Warum haben wir denn nun ein Gehirn? Manfred Spitzer hat darauf eine Antwort: Zur Mustererkennung.

“Wozu sind Gehirne gut? Die einfachste Antwort auf diese nur scheinbar allzu grundlegende und daher nur scheinbar nicht mehr sinnvolle Frage lautet: zur Mustererkennung. Jedes Gehirn bewerkstelligt die Zuordnung eines Output, d.h. einer bestimmten Folge von Aktionspotentialen über eine größere Anzahl von Nervenfasern, zu einem Input, der in nichts anderem als ebenfalls raumzeitlichen Mustern von Aktionspotentialen besteht. Gehirne leisten diese Musterzuordnung unglaublich effektiv und schnell. Daher wird seit geraumer Zeit ihr Funktionsprinzip, das der Parallelverarbeitung, in künstlichen neuronalen Netzwerken nachgeahmt, wann immer Muster erkannt werden müssen. Ganz gleich, ob es um das Wetter, medizinische Befundung oder um Verkehrssicherheit geht, letztlich liegt immer das Problem der Zuordnung von Daten zu einer Interpretation vor, d.h. das Problem, in den Daten Strukturen zu entdecken, die anzeigen, was in den Daten wirklich steckt. Die Erkennung von Mustern, d.h. die Zuordnung von Bedeutung zu, zunächst uninterpretierten Daten, gehört zu den Grundproblemen der Informatik. Die Anwendungen reichen in nahezu alle Gebiete menschlicher Aktivitäten, was nicht verwundern sollte, handelt es sich bei sehr vielen von Menschen vollbrachten geistigen Leistungen doch letztlich um Mustererkennung.” (Spitzer, 2001)

Nehmen wir das Wort “Mustererkennung” und übersetzen es in Bewegung. Jeder Mensch bewegt sich in seiner eigenen Art und Weise. Es liegen somit individuelle Bewegungsmuster zu Grunde. Diese Muster sind komplex und benötigen einen sehr hohen Koordinationsaufwand. Darum haben wir laut manchen Wissenschaftlern unser Gehirn für Bewegung. In anderen Worten: Unser Gehirn entwickelte sich so wie es sich entwickelte, aufgrund der immer komplexer werdenden Bewegungsprobleme, welche es zu lösen galt. Bewegung ist somit die einzigste Art und Weise mit der Welt zu kommunizieren. Du wirst dir jetzt eventuell denken “wirklich?”. Sobald du deine Lippen bewegst, um Geräusche zu produzieren, welche in Wörter und schließlich in Sätzen münden, ist dies Bewegung. Bewegung ist nicht nur Laufen, Sport, die Kaffeetasse zum Mund führen. Darunter bzw. dahinter befindet sich weitaus mehr.

Bewegung an sich ist sehr komplex, obwohl sie auch sehr einfach aussehen mag. Sie beschäftigt gleichzeitig mehrere Gehirnregionen, welche für Wahrnehmung, Bewegung, Kognition und Emotionen zuständig sind. Erinnerungsvermögen und kognitive Prozesse sind zwar wichtig, jedoch nur unter dem Scheffel der Bewegung. Nehmen wir hier das Schachspiel zwischen dem Weltmeister Kasparow und dem Computer Deep Blue. Der Weltmeister verlor gegen den Computer, und das nicht nur einmal. Der Computer berechnet in einer Sekunde Millionen von Stellungen und ist dem Menschen in der Rechenleistung um Weiten überlegen. Hier hört es jedoch auch schon auf. Man nehme den besten Roboter und lasse ihn nun mit seiner Hand eine Schachfigur anheben und wieder absetzen, so wird dieser gegen ein Kleinkind verlieren. Wobei ich hier hinzufügen möchte, die Forschung macht Fortschritte und Roboter lernen schnell. Wie schnell wird die Zukunft zeigen. Das Kleinkind also wird diese Aufgabe mit Bravour erledigen. Hinter der Manipulation von Objekten steckt ein immenser Koordinationsaufwand aller beteiligten Gelenke und den dafür benötigten Muskeln. Unser Gehirn ist dafür perfekt ausgestattet. Es mag nicht die Rechenleistung eines Deep Blue haben, um unzählige Schritte zu antizipieren, braucht es in der Objektmanipulation aber auch nicht.

Schauen Sie sich hierzu einen interessanten TED Talk mit Daniel Wolpert an. Für Daniel Wolpert haben wir unser Gehirn nicht zum Denken, sondern für adaptive und komplexe Bewegungen. Wir nehmen durch Bewegung Kontakt mit der Welt auf. Daniel Wolpert bringt hier auch ein Beispiel eines Tieres mit einem sehr einfachen Nervensystem. Die Seescheide treibt durch das Meer, bis sie schließlich auf einem Stein Platz findet und dort für den Rest ihres Lebens bleibt. Doch einst auf dem Stein angekommen, isst sie ihr Nervensystem und Gehirn auf, da sie es nicht mehr für Bewegung braucht. Viel Spaß mit diesem Video.

Unser Gehirn ist komplexer als das von anderen Tieren, aufgrund der Tatsache, das wir Generalisten sind und weniger Spezialisten. Generalisten sind fähig, sich an unterschiedlichste Umfelder anzupassen. Nehmen Sie doch einfach mal einen Fisch aus dem Wasser und warten bis er anfängt zu laufen. Ein Fisch, wie auch jedes andere Tier ist in seiner Nische spezialisiert. Das ist ohne jedwede Wertung, sondern es ist einfach so wie es ist. Wir haben eine Tendenz uns zu spezialisieren und vernachlässigen dabei, das wir Generalisten sind. Wir zahlen einen Preis dafür, früher oder später. Der primäre Grund für unser Gehirn liegt darin, uns in unserem Umfeld zu organisieren. Ein Mammutprojekt! Der Nobelpreisgewinner in Medizin, Roger Sperry, sagt, dass 90 Prozent der genutzen Energie dafür gebraucht wird, unseren Körper durch das Schwerefeld zu transportieren. Das bedeutet, je schlechter unsere Bewegungsmuster organisiert sind, umso mehr Energie brauchen wir, um einigermaßen zu funktionieren. Diese Energie fehlt uns dann natürlich für andere Sachen, wie z.B. Denken, Wundheilung etc.

Was ich mich jetzt frage ist, was denkst du nach dieser Information? Unser Gehirn, für Bewegung, was macht das mit deiner Wahrnehmung deines Körpers im Raum-Zeit-Kontinuum?

Literatur:

  • Spitzer, Manfred (2001). Über Lernen und Denken. Stuttgart: Schattauer