In einen meiner Artikel namens “Kleines Schlaf ABC” schreibe ich über nächtliche Schlafräuber. Ich nenne es die Triade aus Stress, Schmerz und Rumination. Rumination bedeutet Grübeln, d.h. der Kopf dreht und dreht und dreht sich, über was auch immer. Und dies hält einen dann vom Einschlafen ab. Oder es führt dazu, das man aus Erschöpfung einschläft, aber wieder aufwacht, also nicht durchschläft, aufgrund des ganzen Stresses, welchen man durch das Grübeln erzeugt hat. Und nun?

Vom Gedankensurfen zur Gedankenarbeit

Johann Christoph Friedrich von Schiller sagte einst, dass wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten. Ich erinnere mich an eine Zeit in meinem Leben, in der ich sehr im Kopf unterwegs war, eigentlich nur im Kopfe. Diese Zeit ist nicht vorbei. Es ist manchmal immer noch so. Es ist allerdings auch weniger geworden, was sehr gut ist und sehr gut tut. Auf der Suche nach Antworten, hatte ich regelmäßige Kopfschmerzen. Ich fokussierte mich auf Dinge, die nicht funktionierten, war sehr aufmerksam auf negativ belegte Wörter, stellte mir Fragen über Fragen, stellte mich selbst in Frage. Anstatt die Vögel singen zu hören oder einfach spazieren zu gehen, schob ich endlos Gedanken hin und her, wie ein Gedankensurfer. Was kann ich nun tun, um die Vögel wieder singen zu hören? Oder, was kann ich tun, um nachts besser schlafen zu können? Bei der Beantwortung dieser Frage, möchte ich die Ideen von Rolf Arnold (2012), Professor für Pädagogik, aufgreifen.

Ausstieg aus dem Gedankensurfen

Dieses Gedankensurfen löst laut Rolf Arnold Gefühle aus. Diese Gefühle entstehen natürlich nicht aus einem Vakuum heraus, sie rufen Erinnerungen hervor. Somit lebt Vergangenes noch mal auf. Diese Erinnerungen und die mit ihr einhergehenden Gefühle haben jedoch keinen Bezug zur Gegenwart. Die damaligen Gefühle passen auf die damalige Situation, nicht notwendigerweise auf die jetzige Situation. Ich könnte sagen, das ich vergangene Leiden wieder zum Leben erwecke. Sollten diese immer wiederkehrenden Gedanken nicht stoppen, werden diese zu Verhaltensweisen. Das fühlt sich zum Einen gut an, denn es gibt uns Sicherheit. Es ist vertraut, jedoch versperrt es auch die Möglichkeit zur Entwicklung.

Entwicklung hängt unter anderem mit Unsicherheit zusammen. Wir müssen diese Unsicherheit aushalten, wenn wir uns auf Neues einlassen und auch erleben möchten. Es kann sehr schwer sein, Neues als wirklich Neues zu erleben, ohne es mit alten Gefühlen und Erinnerungen zu vermischen. Hier bedarf es einer emotionalen Änderung und diese beginnt nicht im Herzen, sondern im Kopf. Wir arbeiten mit unseren Gedanken, machen diese zum Thema, sehen neue Gedanken nicht mit der emotionalen Färbung der Vergangenheit. Rolf Arnold nennt diese Gedankenarbeit emotionale Kompetenz.

Wir sind uns unserer wiederholenden Gedanken bewusst, wissen das sich diese irgendwann einmal in Gefühle manifestieren. Diese Manifestation der Gefühle tun wir der Eindeutigkeit, der Gewissheit wegen. Wir schaffen so eine gewisse Sicherheit, um in der Welt zu sein. Es scheint dann aber auch so, als sprächen wir von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Wenn wir es schaffen aus dem Gedankensurfen auszusteigen, indem wir die Gedanken einfach nur beobachten, wäre damit schon mal ein erster Schritt getan. Wir starten einen inneren Dialog. Hier eignen sich bestimmte lösungsorientierte Fragen. Diese ermöglichen es uns aus dem Gedankensurfen auszusteigen, und hin zur Gedankenarbeit zu kommen.

Fünf Fragen zum Gedankensurfen

  1. Welche spontanen Gedanken befallen mich?
  2. Welchen Beurteilungstendenzen folgen diesen Gedanken?
  3. Wann hatte ich ähnliche Gedanken zum letzten Mal?
  4. Was waren die Konsequenzen?
  5. Was nutzen mir diese Gedanken?

Diese Fragen sorgen dafür fortwährend im Kopf zu surfen, Gedanken hin- und herzuschieben. Es geht jedoch auch anders. Es handelt sich um kleine Änderungen in der Wortwahl bei den nächsten fünf Fragen. Diese kleinen Änderungen in der Wortwahl können große Veränderungen im Emotionshaushalt mit sich bringen.

Fragen zur Gedankenarbeit

  1. Was bleibt mir, wenn ich dies nicht denke?
  2. Kann ich die Situation ohne Wertung beobachten?
  3. Kann ich ohne Prophecy-Tendenz beobachten? In anderen Worten eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, d.h. ich denke immer wieder, etwas nicht zu schaffen und vielleicht geht es in Erfüllung und ich schaffe es dann wirklich nicht.
  4. Kann ich bewusst etwas Positives denken? Statt dem Wort “positiv” könntest du auch das Wort “konstruktiv” verwenden. Konstruktiv = die Entwicklung fördernd.
  5. Kann ich beobachten, was sich dadurch verändert?

Für den Fall, dass du auch zu den notorischen Grüblern zählst, spiele doch einmal die oben genannten Fragen mit einem akuten Fall durch und beobachte, was sich dadurch verändert. Mir persönlich haben diese Fragen sehr oft geholfen beim Entrümpeln meiner Oberstube. Ich kann sie daher nur weiterempfehlen.

Gefühle können manchmal in die Irre führen

Christophe André (2012), ein französischer Psychiater und Psychotherapeut sieht das mit dem Entrümpeln aus folgender Perspektive. Unsere Gefühle, schreibt er, schaffen in uns ein Echo von der externen Welt. Dieses Echo hilft unserem Denken und Reflektieren, und das ist gut so. Problematisch wird es wenn unsere Gefühle uns in die Irre führen. Gefühle können auch den Blick für die jetzige Lage verstellen.

Gefühle können länger dauern als eigentlich angebracht, geben somit den Ton an. Sie programmieren Synapsen und nun reagieren wir immer auf dieselbe Weise. Somit haben sich gewisse Gefühle verselbständigt. Wir können natürlich über gute Erinnerungen nachdenken und unsere Gefühlswelt positiv stimmen. Oder wir tun genau das Gegenteil, werden dysphorisch, das Gegenteil von euphorisch. Verbringen wir zu viele Gedanken über negative Dinge, so werden wir zu Wiederkäuern. Dies nennt sich dann Rumination. Ha, da wäre sie wieder!

Halbgedanken verhindern Entscheidungen

Gefühle in Verbindung mit Rumination sind lange Ketten von Halbgedanken, die nicht zu einer Entscheidung führen. Wir unterwerfen uns selbst in einen zirkulären und geschlossenen Gedankenprozess über den wir die Kontrolle verlieren. Nur eine Unterbrechung holt uns da wieder raus. Das zentrale Fragewort in der Rumination ist “Warum”. Die Vergangenheit taucht durch die Frage “Warum” wieder auf und gibt sich als Gegenwart aus. Auf diese Weise stoppen wir zu leben und lassen uns durch das “Warum” leben. Bei der Rumination gibt es einen Unterschied zur Reflexion. Rumination ist selbstbezogen, nicht so die Reflexion. Wir hören nicht auf Rat von außen.

Reflexion, oder die Welt aus anderen Augen sehen

“Wechsle die Brille und du brauchst keine Pille.”

Die wahre Natur der Reflexion besteht darin, sich in andere hineinzuversetzen und die Welt aus deren Augen zu sehen, so Christophe André. Ich füge folgendes hinzu: die wahre Natur der Reflexion besteht darin, sich in die verschiedenen inneren Anteile hineinzuversetzen und die Welt aus diesen Augen zu sehen. Und genau darin besteht der Ausweg aus diesem Gedankenzoo. Ich beziehe andere, bzw. meine anderen inneren Anteile, in meine Gedanken mit ein. Ich ändere ausserdem meine Fragen von “warum” hin zu “wie”. Wenn mich etwas stört, ist es besser es anzupacken, als darüber ständig nachzusinnen oder wegzurennen. Dies macht die Reflexion zu einem starken Partner, denn:

  • Reflexion ist lösungsorientiert und geht Probleme Schritt für Schritt an.
  • Reflexion ist neutral. Sie sieht Dinge wie sie sind. ODER neutraler!!!
  • Reflexion neigt nicht zu Übertreibungen, bzw. Untertreibungen.
  • Reflexion ist zukunftsorientiert.

Auf das “wie” kommt es an

Neben dem oben genannten Weg, aus dem Gedankenzoo auszusteigen, stellt sich die Feldenkrais Methode als sehr hilfreich dar. Wenn wir uns voll und ganz einer Feldenkrais Lektion hingeben, in uns hinein spüren, achtsam sind, um kleinste Unterschiede wahrzunehmen, stellen wir im Nachhinein fest, dass negative Gedankenketten ein Ende genommen haben. Wir ersetzten diese sogenannte Rumination mit der Wahrnehmung kleinster Bewegungen.

Mit dieser Wahrnehmung realisieren wir noch etwas anderes, nämlich das wir vielleicht an bestimmten Stellen unnötig viel Muskelkraft aufwenden, unnötig viel Spannung haben. In dem wir uns ganz der Bewegung hingeben und auf das “wie” achtsam sind, lernen wir sehr viel über uns. Wir lernen, welche Bereiche, welche Muskelgruppen viel arbeiten, ohne das ganze zu bewerten. Der Atem wird ruhiger, die Gedanken kommen zu einem Halt, Entspannung stellt sich ein. Wir fühlen uns mehr zu Hause, in unserem Körper. Wir fühlen uns freier, in unserem Kopf!

Nicht umsonst sagte einst eine Feldenkrais Teilnehmerin nach unzähligen Lektionen, seitdem sie Feldenkrais mache, kann sie viel besser schlafen. Genial, oder?

Ist Feldenkrais notwendig?

Manchmal wollen Menschen Feldenkrais machen mit der Intention “um zu”, also um mehr Leistung zu bringen, um Stress abzubauen, um besser zu schlafen, oder oder oder. Alan Watts (2000) stellte solchen Menschen folgende Frage: Wohin willst du? Wenn ich von Berlin nach München möchte, ist es vielleicht wichtig zu wissen, welche Autobahn ich nehme. Doch wenn ich erleuchtet werden möchte, was tue ich dann? Oder, wenn ich unbedingt schlafen will, was tue ich dann? Ist es nicht so, dass genau dieses Wollen sehr viel Stress erzeugt. So schreibt er:

“People think it would be nice to have peace of mind, to be serene, to be calm, to be undisturbed by this, that, and the other. But as long as you make all those things objects of desire, you have defined yourself as lacking them, and a person who is looking for peace is obviously in turmoil.” (Watts, 2000, S. 67)

Nirgendwo hin

Es gibt laut Alan Watts, oder auch laut Jon Kabat-Zin keinen Ort, wohin du gehen kannst, wohin du fliehen kannst, denn du nimmst dich überall hin mit. Was du auch mitnimmst, ist dein Rucksack an Erinnerungen und Problemen und emotionalen Stressoren. Wenn du also unbedingt schlafen willst, also zu diesem Ort der Stille und Erholung, genannt Schlummerland, willst, was erzeugst du womöglich, außer Stress. 

Ich erinnere mich an ein Zitat eines langjährigen Freundes Horst Lange (nein, nicht der Schriftsteller), welcher einst zu mir sagte, “wer nicht strebt, erreicht”. Ja, genau das ist es. Aber auch das Nicht-Streben-Wollen kann Stress erzeugen, so füge ich hinzu: Atme 😉

Vielleicht konnte ich dir damit ein wenig behilflich sein. Wenn dem so ist, so freut mich dies sehr.

Literatur:

  • André, Christophe (2012). Feelings & Moods. Cambridge: Cambridge: Polity Press
  • Arnold, Rolf (2012). Seit wann haben Sie das? Grundlinien eines Emotionalen Konstruktivismus. Heidelberg: Heidelberg: Carl-Auer Verlag
  • Watts, Alan (2000). Still in the mind. An Introduction to Meditation. Novato, Kalifornien: New World Library

Bilder:

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