spielerisch. Wenn du glaubst, dass du keine Fehler machen darfst, versuche bewusst, etwas Neues auszuprobieren, bei dem du Fehler machen darfst. Du wirst feststellen, dass die Konsequenzen oft weniger schlimm sind, als du dachtest. - Suche Verbündete
Ein wichtiger Aspekt der Befreiung ist, dass du dich mit Menschen umgibst, die dich unterstützen. Teile deine Gedanken mit einem Freund oder einer Freundin, der/die dir wohlgesonnen ist. Manchmal können andere dir Perspektiven zeigen, die du selbst nicht siehst. - Kultiviere Selbstmitgefühl
Es ist hilfreich, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen. Wenn du einen Glaubenssatz entlarvst, der dich einengt, sei freundlich zu dir selbst. Sag dir: “Es ist okay, dass ich so gedacht habe. Jetzt kann ich es anders machen.” Liebevolle achtsame Praxis hilft dir, mehr und mehr mit dir in Verbindung zu kommen.
Das Fazit: Deine Freiheit liegt in deinen Händen
Deine Glaubenssätze sind wie ein unsichtbares Gefängnis, das dich lenkt und begrenzt. Doch dieses Gefängnis hat keine wirklichen Mauern. Die Tür steht offen, wenn du bereit bist, sie zu durchschreiten. Indem du dir deiner Glaubenssätze bewusst wirst, sie hinterfragst und neue Wege gehst, kannst du dich Schritt für Schritt aus ihnen befreien.
Die Forschung von Lange et al. (2019) zeigt, dass das Verstehen des Zusammenhangs zwischen Anspruchsdenken und Statusstreben der Schlüssel zur Veränderung sein kann. Du kannst dich entscheiden, ein Leben zu führen, das nicht von äußeren Erwartungen oder inneren Zwängen bestimmt wird, sondern von deinem wahren Selbst.
Literatur:
- Elias, Norbert (1997). Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp
- Lange, J., Redford, L., & Crusius, J. (2019). A Status-Seeking Account of Psychological Entitlement. Personality and Social Psychology Bulletin, 45(7), 1113-1128. https://doi.org/10.1177/0146167218808501
Bilder:
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