Zapchen Somatics ist schwer in Worte zu fassen – und genau das ist Teil seiner Kraft. Es ist weniger eine Methode als eine Einladung: zurückzufinden zu einem ursprünglichen Spüren, zu einem Körperwissen jenseits von Konzepten, Anstrengung und Selbstoptimierung. Zapchen fühlt sich an wie ein Nachhausekommen – weich, freundlich, verspielt, körperlich. Inmitten einer Welt, die nach Leistung und Kontrolle ruft, eröffnet Zapchen Räume für ein Dasein, das nichts erreichen muss, um vollständig zu sein. Es verbindet westliche Körpertherapie mit östlicher Bewusstseinsschulung – und fragt: Was, wenn Wohlgefühl kein Luxus ist, sondern unser natürlichster Zustand? Also ganz ehrlich, ich liebe diese Methode. Sie ist so einfach und dennoch so tief. Schauen wir uns das mal ein wenig näher an.
Wo liegen die Wurzeln von Zapchen somatics?
Zapchen ist wie das Kind einer ungewöhnlichen, aber tief stimmigen Verbindung: westliche Somatics und Psychosomatik treffen auf östliche Geistesschulung aus dem tibetischen Vajrayana- und Dzogchen-Buddhismus. Diese Synthese bringt nicht nur Methoden zusammen, sondern auch Sichtweisen – über den Körper, über Bewusstsein und über das Menschsein selbst.
Der somatische Zugang fragt: Wie ist es, ein bewusster Körper zu sein – und gleichzeitig ein körperliches Bewusstsein? Somatics erforscht diesen Zwischenraum, dieses Mysterium der leiblichen Erfahrung. Der Körper ist dabei kein Objekt, das „bearbeitet“ wird, sondern ein fühlendes, antwortendes Wesen. Die Berührung in Somatics zielt auf Resonanz, nicht auf Korrektur. Wie Ladik (2012) schreibt: „Methoden der Somatics zeigen, auf welche Weise der Körper so berührt werden kann, dass sein Gewebe diese Berührung unmittelbar als freundlich erkennen und beantworten kann.“
Gleichzeitig fließen in Zapchen tiefe Einflüsse aus der tibetisch-buddhistischen Tradition ein. Im Vajrayana-Buddhismus, der etwa im 4. Jahrhundert entstand, wird der Schüler durch Einweihung und konkrete Praxisformen – Gebete, Visualisierungen, Energiearbeit – in einen Weg zur Erleuchtung geführt. Dzogchen hingegen geht noch direkter: Es lädt ein zur unmittelbaren Erfahrung der Geistnatur – jenseits von Konzepten, jenseits von Tun. Es ist ein Weg des Erkennens, nicht des Erreichens.
Ergänzt wird dieses Ost-West-Geflecht durch weitere Einflüsse: die Hypnotherapie von Milton Erickson, humanistische Psychologie, die neueren Ergebnisse der Neurowissenschaften und sogar Elemente aus der Theaterarbeit, QiGong und Yoga. Alles, was dazu beiträgt, den Menschen in seiner Lebendigkeit, seiner Verkörperung und seiner inneren Freiheit zu unterstützen, kann in Zapchen Raum finden.
Was dabei entsteht, ist kein System im klassischen Sinn – sondern eher ein Erfahrungsraum. Ein freundlicher, verspielter und radikal gegenwärtiger Zugang zum Leben im Körper.
Wer ist Julie Henderson?
Julie Henderson, geboren 1941 in Dallas, Texas, entstammt einer Familie, in der Wissenschaft und Kunst schon früh aufeinandertrafen: Ihre Mutter war Psychotherapeutin und Professorin, ihr Vater Schauspieler und Ingenieur. Diese Verbindung aus analytischer Tiefe und spielerischer Lebendigkeit prägte ihren Weg – ebenso wie ihre spätere intensive Auseinandersetzung mit Körper, Geist und Bewusstsein.
Als Pionierin und zentrale Gestalterin von Zapchen Somatics entwickelte Dr. Julie Henderson eine Praxisform, die somatische Selbstregulation, therapeutisches Arbeiten, neurowissenschaftliche Erkenntnisse und die tiefe Schulung des Geistes im tibetischen Buddhismus miteinander verwebt. Dabei geht es ihr nie um starre Technik, sondern um verkörperte Erfahrung – um das Erspüren, wie es ist, ganz da zu sein.
Mit einer seltenen Mischung aus Herz, Humor und Haltung lud Julie Henderson Menschen dazu ein, ihr eigenes Wohlgefühl wieder ernst zu nehmen – und sich gleichzeitig nicht damit zufriedenzugeben. Ihre Arbeit zielt auf ein bewusstes, genussfähiges Dasein – jenseits der inneren Routinen und weit hinein in das Potenzial verkörperter Präsenz.
Und wer ist Prof. Dr. Tony Richardson?
Prof. Dr. Tony Richardson, 1949 in Australien geboren, begann seine Laufbahn als praktischer Arzt und spezialisierte sich später auf Psychiatrie. Seine Leidenschaft für verkörperte Methoden führte ihn tief in Somatics, Bioenergetik und Hypnotherapie, Bereiche, in denen er heute ebenfalls lehrt und forscht.
Neben seiner medizinischen und psychotherapeutischen Expertise ist Richardson zeitlebens dem Buddhismus verbunden. Bereits in jungen Jahren ließ er sich von dessen Lehren inspirieren – eine kulturelle Brücke, die auch im Rahmen von Zapchen Somatics weitergebaut wurde. Gemeinsam mit Dr. Julie Henderson war er an der Entwicklung und Verbreitung von Zapchen beteiligt: Er unterrichtet somatische Ansätze, kombiniert mit buddhistischer Geistesschulung, auf originelle Weise an verschiedenen Universitäten und in Trainingsprogrammen.
Sein Ansatz ist dabei besonders: Richardson versteht es, tief verwurzelte somatische Prozesse erfahrungsnah und mit kreativer Sensibilität zu vermitteln. Er begleitet Menschen darin, die Weisheit des Körpers freizulegen – und formt so einen wichtigen Teil der lebendigen Gestalt von Zapchen Somatics. Dies waren zwei der Begründer der Methode. Schauen wir uns nun die Methode näher an.
Warum Körperlichkeit zentral ist
Zapchen kann als verkörperte Intelligenz und als Weg zu mehr Selbstkontakt verstanden werden. In Zapchen Somatics steht der Körper nicht nur im Mittelpunkt – er ist das Tor zu Bewusstsein selbst. Körperlichkeit wird hier nicht als bloßes Vehikel verstanden, sondern als lebendige Intelligenz, die Zugang zu tieferem Gewahrsein bietet. Statt sich ausschließlich über Gedanken oder Einsichten zu verändern, lädt Zapchen dazu ein, im Körper zu landen – in Mikroempfindungen, Regungen, Tönen, Gesten – und damit in eine unmittelbare Beziehung zu sich selbst zu treten. Diese verkörperte Präsenz bildet die Grundlage für Selbstregulation, Integration und innere Freiheit. Durch spielerische, einfache Mittel wird der Körper nicht "benutzt", sondern gefragt, gehört und geachtet. In dieser Haltung entsteht ein heilsamer Raum, in dem Wohlgefühl kein Ziel, sondern ein Wegweiser ist – und Bewusstsein nicht getrennt vom Körper, sondern verkörpert erscheint.
Wenn ich dies so beginne zu sehen hat dies Auswirkungen auf mein Sein und meinen Kontakt mit der Welt. Viele Gewohnheiten und Haltungen wurden einst entwickelt, die in ihrer Festigung allmählich vielleicht zu einer Einengung geführt haben. Jedoch können diese Einengungen auch als lebendige Bewegung gesehen werden: als Antwort, als Wegfindung, als Lebensbewältigung - und eben nicht als Fehler, als Makel oder Mangel.
Zapchen somatics im Hier und Jetzt
Es geht ums Erleben statt Erklären. Es geht um Unmittelbarkeit statt Zielorientierung. Zapchen lebt vom direkten Erfahren im gegenwärtigen Moment – jenseits von Konzepten, Erwartungen oder festgelegten Zielen. Es geht nicht darum, etwas „richtig“ zu machen oder sich zu verändern, sondern vielmehr darum, mit einer offenen, neugierigen Haltung wahrzunehmen, was gerade ist. Ob ein sanftes Gähnen, ein kurzes Nickerchen oder kleine spontane Bewegungen – all das wird als wertvoller Ausdruck von Selbstkontakt und innerer Weisheit anerkannt. Diese Praxis des Nichtwissens schafft Raum für Überraschung, spielerisches Entdecken und tiefes Ankommen im eigenen Körper. So wird Zapchen zu einer Einladung, das Leben unmittelbar zu erleben und mit dem Körper als vertrautem Gefährten in Kontakt zu treten – ohne Druck, sondern mit sanfter Aufmerksamkeit und liebevoller Akzeptanz.
Für mich passt Zapchen sehr gut in mein Modell W3 - Wahrnehmung, Wahrheit, Weg. Dazu gleich noch mehr im Kapitel, wie ich die Methode übe. Zapchen folgt immer einer direkten Erfahrung, ist somit im Hier und Jetzt verankert. Der Fokus liegt nicht auf Erklärungen, oder Konzepten, oder Theorien, sondern auf die reine Übung, das Wahrnehmen und das Erleben. Der Geist darf sich für den Moment von den Konzepten verabschieden und den reinen Wahrnehmungen folgen, ohne ein vorgedachtes Ziel.
Zapchen somatics, Stress, Bedürfnisse und die heutige Gesellschaft
Orientierung in Zeiten von Unsicherheit und Beschleunigung wird heute immer mehr zu einem wichtigen Bedürfnis. Der Körper kann dabei als Gegenbewegung zum digitalen Dauerreiz verstanden werden. In einer Welt, die sich immer schneller dreht und von ständigen Veränderungen geprägt ist, suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung. Zapchen bietet genau hier eine kraftvolle Gegenbewegung: Indem wir uns auf unseren Körper besinnen und wahrhaft spüren, kommen wir wieder in Kontakt mit dem, was uns wirklich ausmacht – jenseits von äußeren Anforderungen und digitaler Reizüberflutung. Der Körper wird so zum sicheren Anker, der uns durch Stress und Überforderung trägt. Oft sind es unbewusste, dysfunktionale Gewohnheiten, die unsere innere Unruhe verstärken. Durch bewusste Körperwahrnehmung können diese Muster erkannt und gelöst werden.
Zapchen erinnert uns auch an die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Nahrung, Schlaf, soziale Verbundenheit und Selbstwertschätzung – deren spürbare Erfüllung ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit schenkt. Gerade in turbulenten Zeiten öffnet der Körper einen direkten Zugang zu diesem inneren Ruhepol, der unabhängig von äußeren Umständen beständig bleibt.
Jetzt haben wir über die Wurzeln, die Begründer, den Körper und das Hier und Jetzt, sowie die Gesellschaft gesprochen. Versuchen wir es nun mal mit einer Annäherung.
Was ist denn nun Zapchen somatics?
Es kann wie eine Rückkehr zu kindgleichen Formen von Offenheit, Freundlichkeit, Sanftheit verstanden werden (Hammer, 2020). Du erinnerst dich an Kinder, warst selbst auch mal eines. Und als Kind ist man meist sehr direkt oder roh. So ist Zapchen auch eine Rohheit der Bewusstheit. oder eine Art Präsenz. Eine Präsenz vor der Sozialisierung. Es ist wie die Wiedererlangung eines reinen, ungefilterten Kontakts mit der Welt. Es ist auch ein Fehlen von Hemmung. Es ist wie ein nach Hause kommen. Zapchen lädt sozusagen ein, den Zweifel und das Erwachsensein zur Seite zu legen. Es ist wie eine Rückbesinnung auf mich selbst. Es hilft Bedürfnisse klar zu machen und hilft mehr Kreativität zu entfalten. Ok, und wenn wir sagen, “wer nicht strebt, erreicht”, wie würden wir denn dann Ziele im Zapchen formulieren?
Was sind Ziele von Zapchen somatics?
In Zapchen geht es nicht darum, etwas zu erreichen oder sich anzustrengen. Vielmehr ist es eine Einladung, sich dem Leben mit Hingabe, Vertrauen und Neugier zuzuwenden. Es geht darum, das Bewusstsein zu öffnen für die Erfahrung von Weite, Tiefe, Klarheit und Freude – und ein Gefühl des Zuhauseseins im eigenen Sein zu kultivieren. Das Ziel ist kein Zustand im Außen, sondern eine innere Haltung, die mit der Fülle des Lebens in Kontakt tritt. Indem wir uns dem einfachen Dasein zuwenden und ihm Raum schenken, kann sich unsere Wahrnehmung verfeinern, Bewusstheit wachsen und ein neues Gespür für Selbstregulation, Freiheit und Verbundenheit entstehen. So kann aus einer Übung eine Lebensweise werden – eine, die uns in Beziehung bringt mit unserer ursprünglichen Natur.
In den Worten des Körperpsychotherapeuten Ulfried Geuter (2019) verbindet Zapchen erlebens- und erlebniszentrierte Ansätze der Körperpsychotherapie. Der Fokus liegt darauf, sich für die im Körper gespürten Erfahrungen zu öffnen und das Selbsterleben aus dem Körpererleben heraus zu erschließen. Durch die bewusste Hinwendung zum inneren emotionalen Erleben entsteht ein vertiefter Zugang zu sich selbst und zu anderen. Diese Selbstwahrnehmung fördert nicht nur ein wachsendes Gespür für das eigene Sein, sondern stärkt auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstregulation – zentrale Aspekte jeder nachhaltigen Veränderung. Und weil wir gerade über die Ziele und Erleben und Erlebnis gesprochen haben, lass uns die Haltung mal ein wenig näher ansehen, welche sehr wichtig ist.
Was ist das für eine Haltung bei Zapchen somatics?
Die Haltung, die Zapchen prägt, ist freundlich, spielerisch und zugleich tiefgründig. Julie Henderson spricht in diesem Zusammenhang vom englischen Begriff sneaky – gemeint ist eine subtile, liebevolle List, die es erlaubt, Lücken im gewohnten geistigen Kontrollmuster zu finden. Statt mit Strenge und Selbstoptimierung zu reagieren, lädt Zapchen dazu ein, gerade in schwierigen Momenten Wohlgefühl und Freundlichkeit in den Körper einzuladen. Besonders dann, wenn „nichts mehr funktioniert“, beginnt der eigentliche Übungsweg: Nicht gegen das Unangenehme zu kämpfen, sondern dem Körper mit Zuwendung und Respekt zu begegnen. Der Körper wird in dieser Haltung nicht als Objekt betrachtet, sondern als intelligente Resonanzfläche – als fühlender, antwortender Teil unseres Daseins. Er antwortet auf Berührung, auf Verbindung, auf Hinwendung. So entsteht ein neuer Bezug zum eigenen Körper – und damit auch ein neues, lebendigeres Verhältnis zu sich selbst.
Das Herzstück von Zapchen und EVA
Im Zentrum von Zapchen steht die Einladung, genau dann Wohlgefühl und Freundlichkeit in sich zu kultivieren, wenn es am wenigsten naheliegt – mitten im Chaos, in der Krise, in der inneren oder äußeren Dunkelheit. Es geht darum, das Nervensystem nicht erst dann zu beruhigen, wenn alles gut ist, sondern gerade dann, wenn nichts mehr zu stimmen scheint. Dieser Ansatz erkennt an, dass unsere Erfahrungen aus einem Zusammenspiel von Innen und Außen entstehen – getrennt durch den Körper, aber untrennbar miteinander verwoben. In diesem Zusammenhang steht das Akronym EVA für ein inneres Navigationssystem: Entscheidung, Verantwortung und Akzeptanz. Selbst unter widrigsten Bedingungen bleibt ein Rest von Handlungsspielraum – und genau dort setzt Zapchen an. Es erinnert uns daran, dass wir selbst wählen, wie wir einem Moment begegnen wollen. Nicht als Flucht, sondern als liebevolle Rückverbindung mit uns selbst.
Verbindung zu Viktor Frankl
Dieses trotz alledem, das im Herzen von Zapchen pulsiert, erinnert an die Haltung, die Viktor Frankl in seiner Logotherapie beschreibt. Für Frankl (1985) ist das “trotzdem Ja zum Leben sagen” ein Ausdruck der inneren Freiheit des Menschen: die Fähigkeit, selbst unter extremsten Bedingungen – Schmerz, Schuld, Ausweglosigkeit – eine sinnstiftende Haltung zum Leben einzunehmen. Im Zentrum seiner Arbeit steht die Überzeugung, dass der Mensch ein sinnsuchendes Wesen ist – und dass Sinn auch dann noch erfahrbar bleibt, wenn alles Äußere wegbricht. Das Dennoch meint dabei keinen blinden Optimismus, sondern eine existenzielle Entscheidung: die Freiheit, selbst zu wählen, wie man dem Unvermeidlichen begegnet. In diesem Licht wird das trotzdem zu einem stillen Akt von Autonomie, von geistiger Aufrichtung und von Würde – mitten im Unverfügbaren. Und wie übe ich das nun?
Wie übe ich Zapchen?
Zapchen übt man spielerisch, absichtslos – immer gerade so viel, wie es Freude macht. Und manchmal gehört dazu auch ein kleines Nickerchen. Denn Integration geschieht oft nicht durch Anstrengung, sondern durch Loslassen. Die Haltung beim Üben erinnert an den Satz eines Freundes: "Wer nicht strebt, erreicht." Es ist eine Haltung, die ich in der Feldenkrais-Arbeit in Seattle kennengelernt habe und die im Zen „Anfängergeist“ genannt wird (Suzuki, 1983). Ein leerer, offener Geist – bereit, das Gewohnte loszulassen und sich mit Neugier dem Moment hinzugeben. Es geht beim Üben nicht um ein “um zu”, nicht um Leistung oder Ziel. Vielmehr geht es darum, das, was gerade da ist, wahrzunehmen – und dabei zu entdecken, dass sich mit der Wahrnehmung auch die Wirklichkeit verändert. Neue Aspekte tauchen auf, neue Wahrnehmungsebenen entstehen. Und manchmal verschieben sich durch diese veränderten Perspektiven sogar tief verankerte Wahrheiten – sie passen schlicht nicht mehr zu dem, was jetzt spürbar ist. So wird Üben zu einem inneren Forschungsweg, auf dem sich immer wieder ein neuer Pfad zeigt: einer, der zunehmend stimmiger wird mit unseren Grundbedürfnissen. Zentral dafür ist die Haltung des Nichtwissens – ein weiches, waches Lauschen in das, was sich entfalten möchte. Der Weg beginnt beim Erleben und Wahrnehmen. Dadurch kommen Wahrheiten ins Wanken und das erzeugt einen neuen anderen Weg.
Wenn Wahrheiten ins Wanken kommen und neue Wege entstehen, durchs Gehen, kann dies doch sicherlich auch in der Psychotherapie hilfreich sein, oder?
Zapchen in der Psychotherapie
Zapchen bewährt sich nicht nur als einfache und wirksame Methode der Selbstfürsorge – etwa durch das bewusste Zulassen von Gähnen, Seufzen oder Zittern zur Stressregulation – sondern eröffnet auch der Psychotherapie neue Perspektiven auf den Prozess innerer Veränderung. Ein Gähnen ist im Kontext von Zapchen kein bloßer Reflex, sondern eine Einladung zur Erfahrung: Wer gähnt, spürt sich währenddessen – und danach. Diese feine, oft kaum beachtete Selbstwahrnehmung ermöglicht einen neuen Zugang zum verkörperten Erleben. Besonders bei Menschen mit frühkindlichen Entwicklungstraumata, die Irritationen in Bezug auf ihr Sosein, ihre Grenzen und ihre Zugehörigkeit erfahren haben, ist dieser Zugang häufig blockiert. Der innere Spürsinn ist verloren gegangen – ebenso wie das Vertrauen in die eigenen Bedürfnisse. Zapchen lädt dazu ein, zur Quelle zurückzukehren: zu jenem Ort im Nervensystem, an dem ursprüngliche Regulation möglich wird. In diesem Erleben entstehen neue Selbstkontakte – und daraus erwachsen gesunde, angemessenere Grenzen.
Veränderung geschieht hier nicht durch Einsicht allein, sondern durch wiederholte somatische Erfahrung. Über das Erspüren, das Nachklingenlassen, die Wiederholung, werden neue neuronale Muster aufgebaut und gefestigt – ganz im Sinne der Neuroplastizität. Mehr Vertrauen, mehr Entspannung, mehr Wohlgefühl werden möglich. Und doch ist dieser Prozess alles andere als selbstverständlich: Wer sich zeitlebens nur in Anspannung erlebt hat, für den fühlt sich Langsamkeit oder Entspannung zunächst ungewohnt, vielleicht sogar bedrohlich an. Das Nervensystem findet keine Orientierung, wenn alte Schutzmuster nicht mehr greifen. Julie Henderson beschreibt dies als ein früh angelegtes, generalisiertes neuronales Hypervigilanz-Syndrom – ein Zustand ständiger innerer Wachsamkeit, der das Loslassen verlernt hat. Nicht entspannen zu können, nicht gehalten zu sein, kann zur existenziellen Erfahrung von innerer Haltlosigkeit werden. In diesem Sinne ist Verzweiflung nicht einfach ein Gefühl, sondern Ausdruck eines Nervensystems, das nie gelernt hat, sich fallen zu lassen (Henderson, 2006). Zapchen setzt genau hier an – sanft, körperlich, tief.
Zapchen – eine Einladung ins Lebendige
Zapchen Somatics ist keine Technik, die man „können“ muss. Es ist ein lebendiger Erfahrungsraum, der uns einlädt, auf eine andere Weise in Beziehung zu treten – mit uns selbst, mit unserem Körper, mit dem Moment. Ohne Ziel, ohne Anstrengung, ohne besser werden zu müssen.
In einer Welt, die oft auf Tun, Funktionieren und Optimieren ausgerichtet ist, eröffnet Zapchen einen heilsamen Gegenpol: ein Raum des einfachen Daseins, der spielerischen Neugier, der liebevollen Verkörperung. Vielleicht ist das Revolutionärste an Zapchen gerade seine Sanftheit. Es erinnert uns daran, dass Wohlgefühl, Präsenz und Selbstkontakt keine Belohnung sind – sondern unsere ursprüngliche Natur.
Zapchen ist kein System, sondern ein Weg nach Hause. Und jede Übung, jeder Moment des Spürens, jedes kleine Gähnen kann ein Schritt auf diesem Weg sein. Zapchen erinnert daran, dass wir nicht mehr tun müssen, um ganz zu sein – sondern eher weniger. Weniger kämpfen, weniger denken, weniger funktionieren. Stattdessen mehr lauschen, mehr staunen, mehr einfach da sein. Und genau darin liegt, vielleicht, das Radikalste an dieser Praxis: Sie traut dem Leben. Und sie traut dir.
Literatur:
- Frankl, V. E. (1985). Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. München: Piper.
- Geuter, Ulfried (2019). Praxis der Körperpsychotherapie: Grundhaltungen, Prinzipien und Methoden. Berlin: Springer
- Hammer, Cornelia (2020). Im Körper zu Hause sein. Mit Zapchen Somatisch zu Leichtigkeit und Wohlbefinden. Heidelberg: Carl-Auer Verlag
- Henderson, Julie (2006). Die Erweckung des Inneren Geliebten. Bielefeld: AJZ
- Ladik, Annamaria (2012). Vorstellung des körpernahen Verfahrens Zapchen somatics in der Behandlung von Traumafolgestörungen. Zeitschrift für Psychotraumatologie Psychotherapiewissenschaft Psychologische Medizin 10 (2): 19-30.
- Suzuki, Shunryu (1983). Zen Mind, Beginnes Mind. Informal Talks on Zen Meditation and Practice. New York: Weatherhill
Bilder:
- Foto von Joshua Gaunt auf Unsplash