Wie begegnet man den Wirrnissen des Lebens? Wie kommt ein Mensch mit den Schwierigkeiten des Alltags zurecht? Mit Geschichten, sagt Jorge Bucay (2008). Eine Geschichte kann dabei von existenzieller Bedeutung sein, denn dadurch, so schreibt Wilhelm Schmid (2016), wird ein Mensch erkennbar und auch unverwechselbar. Es ist ein Suchen und ein Finden, eine Konstruktion von Zusammenhängen, die Sinn erzeugen. Leben wir in unglücklichen Zeiten? Gute Frage, die Covid Pandemie, der Klimawandel, das Artensterben, Krieg und Hunger, die Krisen unserer Zeit. Das wäre eine globale Perspektive. Dann wären da noch die ganz alltäglichen individuellen Dinge, wie z.B. ein Termin jagt den anderen, ein Mangel an Zeit, endlose to-do-Listen, Doppelbelastungen, der moderne Erreichbarkeitswahn und vieles mehr. Was nun? Wie umgehen mit all diesen Dingen?

“Unglückliche Zeiten sind gut zu überstehen, wenn Sinn in ihnen gesehen werden kann, daher ist Sinn wichtiger als Glück.” (Schmid, 2016, S. 58)

Limitationen transformieren

Sinn ist also wichtiger als Glück. Sinn kann sehr wohl durch Verbindung entstehen. Auf meiner Webseite steht geschrieben, dass der Weg zu mir darin bestehen könnte, Limitationen zu transformieren. Damit meine ich die Art und Weise, wie ich über mich selbst denke und mit mir spreche. Dadurch nehme ich mehr und mehr die Verbindung zu meinem Selbst wahr und umarme es dann, sofern ich das möchte. So schreibt auch Wilhelm Schmid, eine Beziehung zu sich wird durch die Selbstreflexion in Gang gesetzt. Es ist ein Spiel von Frage und Antwort, welches einem Klarheit verschafft. Diese Klarheit kann ich durch zwei Wege erreichen. Ich bin mir sicher, neben diesen Wegen, gibt es noch unzählige andere, Kunst, Tanz, Meditation, Reisen, etc.

Zwei Wege des Fragens

Jetzt könnte ich mich auf den Weg machen und Spazieren gehen, in den Wald, über Stock und Stein. Währenddessen könnte ich mir Fragen stellen, am besten laut und mir dabei zuhören, wie ich mir laut diese Fragen stelle. Aufmerksam lauschend, welche Antworten aus dem Bauche kommen, nähere ich mich dadurch immer mehr an.

Ich könnte allerdings auch mit einer mir wichtigen Person in den Dialog gehen und die gleichen Fragen stellen. Vielleicht bewirkt das zuhörende andere Ohr eine komplett andere Antwort. Ich weiß es nicht, ob es so sein wird, denn es ist nicht möglich, beides gleichzeitig zu tun, sondern immer nur nacheinander. Und ein Nacheinander der gleichen Frage kann natürlich komplett andere Antworten mit sich bringen. 

“Nur selbst gedachte Gedanken erkennt ein Mensch als verbindlich für sich an, nur ihnen wird er, wenn überhaupt welchen, auch folgen.” (Schmid, 2016, S. 176)

Selbstdenken kann anstrengend sein. Manchmal helfen Fragen dabei, eine neue Tür zu öffnen. Welche Fragen könnten dies nun sein? Wilhelm Schmid bringt in seinem Buch “Das Leben verstehen” sieben Bereiche an, welche ich hier versuche kurz wiederzugeben.

Fragen der Phänomenologie

In diesem Bereich wird ein Phänomen, eine Situation, ein Zustand, etwas genauer beschrieben. Dies erfordert ein Hinsehen und eine detailliierte Wahrnehmung. Hier gilt es zwischen Oberfläche und innerer Struktur zu entscheiden. Die Oberfläche steht für äußerliche Aspekte und die innere Struktur käme dem So-Sein in mir gleich. Mögliche Fragen wären:

  • Was ist gerade der Fall?
  • Was ist geschehen?
  • Wie ist es dazu gekommen?
  • Woher weiß ich, dass es wirklich so ist, wie es mir scheint?
  • Welche Bedingungen sind veränderbar und welche sind es nicht?

Fragen der Hermeneutik

In Krisen, in Leidenszuständen stellt sich immer die Frage, was der Sinn dahinter ist. Zusammenhänge klarer zu sehen kann einen ersten Schritt darstellen hin zu einem tieferen Sinn dahinter. Es kommt einer Erweiterung des Blickes gleich. Vielleicht lässt sich die Situation, das Phänomen anders deuten. Vielleicht lässt sich eine andere Haltung dazu herausfiltern. Mögliche Fragen wären:

  • Wie ist es zu verstehen, bzw. wie verstehe ich es?
  • Welche Beweise untermauern mein Verstehen?
  • Was lässt sich daraus machen?

Fragen der Panoptik

Hier dreht sich alles um den Blick für das Ganze. Man verlässt den eigenen Standpunkt und blickt von einer höheren Warte auf die Situation, auf das eigene Leben. Viel lässt sich dadurch schon relativieren. Es könnte dazu führen Zusammenhänge der Situationen in einem größeren Licht zu betrachten. Auch daraus lässt sich Sinn erfahren, welcher mit einer Wahrnehmungsweitung einhergeht. Mögliche Fragen wären:

  • In welchem größeren Zusammenhängen ist das individuelle Geschehen eingebettet?
  • Was befindet sich drum herum und darüber hinaus?
  • Was ist der kulturelle, der biographische und geschichtliche Kontext?

Fragen der Terminologie

Worte haben Bedeutung. Es gibt Artikulation und Interpretation. Manchmal sind die Bedeutungen, die wir Worten beimessen, unterschiedlich. Dies kann zu äußeren und inneren Konflikten führen. Sich mit Worten, deren Bedeutung und deren Begrenzung auseinander zu setzen, kann eine ganze Menge Wind aus den Segeln nehmen. Mögliche Fragen wären:

  • Wie kann ich am besten sprechen?
  • Welche Worte bringen mein Innerstes zum Ausdruck?
  • Was bedeuten diese Worte für andere Menschen in meiner Kultur, sowie in anderen Kulturen?

Fragen der Optionalität

Wenn etwas verändert werden kann, stellt sich die Frage, “was”. Manchmal steckt ein Mensch fest, sieht keinen Ausweg. Genau hier greifen diese Fragen. Fragen, die den Blick nach links und rechts öffnen. Ideen, welche dem Bewusstsein zugänglich werden, setzen plötzlich etwas in Gang. Möglichkeiten ermöglichen Freiheit. So sagte es auch Moshé Feldenkrais. Erst ab drei Möglichkeiten sprechen wir von Freiheit. Mögliche Fragen wären:

  • Was ist möglich?
  • Welche Alternativen stehen mir zur Verfügung, bzw. welche lassen sich herstellen?
  • Worauf richtet sich meine Sehnsucht?
  • Worauf richtet sich mein ästhetisches Empfinden?

Fragen der Ethik

Hier könnte man zwei Kriterien unterscheiden. Erstens, die Art und Weise des Lebens, die ein Weiterleben ermöglicht und zweitens, ein bejahenswertes Leben, welches realisiert werden kann. Leidensvoll wird ein Leben dann, wenn ich mich selbst verleugne, oder mich selbst verneine (Koch-Kersten, 2021), um mich ganz und gar ans Außen anzupassen. Was ich dabei verpasse, ist mein eigenes Leben. Laut Koch-Kersten zeichnet sich der Weg von der Selbstverneinung zur Selbstbejahung über die Bejahung aller Gefühle und auch aller Abwehrmechanismen. Mögliche Fragen hierzu wären:

  • Was sollte bzw. könnte ich tun?
  • Welche Werte sind mir wichtig?
  • Welcher Wert hat Vorrang, sofern die Werte sich widersprechen?
  • Wofür lebe ich?

