Wie hängen die drei Wörter Spiel, Selbstbild und Propriozeption zusammen? Dem möchte ich mich heute annähern. Johan Huizinga gibt in seinem Buch “Homo Ludens” folgende Definition von Spiel, welche mir persönlich sehr gut gefällt.

“Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben’.” (Huizinga, 2015)

Das Selbstbild, psychologisch betrachtet, ist die Vorstellung, die ich von mir habe. Dieses Selbstbild speise ich durch meine Selbstwahrnehmung. Ergo, das Selbstbild entsteht aus mir heraus, das Fremdbild entsteht dadurch, wie jemand mich von außen wahrnimmt. Stimmen Selbstbild mit Fremdbild und unseren Idealvorstellungen überein, so kann dies zur psychischen Gesundheit beitragen.

Zum propriozeptiven System gehört das vestibuläre System im Innenohr, die taktilen Rezeptoren auf der Haut und die kinästhetischen Rezeptoren, die Muskeln (Appell, 2008). Diese Systeme sind zuständig für die Eigenempfindung, also die Wahrnehmung unseres Körpers in der Bewegung und die Lage der einzelnen Körperteile zueinander im Raum. Mit diesen drei Annäherungen, was Spiel, Selbstbild und Propriozeption bedeuten, machen wir uns nun auf zu Anna Jean Ayres (Ayres, 2005), eine amerikanische Entwicklungspsychologin, welche die Theorie der sensorischen Integration aufgestellt hat.

Sensorische Integration

Anna Jean Ayres (1920 – 1989) setzte sich während ihrer Tätigkeit als Psychologin mit neurologischen Auffälligkeiten auseinander und entwickelte daraufhin die Theorie der sensorischen Integration. Sie selbst definiert sensorische Integration als

“den neurologischen Prozess, der Sinneseindrücke aus dem eigenen Körper und aus der Umwelt organisiert und es uns ermöglicht, den Körper effektiv in der Umwelt einzusetzen.” (Ayres, 2005)

Was für eine wunderschöne Annäherung an das Konzept Propriozeption. Dieser Ansatz verbindet den Tastsinn, den Sehsinn, den Hörsinn, den Riechsinn und den Geschmackssinn miteinander. Der Input des verschiedenen Sinne gelangt in das Zentrale Nervensystem und wird dort so verarbeitet, das ein Kleinkind dann in einer Situation angemessen reagieren kann. Für die eingehenden Informationen der Propriozeption sorgen Dehnungsrezeptoren im Muskel, bzw. Muskelspindel und der Gleichgewichtssinn. Diese Systeme, könnte man so sagen, projizieren einen Mensch in dem Kopf, den sogenannten Homunculus, welcher wichtig für die Eigenwahrnehmung des Körpers im Raum ist. Manchmal kommt es jedoch zu neurologischen Auffälligkeiten. Die Therapieform der Sensorischen Integration arbeitet mit genau dieser Problematik, indem sie ihr Augenmerk auf zwei Dinge richtet: Bewegung und Wahrnehmung.

  • Bewegung und Wahrnehmung in alltäglichen Spielsituationen trainiert
  • Anpassungsprozesse an die Umwelt unterstützt
  • neue Erfahrungen des Kindes fördert und fordert
  • Erfolgserlebnisse vermittelt und somit das Selbstbewusstseins eines Kindes stärkt und
  • zu einer Umstrukturierung des Gehirns beiträgt

In dieser Therapieform kommen sehr interessante Übungen zum Einsatz. Da wäre z.B. der Einsatz der Hängematte, in welcher das Kind eingewickelt ist. Damit werden unter anderem der Gleichgewichtssinn (Vestibularorgan), die Propriozeption, Muskeltonusregulierung und Haltungsreflexe trainiert. Oder das Kind krabbelt durch einen Tunnel, um die beim Krabbeln überkreuzenden Bewegungen zu trainieren. Aber auch das Arbeiten mit Ton oder Holz wird sehr gerne benutzt, um die Zusammenarbeit beider Körperseiten zu fördern. Wahrnehmung und Bewegung sind grundlegend für Lernvorgänge. Die integrative Lerntherapie setzt daher auf vielfältige Wahrnehmungs- und Bewegungsangebote. Diesem vielfältigen Angebot liegen die vier Ebenen der sensorischen Integration zugrunde:

  1. Erste Ebene – Sicherheitsgefühl: Säuglinge benötigen Körperkontakt, vor allem Hautkontakt, mit Bezugspersonen. Dies erzeugt Sicherheitsgefühle mit deren eigenen Hautwahrnehmung. Die Haut stellt auch gleichzeitig eine Grenze nach außen dar. Der Mutter-Kind-Dialog sorgt zusätzlich für emotionale Sicherheit, welche notwendig für eine stimmige Integration von vestibulären und propriozeptiven Sinnesreizen ist. Weitere Quellen für das Sicherheitsgefühl kommen durch die Augenbewegungen und die Schwerkraft als verlässliche Orientierungsgrundlagen.
  2. Zweite Ebene – Koordination: Auf dieser Ebene werden die integrierten Sinnesreize von Vestibularorgan, Muskelspindeln und Haut in ein Körperbild zusammegeführt. Dieses Körperbild ermöglicht koordiniertes Verhalten.
  3. Dritte Ebene – Zweckgerichtetheit: Zweckgerichtete Handlungen bauen auf ein integriertes Körperbild auf. Dafür werden auditive und visuelle Wahrnehmung integriert, und im speziellen werden taktile, vestibuläre und propriozeptive Wahrnehmungen mit akustischen Wahrnehmungen verbunden. Tast-, Muskeldehnungs-, und Gleichgewichtserfahrungen integrieren die räumliche Tiefenwahrnehmung und die visuelle Wahrnehmung.
  4. Vierte Ebene – Verbindung der beiden Gehirnhälften: Die letzte Ebene beschäftigt sich mit Überkreuzbewegungen. Hierbei wird das Gehirn auf Verbindungen trainiert.

In der Psychologie wird gesagt, dass die Welt des Kindes am Anfang den Bedürfnissen des Kindes entspricht. Grundlagen der psychischen Differenzierung werden in dieser Zeit gelegt. Dies führt zu einer Herausbildung des Konzeptes “Ich”. Spiele tragen dazu bei, die eigenen Möglichkeiten zu erforschen. Hierbei ist es empfehlenswert nicht mit dem Nürnberger Trichter vorzugehen und das Kind abzufüllen mit Informationen, sondern dem Kind einen Raum für das Spiel zu geben. Kinder müssen nicht notwendigerweise schon in ganz jungen Jahren an die Leistungsgesellschaft angepasst werden. Diese zwanghafte Anpassung könnte aus der Angst der Eltern über die Entwicklung ihrer Kinder, etwas zu verpassen, entstehen (Zimpel, 2013).

Nehmen wir ein Beispiel: Fällt es einem Kind leicht sich auf einen Stein zu setzen? Um sich auf den Stein hinzusetzen, muss das Kind dem Stein den Rücken zukehren. Die visuelle Wahrnehmung des Steins fehlt nun. Durch immer wiederkehrendes Umdrehen sichtet das Kind den Stein und kommt schließlich zum Sitzen. Das liegt daran, dass das Körperbild noch keinen festen Bezugspunkt bei der Orientierung im Raum hat. Sobald es zu einer sensorischen Integration kommt, kommt es auch zu einer Entlastung der Aufmerksamkeit. Diese Integrationsleistung könnte ungefähr mit dem dritten Jahr abgeschlossen sein. Wenn dies jedoch nicht der Fall sein sollte, ist dies kein Weltuntergang.

Für mich besteht die Arbeit der sensorischen Integration in einem spielerischen Umgang mit verschiedensten Bewegungs-, und Wahrnehmungstätigkeiten, welche unter anderem die Propriozeption trainieren und zu einer feineren Herausarbeitung des Selbstbildes beitragen.

Selbstbild und Selbsterziehung

Die Feldenkrais Methode beginnt so oft mit dem Satz, das jeder Mensch spricht, sich bewegt, denkt, fühlt, dies jedoch in unterschiedlichster Weise. Wenn ein Mensch jetzt einen Modus ändern möchte, so müsste er sein Selbstbild dazu ändern. Die Änderung sollte dynamischer Natur sein. Sie sollte die Bewegung des ganzen Menschen und dessen zugrundeliegenden Motivationsstrukturen beinhalten. Um mich überhaupt zu bewegen, brauche ich zumindest einen meiner Sinnesreize, bewusst oder unbewusst und um zu empfinden, mit den Augen, Ohren, der Nase oder den Händen, muss ich Interesse zeigen, um diese Sinneskanäle auch zu öffnen. Die Änderungen finden also in der Dynamik des Lebens statt, denn das Leben ist kein statischer Zustand. Diese Dynamik kreiert jedoch auch Gewohnheiten und ob diese gut oder schlecht sind, lassen wir erst einmal dahingestellt.

Ein Neugeborenes kann nahezu alles ausführen, was auch ein Erwachsener kann, jedoch auf einer individuellen Art und Weise. Im Vergleich zu einem Erwachsenen kann es keine der kulturellen-, und sozialen Leistungen in der Gesellschaft ausführen. Dies entsteht erst im Laufe des Reifungsprozesses. Dieser Reifungsprozess mit seinen Tätigkeiten findet sich in unterschiedlicher Ausprägung als Inschrift auf dem vorher schon erwähnten Homunculus wieder. Der Homunculus ist der Abschnitt auf der Großhirnrinde, welcher mit Bewegungssteuerung zu tun hat. D.h. wenn ich nie lerne zu schreiben, bleiben genau diese Areale auf dem Motor Cortex (Homunculus) klein und undifferenziert. Spreche ich im Gegenzug mehrere Sprachen, ist genau dieser Bereich besonders differenziert. Daraus lässt sich ableiten, “ich bin, was ich lerne”.

Doch leider nimmt dieses kindliche spielerische Lernen mit dem Erlernen bestimmter Fähigkeiten ein Ende. Fähigkeiten, welche wir für das Funktionieren in einer Leistungsgesellschaft brauchen. Das ist ja auch alles gut so, denn schließlich gilt es sich ja einigermaßen anzupassen. Doch muss dies zu Lasten unseres Potentials gehen? Jemand, der mehrere Fähigkeiten besitzt, diese auch anzuwenden weiß und regelmäßig neue Fähigkeiten dazu lernt, arbeitet ständig an seinem Potential. Es nimmt letzten Endes mit dem Tod ein Ende. Es ließe sich sagen, “ein bewegtes interessantes Leben”.

Fazit

“Wir handeln nach dem Bild, das wir uns von uns selbst machen. Ich esse, gehe, spreche, denke, beobachte, liebe nach der Art, wie ich mich empfinde. Dieses Ich-Bild, das einer sich von sich macht, ist teils ererbt, teils anerzogen; zu einem dritten Teil kommt es durch Selbsterziehung zustande.“ (Feldenkrais, 1990)

Genau diese Selbsterziehung ist es, worauf es mir ankommt. Diese Selbsterziehung, welche spielerisch voran geht und schon dadurch intrinsisch motiviert ist, trägt zu einem differenzierteren Selbstbild bei. Dieses differenzierte Selbstbild verfeinert sich immer weiter im Laufe des Lebens, im Laufe des Spiel des Lebens. Ein immer weiter differenzierteres Selbstbild ist in einer schnelllebigen Zeit von großen Vorteil, da es angemessener und flexibler auf komplexe Probleme reagieren kann. Anfangs konzentrierte man sich noch auf Verbesserungen der Propriozeption, welche später zu einem kohärenten Ganzen zusammengefügt wurden und nun zu alltäglicher Leichtigkeit beitragen.

Literatur:

  • Appell, Hans-Joachim; Stang-Voss, Christiane (2008). Funktionelle Anatomie. Heidelberg: Springer
  • Ayres, Anna Jean (2005). Sensory Integration and the child. Los Angeles: Western Psychological Services
  • Feldenkrais, Moshé (1990). Awareness through movement. New York: Harper Collins 
  • Huizinga, Johan (2015). Homo Ludens. Reinbek: Rowohlt
  • Zimpel, André Frank (2013). Lasst unsere Kinder spielen! Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht