Ist sie nicht tief verankert, die Sehnsucht nach Wahrnehmung? Schon in frühester Kindheit ist das Bedürfnis, „gesehen“ zu werden, ein zentrales Element der menschlichen Erfahrung. Es geht dabei nicht nur um die physische Wahrnehmung, sondern vor allem um das Gefühl, in der eigenen Einzigartigkeit erkannt und wertgeschätzt zu sein. Dieses uralte Bedürfnis zieht sich durch alle Lebensphasen und ist eine wesentliche Grundlage für ein stabiles Selbstwertgefühl und tiefe zwischenmenschliche Verbindungen.

Doch was passiert, wenn dieses Bedürfnis unerfüllt bleibt? Wie wirkt sich das Gefühl, nicht gesehen zu werden, auf die eigene Psyche und das Verhalten aus? Und welche Strategien können helfen, die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen und echte Verbindung zu schaffen?

Das Bedürfnis nach Anerkennung aus Sicht der Selbstbestimmungstheorie

Die Forscher Richard M. Ryan und Edward L. Deci (2000), Begründer der Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, SDT), identifizieren drei grundlegende psychologische Bedürfnisse, die für menschliches Wohlbefinden essenziell sind: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Vor allem Letzteres beschreibt den Wunsch, sich in Beziehungen sicher und wertgeschätzt zu fühlen.

Wenn Menschen das Gefühl haben, nicht gesehen oder gehört zu werden, kann dies zu Entfremdung, einem geschwächten Selbstwertgefühl und einem Rückzug aus sozialen Kontexten führen. Es entsteht ein Teufelskreis: Wer sich nicht wahrgenommen fühlt, zieht sich oft weiter zurück, was die Sichtbarkeit noch weiter verringert.

Hindernisse für echtes Sehen und Gehörtwerden

Ein zentraler Faktor, der echtes Zuhören und Wahrnehmen behindert, ist das sogenannte „Kopfkino“ – ein innerer Dialog, der sich auf eigene Gedanken, Sorgen oder Reaktionen konzentriert, statt auf das Gegenüber. Dies führt dazu, dass Gesprächspartner sich nicht vollständig wahrgenommen fühlen. Ein Beispiel aus der Arbeitswelt verdeutlicht dies: Ein Mitarbeiter, der in einem Feedbackgespräch eine unpassende Diagnose über seine Leistung erhält, erlebt keine Wertschätzung, sondern Frustration. Liebevolle Anerkennung der Leistung, die geleistet wurde und konstruktive Verbesserungsvorschläge hätten höchstwahrscheinlich zu einem anderen Ausgang geführt. Die Frage ist, was kannst du persönlich tun, um mehr gesehen zu werden und auch um andere besser zu sehen? Machen wir das mal ganz einfach.

Vier Schritte, um andere wirklich zu „sehen“

Um die Verbindung zu anderen zu stärken, sind folgende Schritte hilfreich:

  1. Interesse zeigen: Sich bewusst Zeit nehmen, um dem Gegenüber die volle Aufmerksamkeit zu schenken.
  2. Zuhören: Unvoreingenommen hören, ohne eigene Sichtweisen direkt einzubringen oder das Gespräch zu unterbrechen. Das heißt auch, manchmal einfach nur den Mund halten. 😉
  3. Nachfragen: Durch gezielte Fragen das Verständnis prüfen und zeigen, dass man wirklich verstehen möchte.
  4. Empathie zeigen: Sich in die Gefühle des anderen hineinversetzen und diese spiegeln, um eine Verbindung auf Augenhöhe zu schaffen.

Wege aus der Unsichtbarkeit: Selbstwahrnehmung als Schlüssel

Das Gefühl, nicht gesehen zu werden, beginnt oft bei der eigenen Wahrnehmung. Wer sich selbst nicht als wertvoll wahrnimmt, strahlt diese Unsicherheit auch nach außen aus. Hier setzt die Selbstbestimmungstheorie an, indem sie die Bedeutung der Selbstliebe und Selbstwahrnehmung betont:

  • Sich selbst sehen: Sich bewusst Zeit nehmen, um die eigenen Stärken und Erfolge zu erkennen und anzuerkennen.
  • Verletzbarkeit akzeptieren: Sichtbar zu werden erfordert Mut, auch die eigenen Schwächen und Unsicherheiten zu zeigen.
  • Authentisch sein: Sich nicht hinter einer Rolle oder Maske zu verstecken, sondern als authentische Persönlichkeit aufzutreten.

Wie Feldenkrais helfen kann, die Selbstwahrnehmung zu verbessern

Die Feldenkrais-Methode stärkt die Selbstwahrnehmung durch achtsame, langsame Bewegungen, die Propriozeption und Reflexion fördern. Teilnehmer lernen, unbewusste Spannungen und ineffiziente Muster zu erkennen und durch neue, mühelosere Alternativen zu ersetzen. Durch die Verbindung von Körper und Geist wird das Bewusstsein geschärft, Stress reduziert und ein ganzheitliches Empfinden entwickelt. Dieser explorative Ansatz unterstützt die Fähigkeit, selbstbestimmt und effizienter zu handeln, was sowohl körperliche als auch emotionale Flexibilität fördert. Wenn Feldenkrais nicht dein Ding ist, hast du schon einmal PEP probiert? PEP, was ist das denn?

PEP: Mehr gesehen werden und Selbstwert stärken

Die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie (PEP) nach Dr. Michael Bohne hilft, sich mehr gesehen zu fühlen und den Selbstwert zu steigern, indem sie emotionale Blockaden löst und Selbstakzeptanz fördert. Mit Techniken wie dem Klopfen bestimmter Akupunkturpunkte werden belastende Emotionen reduziert. Und die Affirmationen helfen innere Glaubenssätze neu zu bewerten. Dies stärkt das Gefühl von Sicherheit und Eigenverantwortung. PEP ermöglicht es, sich authentisch zu zeigen, alte Prägungen zu überwinden und sich als wertvoll wahrzunehmen – die Grundlage, um von anderen wahrgenommen und geschätzt zu werden. Und für den Fall, das PEP nicht so dein Ding ist, hier noch ein paar Ideen.

Andere Praktische Ansätze zur Stärkung des Selbstwerts

  • Selbstwahrnehmung üben: Tägliche Rituale wie ein freundliches Lächeln im Spiegel oder das bewusste Anerkennen von Erfolgen helfen, das eigene Selbstbild zu stärken.
  • Grenzen setzen: Mit wachsender Selbstliebe wird es leichter, klare Grenzen zu setzen und authentische Entscheidungen zu treffen.
  • Positiv bleiben: Kleine Erfolge feiern und bewusst positive Erfahrungen sammeln, etwa durch den Austausch mit Gleichgesinnten in Workshops oder Gesprächsgruppen.

Fazit: Sichtbarkeit als Prozess der Selbstfindung

Das Bedürfnis, gesehen zu werden, ist tief in uns verwurzelt und beeinflusst unser Leben auf vielfältige Weise. Indem wir uns selbst mit Liebe und Respekt begegnen, können wir nicht nur unsere eigene Sichtbarkeit erhöhen, sondern auch authentische Verbindungen zu anderen aufbauen. Es braucht Mut, Reflexion und Geduld, diesen Weg zu gehen, doch die Belohnung sind tiefere Beziehungen, mehr Selbstvertrauen und ein gestärktes Gefühl der Zugehörigkeit.

Literatur:

  • Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. The American psychologist, 55(1), 68–78. https://doi.org/10.1037//0003-066x.55.1.68

Bilder: