Als ich mit 24 mein Abitur nachholte, dachte ich sehr oft über einen gewissen Satz nach. Er wurde einer meiner Lieblingsaphorismen. Ich erinnere mich an ein damals geführtes Gespräch, in dem dieser Aphorismus auftauchte.

Learn out of the past, be in the now, build for the future!

Es war ein Gespräch über Zweifel, gesellschaftliche Zwänge, Angst und Zielen. Ein Herr, Anfang mittleren Alters, ich nenne ihn mal Max, geplagt von Zweifeln, gehemmt in seinen Entscheidungen bezüglich seiner beruflichen und persönlichen Entwicklung, sagte plötzlich den folgenden Satz zu mir, “du hast Recht”. Eine reine Lawine an Gedanken und ein plötzliches ungutes Gefühl wurden durch diesen Satz ausgelöst. Ich hörte diesen Satz bereits mehrere Male. Mal ging er von mir aus, mal kam er von außen. Erst als ich den Satz auf mich bezogen des Öfteren hörte, begann ich nochmals darüber nachzusinnen.

Hat es eventuell mit “Macht übertragen” zu tun? Was ich hinter diesen Satz höre, ist eine Art von Machtübertragung. Im Vordergrund mag es danach aussehen, oder sich danach anhören, dass sich der Gesprächspartner für das Gesagte bedankt. Dies mag auch so sein. Im Hintergrund jedoch sehe ich eine gewisse Verwandtschaft mit gesellschaftlichen Zwängen. Dieser Hintergrund macht eine ganze Bandbreite an korrelativen Themen auf. Themen wie Ziele, Angst, Entwicklung etc.

Hermann Hesse sagte einst, dass nur der Mensch lebe, welcher seine Träume verwirklicht. Jetzt wissen wir, das dies nicht immer und überall möglich ist. Zum anderen hängt dies natürlich von den Zielen ab. Wenn das Ziel Ataraxie, oder innere Seelenruhe ist, so mag es manchen Menschen möglich sein, dieses Ziel zu erreichen. Liegt das Ziel darin, mehrere Ferraris zu besitzen, so ist dies mit viel Geld verbunden und für gewisse Menschen mit geringem Einkommen höchstwahrscheinlich schwer erreichbar.

Ergo, Träume erfüllen heißt leben. Träume sind noch nicht umgesetzte Ziele. Woher kommen nun diese Träume? Kommen sie aus meinem Innersten? Oder wurden sie subliminal von außen in mich hineinprojiziert von der Gesellschaft, durch Werbung, durch gesellschaftliche Glaubenssätze? Dies zu wissen stellt die erste große Differenzierungsleistung dar. Gesellschaftliche Glaubenssätze wären unter anderem, das ein Mensch mit einem gewissen Alter auf einen grünen Zweig kommen müsse. Ich finde dieses Bild sehr interessant. Der Zweig muss also grün sein. Was wäre wenn der Zweig braun ist und vielleicht noch morsch ist, käme dies dann einer erfolglosen Karriere gleich? 

Er müsse auch eine Karriere bzw. einen Job haben, um nicht als Verlierer abgestempelt zu werden. Die nichterfüllte Karriere bzw. der nicht stetige Job, könnte einem dann mit zunehmenden Alter von anderen Menschen vorgehalten werden. Sind wir diesen Glaubenssätzen komplett ausgeliefert? Die Antwort darauf lautet, “es kommt darauf an”. Es wird gesagt, das man von den Reichen und Großen, von der Wirtschaft und der Politik, manipuliert wird, das wir deren Sklaven wären. Ich stimme dem nicht zu und zwar aus folgendem Grund. Machen wir uns selbst zum Thema und begeben uns auf eine Suche, nach innen, das Außen nutzend, um zu einer höheren Stimmigkeit zu gelangen, so kann uns diese Suche zu einem selbstbestimmteren Leben führen. Jetzt verglich sich Max mit zweien seiner Freunde. Ein Vergleich ist etwas, was wir Menschen ständig tun, jedoch kann er unserem eigenen Leben nicht gerecht werden, sofern wir uns in diesem Vergleich verfangen und dadurch eine nach unten gerichtete Spirale von negativen Gefühlen erzeugen. Denn es wird immer jemanden geben, der irgendetwas in irgendeinem Bereich besser kann oder weiß. Also vergleichen, nein Danke.

Wir alle haben eine eigene Brille. Wir sehen die Welt nicht wie sie wirklich ist, sondern wie wir sind (Arnold, 2009). Wir sehen auch andere Menschen wie wir sind, in anderen Worten, wir nehmen in anderen Menschen verstärkt die Eigenschaften wahr, welche auch in uns sind. Jetzt frag dich mal, wie ein Vergleich aufgrund dieser Realitätswahrnehmung ausgehen soll? Erfahrungen und Erlebnisse unserer Vergangenheit, unserer Kindheit machen einen großen Teil unserer Gewohnheiten aus. Diese geben uns Sicherheit. Sicherheit ist laut Abraham Maslow, ein Vertreter der humanistischen Psychologie, eines der untersten Grundbedürfnisse. Erst wenn dieses Bedürfnis befriedigt ist, können wir uns über andere Gefilde Gedanken machen. Jetzt können Gewohnheiten natürlich zuträglich oder abträglich sein. Was sie letzten Endes sind, bedarf der individuellen Analyse. Zu sehr auf andere Menschen zu hören, hat zum einen mit Angst und zum anderen mit Zweifel zu tun. Dies erinnert mich gerade an ein Modell von Thomas A. Harris (1976). In diesem Modell gibt es vier Stufen.

Stufe 1: Ich bin ok, du bist nicht ok. Ein Mensch befindet sich auf einem Kontinuum, von extremer Überheblichkeit bis hin zur Selbstsicherheit, jedoch durch die Abwertung des Anderen.

Stufe 2: Ich bin nicht ok, du bist ok. Hier verfällt ein Mensch in Selbstmitleid, in Depression, hat keine eigene Stimme, befindet sich in einer großen Abhängigkeit nach aussen, von Anderen.

Stufe 3: Ich bin nicht ok, du bist nicht ok. Ich nenne dies die misanthropische Sichtweise, wobei ich dem nicht eine Pathologie zugrunde lege, sondern eine Einstellung, unter anderem auch ein Glaubenssatz.

Stufe 4: Ich bin ok, du bist ok. Die philanthropische Sichtweise. Hier blickt der Mensch optimistisch in die Zukunft. Er handelt nach ethischen Gesichtspunkten, akzeptiert die Andersartigkeit Anderer und auch seine Einzigartigkeit.

Höre ich nun zu sehr auf andere Menschen, so kommt dies der zweiten Stufe nahe, jedoch lässt sich dies auch auf der vierten Stufe finden. Dies wäre dann ein Austausch unter Gleichberechtigten, mit vollem Respekt, Akzeptanz des Anderen, das Sich-Für-Einen-Anderen-Freuen. Was ich bei Max hörte, waren Zweifel und die damit korrelierten angstbasierten Entscheidungen. Angst hat Vor- und Nachteile. Eine gewisse Grundangst zu haben, ist vorteilhaft, denn sie sorgt dafür, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, realistische Ziele zu setzen und diszipliniert an einer Sache bis zur Vollendung zu arbeiten, z.B. ein Studium zu Ende zu bringen. Ein Zuviel an Angst kann auf eine mangelnde Zielsetzung zurückgehen. Spätestens dann beginnt man zu zweifeln. Ich kenne dieses Gefühl der Zweifel ziemlich gut, und zog vor längerer Zeit mal jemanden zu Rate. 

Ungefähr Mitte 2012 bekam ich eine Anleitung von einem Philosophen namens Andreas Tenzer aus Köln, mit Selbstzweifel umzugehen. Diese lautete wie folgt:

  1. Selbstzweifel klären
  2. Selbstzweifel loslassen
  3. Selbstzweifel und Zweifel an anderen verschwinden
  4. Es wird innen und außen hell 
  5. Negative Gedankenketten lösen sich auf 
  6. Selbst- und Fremdzerstörung verwandeln sich in konstruktives Handeln 
  7. Widerstände verschwinden 
  8. Das eigene Leben wird immer mehr zu einem konfliktfreien Flow 
  9. Daraus erwächst die Kraft, neu aufkommende Negativität innen wie außen im Keim zu ersticken
  10. Man tut das Bestmögliche für sich und die Welt

Die ersten beiden Schritte sind knackig, denn hier kann Hilfe von außen sehr wohltuend sein. Selbstzweifel basieren auf Glaubenssätzen, aber Glaubenssätze sind keine absoluten Wahrheiten. Es wären lediglich Wahrscheinlichkeiten und auch das Wort “Wahrscheinlichkeit” ist nicht ganz passend. Glaubenssätze sind Thesen, welche von einem bzw. mehreren Menschen durch Wiederholung im Denken manifestiert werden. Das bedeutet, dass sie sich gedanklich umstrukturieren lassen. Dafür müsste ich sie natürlich vorher in Frage stellen. Dies kann ich tun, indem ich frage, was der Fall ist und warum es der Fall ist.

In anderen Worten, “Spielball oder Flow” sein. Die beiden Fragen, was der Fall ist und warum es der Fall ist, fand ich zuerst bei Peter Bieri (2003, 2011), welcher über die menschliche Freiheit, Glück und Würde schreibt. Neben dem Modell  von Thomas A. Harris möchte ich hier noch ein weiteres Stufenmodell, nach Bieri, bezüglich der Handlungsfreiheit hinzufügen:

Stufe 1: Spielball des Lebens sein, d.h. sich fremdbestimmt hin- und herumschubsen lassen. Der Handelnde ist nicht Urheber seines Lebens. Ich mache immer das, was andere von mir wollen, seien es Freunde, Lehrer, der Staat, die Eltern etc. 

Stufe 2: Ziele haben. Ein Bewusstheitsprozess wurde gestartet. Ein Abwägen für und gegen bestimmte Entscheidungen basierend auf einer Kongruenz von Denken und Fühlen, welches schließlich zum Handeln führt. Der Handelnde ist bewusst Urheber seines Lebens.

Stufe 3: Keine Ziele haben. Der vorübergehende Verlust von Zielen. Hier könnten sich Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit und Zielmotivierung einstellen. 

Stufe 4: Die Verbindung von (2) und (3). Sich dem bewussten Flow hingeben. Ein kongruentes, konfliktfreies Leben führen, oder einfach das bestmögliche Leben führen. Der Handelnde ist unbewusst Urheber seines Lebens.

Die letzte Stufe ist wahrhaft die interessanteste. Ist sie auch erreichbar? Ich möchte nicht von mir behaupten, dass ich konstant auf dieser Stufe bin, doch ab und zu durfte ich bereits hinein fühlen. Wie kommst du nun dort hin?

Wie setze ich nun Ziele und was hat das mit Feldenkrais zu tun? Es gibt unzählige Methoden und Schemata, nach denen man vorgehen kann, um eine Kongruenz zwischen Gefühlen, Gedanken und Handlungen herzustellen. Da wäre z.B. die Arbeit mit dem Inneren Team (Schulz von Thun, 2013), bewusst leben, d.h. Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und differenzieren, und diese dann auch gewaltfrei zu kommunizieren (Rosenberg, 2005). Glaubenssätze entscheiden über deinen Fokus, deswegen raus aus der Opferhaltung, raus aus der Komfortzone. In der Gewaltfreien Kommunikation entwarf Herr Rosenberg den folgenden Satz,

“what you see is what you get”.

Wenn die Gedanken sich immer um etwas negatives drehen, so wird dieser Mensch auch nur die schlechten Dinge im Leben sehen. Um nicht in einer Kopfgeburt steckenzubleiben, stellt sich die Frage, “wo der Körper bleibe”.

Die Feldenkrais Methode schließt eine ganz wichtige Lücke, die Lücke von Außen und Innen. Mit Feldenkrais kreiere ich eine Verbindung zu mir selbst. Für Moshé Feldenkrais bestand eine Handlung immer aus vier Elemente haben:

  1. die Bewegung 
  2. das Gefühl 
  3. den Gedanken
  4. die Wahrnehmung.

Keine von den vier Elementen entsteht im luftleeren Raum. Sie erscheinen alle gleichzeitig in einem Raum-Zeit-Kontinuum. Und genau das ist das schöne daran. Es geht nicht um flexible Körper, sondern um flexible Gehirne. Wenn du Feldenkrais machst, dann eventuell deshalb, um deine Selbstorganisation zu verbessern. Mit der bewegungsorientierten Selbstorganisation verbessern sich auch Gedanken- und Gefühlsstrukturen. Einfach so! Denn Gefühle stecken uns regelrecht in den Knochen und in den Faszien. Du machst dich selbst zum Thema und startest damit einen Prozess, welcher kein Ende in Sicht hat, denn es gibt immer etwas neues zu lernen. Dadurch, dass du dich selbst zum Thema machst, finden du erstens mehr zu dir und zweitens, du bist mehr bei dir.

“Fortschritt bzw. Verbesserung, und somit eventuell auch Glück, entsteht durch eine konstante und stufenweise Veränderung von Variablen. Diesen Prozess nenne ich Lernen.”

Nun stelle ich dir die folgende Frage. Welche Variablen wirst du nun für dich verändern?

Literatur:

  • Arnold, Rolf (2009). Seit wann haben Sie das? Grundlagen eines Emotionalen Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer Verlag
  • Bieri, Peter (2003). Das Handwerk der Freiheit: Über die Entdeckung des eigenen Willens. Frankfurt am Main: Fischer
  • Bieri, Peter (2011). Wie wollen wir leben? Salzburg: Residenz
  • Harris, Thomas A. (1976). Ich bin ok - Du bist ok. Hamburg: Rowohlt Verlag
  • Rosenberg, Marshall B. (2005). Nonviolent Communication: A language of life. Nonviolent Communication Guide. Encinitas: Puddle Dancer Press
  • Schulz von Thun, Friedemann (2013). Miteinander Reden, Band 3, das Innere Team und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: Rowohlt

Bilder:

  • Foto von Susanne Geißler - a kind of art; Ist es nicht interessant, wie ein gewisser Flow und eine gewisse Leichtigkeit in diesem Bild rüberkommt?!? Oh, jetzt habe ich ja gespoilert. Grins!