Manchmal werde ich von Teilnehmern einer ATM (Gruppenlektion) gefragt, was es braucht, um ein neues Muster im Nervensystem zu speichern, um es aktiv zu machen, wie das einstige Lernen einer komplexen Bewegung, sei es Fahrradfahren oder Zähne putzen. Martin Woznica (2008) beantwortete diese Frage auf folgende Art. Feldenkrais ist kein Trainingsprogramm, um Schmerzen zu reduzieren oder stärker zu werden, sondern eine Methode, mit deren Hilfe wir unsere Bewegungsmuster durchschauen, neue Bewegungsmuster kennenlernen, und im Laufe der Zeit diese neuen Bewegungsmuster zu einem stimmigen Ganzen zusammenbauen. Es ist wie ein Puzzlespiel. Es ist wie ein Spiel, wie Wiederholung ohne Wiederholung, denn jede Wiederholung variiert.
Spiel ist prozessorientiert
“Bei einer zielgerichteten Aktivität wird die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den Unterschied zwischen dem noch nicht erreichten Ziel und dem bereits erreichten Zustand gerichtet. Es gibt nur wenige Anhaltspunkte, wie man vorgehen könnte, um diesen Unterschied zu verringern. Lenkt man im Gegensatz hierzu die Aufmerksamkeit auf den Prozess, könnte man überlegen, alternative Wege auszuprobieren. Wenn ferner nicht fortgesetzt das Ziel im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, könnte diese Aktivität von einer gewissen Ernsthaftigkeit und sogar emotionalen Belastung befreit werden. Eine Annäherung in spielerischer Form wird eher möglich. In gewisser Weise erinnert ein solcher Lernstil an frühkindliches Lernen.” (Rywerant, 2013)
Spiel ist ähnlich einem Prozess. Dieser Prozess formt das Gehirn und macht uns schlauer und anpassungsfähiger. Nicht nur das; es fördert auch noch unsere Empathie, und, zu guter letzt haben Kreativität und Innovation als Grundlage das Spiel. Beim Prozess des Spielens durchlaufen wir mehrere Schritte. Zu allererst weckt das Warten auf das was passieren könnte, eine gewisse Neugierde. Wir lernen hier zu antizipieren, wir denken darüber nach was gleich kommt. Und vielleicht kommt alles anders. Dann sind wir überrascht, denn etwas Neues erscheint. Dieser Überraschungsmoment hinterlässt gute Gefühle. Wir freuen uns. Nun verstehen wir, wenn wir dies tun, könnte folgendes passieren. Richtig, es könnte folgendes passieren, es muss nicht notwendigerweise der Fall sein. Dieses neue Wissen integrieren wir dann. Es macht uns stärker. Wir haben etwas gelernt, eine konstruktive Erfahrung gemacht. Zu guter letzt entsteht dadurch eine gewisse Haltung.
Hier noch mal die Kurzfassung beim Spielprozess: Antizipation – Überraschung – Zufriedenheit – Verstehen – Stärke – Haltung.
Spiel von mehreren Blickwinkeln
Johan Huizinga (2015) definiert Spiel als eine freie Aktivität ausserhalb unseres gewöhnlichen Lebens. Es ist mehr als eine rein physiologische Erscheinung bzw. Reaktion. Spiel zeichnet sich dadurch aus, das es nicht ernst ist, uns jedoch in den Bann nimmt. Es finden sich überdies keine materiellen Interessen. Spiel hat eigene Regeln zu Zeit und Raum und unterstützt die Bildung von sozialen Gruppen. Laut seiner Aussage ist Spiel älter als Kultur und somit nicht an eine Kulturstufe oder Weltanschauung gebunden. Im Spiel ist etwas vorhanden, was über das nackte Überleben hinausgeht und dem Spiel Sinn verleiht. Da wir während des Spiels wissen, das wir spielen, macht uns das mehr als nur vernünftige Wesen, denn laut seiner Aussage ist Spiel in seiner Natur unvernünftig. Spiel lässt sich auch nicht verneinen, wohingegen die Verneinung mit Begriffen wie Wahrheit, Gott, Recht usw. möglich ist. Tiere spielen, Menschen spielen.
Wir sind lebendige Wesen. Lebendigkeit unserer Gedächtnisstruktur entsteht am besten durch das Spiel. Dies behauptet Gerald Edelman (Brown, 2010) und er hat dafür seine Erklärung. Unsere Wahrnehmungen werden im Gehirn in sogenannten Mappen abgespeichert. Es gibt in der Welt zum Beispiel viele verschiedene Bäume. In unserem Gehirn gibt es eine Mappe namens “Baum”. Diese Mappe erlaubt es uns, auch einen Baum zu erkennen, den wir noch nie vorher gesehen haben. Neben dieser Mappe “Baum”, gibt es natürlich noch viele andere Mappen zu materiellen sowie immateriellen Dingen. Es entsteht somit eine reiche und vielseitige Landschaft an Mappen, die uns bei der Wahrnehmung von unzähligen Dingen helfen. Diese Verallgemeinerungen der Mappen sind nicht statisch, sondern dynamisch und dazu noch emotional gefärbt. Die Lebendigkeit dieser Mappen hängt von vielen Details ab. Und diese Lebendigkeit entsteht am besten durch das Spiel.
Überdies stimuliert Spiel das Wachstum von Nerven, speziell der Nerven welche zuständig für Emotionen (Amygdala) und für Entscheidungen (Präfrontaler Kortex) sind. Jaak Panksepp (Brown, 2010) studierte Spiel in Raten und anderen Tieren. Er glaubt, dass Spiel zuerst im Gehirnstamm seinen Ursprung hat, indem auch Überlebensmechanismen wie Atmung, Bewusstsein, Schlaf ihren Ursprung haben. Jungen Tieren Spiel zu entziehen führte demnach zu einer verzögerten Gehirnentwicklung bis hin zur Entwicklungsunterbrechung.
Spiel hat laut Stuart Brown (2010) einfach sehr interessante Eigenschaften. Es ist eine ursprüngliche Aktivität, denn es war vor dem Bewusstsein und der Sprache schon da. Wir denken nicht notwendigerweise über uns selbst nach, wenn wir spielen. Es funktioniert also auch ohne Intellekt. Wir machen es freiwillig und das liegt wahrscheinlich daran, das Spiel Freude stiftet und somit Langeweile abschafft. Wir könnten dies auch die dem Spiel innewohnende Attraktivität nennen. Es fühlt sich zeitlos an und das liegt wahrscheinlich daran, das wir dabei keinen Nutzen verfolgen. Wir spielen ohne Intention und dies genau ist die Intention. Nicht das Geldverdienen steht hier im Vordergrund, sondern das Ausprobieren immer neuer Dinge. Unser Potential zur Improvisation steigt ins Unermessliche.
Hmm, ich finde, ziemlich interessante Ansichten. Ich stelle jetzt mal den Kaffee weg und spiele ein wenig.
Literatur:
- Brown, Stuart (2010). Play. New York: Penguin Books Ltd.
- Huizinga, Johan (2015). Homo Ludens. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag
- Rywerant, Yochanan (2013). Grundlagen der beruflichen Feldenkrais Arbeit. Karlsruhe: Von Loeper Literaturverlag
- Woznica, Martin (2008). Arbeit… ist mehr als Geldverdienen. Petersburg: Verlag Via Nova