Fragen der Asketik

Bei der Asketik dreht sich alles um die Umsetzung. Es handelt von Theorie und Praxis, sowie von Kontinuität. Die Umsetzung betrifft nicht nur Stunden oder Tage, sondern Monate und Jahre, das wäre Kontinuität. Wilhelm Schmid spricht von der asketischen Brücke, d.h. das Lernen von neuen Gewohnheiten im Denken, sowie im Handeln. Asketik arbeitet mit der Zeit, fällt nicht vom Himmel, setzt Geduld und Beharrlichkeit voraus, um nicht in der asketischen Lücke stecken zu bleiben. Diese Lücke würde bedeuten, es bleibt alles, wie es ist. Der Tag hat dabei nur gewisse Stunden, doch viele Tage addiert ergeben ein größeres und freundlicheres Bild. Mögliche Fragen wären hier:

  • Welche Schritte führen zur Verwirklichung dieser Möglichkeit?
  • Welche Anstrengungen erfordert es?
  • Welche Unterstützung kann ich mir wo, mit wem, holen?

Und nun?

“Man liebt das, wofür man sich müht, und man müht sich für das, was man liebt.” Erich Fromm

Ich denke, dieses Zitat von Erich Fromm steht für sich allein. Dazu braucht es fast gar keine Frage mehr, oder etwa doch? Moses Maimonides, ein andalusisch-nordafrikanischer jüdischer Philosoph, gruppierte menschliche Probleme in drei Kategorien. Die erste Kategorie ist die Leiblichkeit. Die Tatsache, das wir einen Körper haben, bedeutet zum einen, das wir krank werden können und zum anderen, das unsere Körper sterblich sind. Das zweite Übel des Menschen ist der Hang mit anderen Krieg zu führen. Auf die heutige Zeit übertragen wären darunter die ganz alltäglichen Kriege, zu welchen Misshandlungen, Gewaltverbrechen, Mordversuche, Betrügereien, etc. zu verstehen. Die dritte Gruppe umfasst alles, was wir uns selbst antun. Die Tendenz uns selbst das Leben schwer zu machen, durch extremen Perfektionismus, Zwänge, Rastlosigkeit, Gier, Neid, Haß, rücksichtsloser Egoismus, selbstzerstörerische Gedanken, etc.

Maimonides fügt außerdem hinzu, das wir gegen unser erstes Problem, die Körperlichkeit, nicht ankommen, jedoch gegen die beiden letzten. Das Mittel hierfür wäre Lernen und das Ziel definiert Maimonides in einer Reduktion von Unwissenheit. Ich würde dem nicht ganz zustimmen, denn auch gegen unsere erste Problematik können wir ankommen. Wir können zwar nicht den Tod überwinden, jedoch ein wenig hinauszögern. Was wir auch noch können, ist uns mit dem Tod auseinander zu setzen und lernen, anders über ihn zu denken. Die beiden anderen Probleme lassen sich durch Wissen teilweise minimieren. Wenn es lediglich beim Wissen bleibt und keine Empathie hinzukommt, gegenüber einer anderen Person, sowie gegenüber einem selbst, so nützt das beste Wissen nichts.. Dann wären wir wieder beim Bereich der ethischen Fragen angelangt.

Vielleicht ist es ja auch so, wie Erich Fromm dies auch schon gesagt hat. Man zeigt seine Liebe durch die Mühe für etwas. Liebe motiviert zu Mühen. Wie würdest du das nie-aufhörende Streben eines Kleinkindes, etwas ganz genau zu untersuchen, benennen? Ist es Liebe, Neugierde, Motivation? Ich lasse diese Frage mal offen.

Literatur:

  • Bucay, Jorge (2008). Komm, ich erzähle dir eine Geschichte. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag
  • Koch-Kersten, Brigitte (2021). Personenzentrierte Traumatherapie: Heilung durch Selbstbejahung. Kröning: Asanger Verlag
  • Schmid, Wilhelm (2016). Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers. Berlin: Suhrkamp

Bilder: