Was soll ich sagen? Ich liebe Körperarbeit! Wirklich! Jetzt habe ich etwas gesagt. Feldenkrais praktiziere ich schon seit über 15 Jahren. Als ich 25 war, hatte ich das erste Mal Kontakt mit der Methode. Und seitdem ist sie mir sehr ans Herz gewachsen. TRE lernte ich viel später kennen. Eine tolle Methode von Berceli. Lassen sich diese beiden Methoden kombinieren oder ergänzen sie sich? Wie könnte so etwas aussehen? Das interessiert mich sehr. Hier mal meine Gedanken dazu.
Der Körper ist schlauer als der Kopf
Was wäre, wenn dein Körper mehr weiß als dein Kopf? Hmm, nicht “was wäre”, ich gehe mal stark davon aus, dass es so ist. In anderen Worten, der Körper ist sehr schnell und hat gewisse Signalwege, über die er mit uns spricht. Uns? Das denkende Ich, welches eine Identität erzeugt, also mir sagt, dass ich Christian bin, und das Christian dies und das ist, bzw. dies und das mag. Aha. Dies und das? Na ja, Vorlieben, Bedürfnisse, Werte. All diese Dinge hängen mit der erlebten Vergangenheit zusammen und sind verkörpert. Es ist sozusagen eine Leibeserfahrung. Die gedankliche konzeptionelle Umsetzung folgt erst am Ende. Der Körper, die Erfahrung, war vorher schon da. Binden wir meinen Ansatz, vom Leiden über das Lieben zum Leben, mit ein. Also, wenn er, der Körper, nicht nur Leid speichert, sondern auch Heilung kennt, wie könnte dies dann aussehen? Denn ich gehe mal davon aus, Schmerzen möchte kein Mensch ertragen. Auch wenn sie zum Leben dazugehören, wie Tag und Nacht sich bedingen. Diese Schmerzen besser regulieren zu können, scheint mir ein sehr nobles Ziel zu sein. Ein wichtiges und erstrebenswertes Ziel.
Zwei Methoden, die genau dort ansetzen, tief im Körper, sind TRE (Tension & Trauma Releasing Exercises) und Feldenkrais. Auf den ersten Blick könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Und doch erzählen sie von derselben Sehnsucht: den Körper wieder als sicheren Ort zu erleben.
Der Körper zittert - nicht vor Angst, sondern zur Heilung
TRE ist ein körperorientierter Ansatz zur Lösung von chronischem Stress und Trauma. Entwickelt von David Berceli, basiert die Methode auf einem archaischen Reflexmechanismus, der vielen von uns nur zu vertraut ist: dem Zittern. In bedrohlichen Situationen spannt sich der Körper an, vor allem in der Körpermitte, in Muskeln wie dem Psoas, unserem Flucht-Kampf-Muskel. Nach dem Überlebensimpuls bräuchte es ein Zittern, das diese Spannung wieder entlädt. Tiere tun das. Menschen unterdrücken es oft aus Scham, Kontrolle oder kultureller Konditionierung. TRE bringt uns zurück zu diesem biologischen Reset. Durch gezielte Übungen wird das neurogene Zittern wieder zugelassen. Unwillkürlich, selbstreguliert, entlastend. Ohne Inhalt, ohne Geschichte. Nur Körper.
Feldenkrais - wenn Bewegung zur Sprache wird
Während TRE auf unwillkürliche Reflexe setzt, geht Feldenkrais genau den anderen Weg: Bewusstheit durch Bewegung. Hier steht das spielerische Erforschen von Bewegungen im Zentrum. Klein, langsam, absichtslos. In Feldenkrais-Lektionen lernt der Körper neu, wie er sich effizienter, freier, leichter organisieren kann. Dabei werden alte Muster nicht bekämpft, sondern durch Erfahrung ersetzt. Keine Technik, sondern ein Lernen. Kein Ziel, sondern ein Prozess. Feldenkrais fragt nicht: Was funktioniert?, sondern: Wie fühlt es sich an? Es geht um das Erspüren von Qualität und darum, wieder Gestalter in der eigenen Bewegung zu werden.
Was sie verbindet
Beide Methoden setzen auf die Weisheit des Körpers. Nicht als Idee, sondern als Praxis. Sie laden ein zur Selbstbeobachtung ohne Urteil. Sie stärken die interne Navigation, nicht die äußere Korrektur. Beide Methoden fördern die feine Wahrnehmung innerer körperlicher Zustände. In TRE durch das achtsame Beobachten des Zitterns, in Feldenkrais durch das differenzierte Spüren von Bewegung, Tonus und Atem.
Sie machen Selbstregulation erlebbar und zwar körperlich, konkret und unmittelbar im Hier und Jetzt. Wo TRE das "Geschehenlassen" betont, kultiviert Feldenkrais das "Erforschen". Beides sind Formen von Kontrolle, eine durch Loslassen, die andere durch Bewusstheit. Beide Ansätze betonen das Prinzip Autonomie und Selbstermächtigung durch Selbstregulation ohne äußeren Zwang. In TRE durch die Möglichkeit, das Zittern selbst auszulösen, zu modulieren und zu beenden. In Feldenkrais durch die Einladung, Bewegungen spielerisch zu erforschen, ohne Korrektur oder Zielvorgabe von außen.
Was sie unterscheidet – und warum das ein Geschenk ist
TRE | Feldenkrais |
arbeitet mit dem Zittern als archaischem Reflex, "Lass es geschehen." = kontrollierter Kontrollverlust | arbeitet mit Bewegung als bewussten Lernweg, "Mach es spielerisch." = kontrollierte Exploration |
zielt auf Entladung und Regulation, Fokus auf Psoas (zentral für Schutz-/Fluchtreflexe) | zielt auf Differenzierung und Integration des ganzen Körpers |
spricht das autonome Nervensystem an (z. B. HPA-Achse, Vagusnerv) | spricht das somatosensorische System an (Kortex, Körperkarte) |
nicht-kognitiv, spontan, instinktiv | achtsam, langsam, erforschend |
Diese Unterschiede sind kein Widerspruch – sie sind komplementär. Sie bedienen verschiedene Ebenen unseres Nervensystems – und können sich deshalb kraftvoll ergänzen. Die Ergänzung reduziert Unsicherheit bezüglich der Komplexität des Lebens, des Seins. Komplemtarität als Geschenk, um Brücken zu bauen, hin zum Selbst. Verschiedene Brillen ermöglichen neue Handlungsspielräume. Also sei mutig, wechsle mal die Brille und staune.
Warum die Kombination so kraftvoll ist
Wenn ich eine TRE-Sitzung praktiziere fühle ich mich leer. Was meine ich damit? Es ist weniger “noise”. Mit Noise meine ich das konstante Geplauder im Kopf, die Spannungen im Körper, die unruhigen Zustände. Starke Emotionen werden gedämpft. Also leer bedeutet für mich weniger “noise”. Und genau hier setzt Feldenkrais an. TRE schafft quasi einen Raum mit weniger “noise”. Feldenkrais greift diese neue Leere auf, um sie mit Präsenz zu füllen, in dem ich Bewegungen, wie ein Kleinkind, untersuche, an einem neuen Körperbild, neuen Bewegungsmöglichkeiten, neuen Wahlmöglichkeiten, arbeite.
Es geht aber auch umgekehrt. Du beginnst mit Feldenkrais, lernst deinen Körper wieder differenzierter zu spüren und wirst dadurch bereit, dich auf die rohe Energie des Zitterns einzulassen, wenn dein System dazu bereit ist.
Na ja, die beiden Methoden zusammen schaffen sozusagen einen Zyklus aus Entladung, Regulation und Integration. TRE löst, entlädt, bringt in Bewegung. Feldenkrais: sortiert, organisiert, bringt ins Erleben.
Für Menschen mit Traumahintergrund
Emotionale Sicherheit und Körpervertrauen sind gerade bei traumatisierten Menschen so unglaublich wichtig. Für Menschen mit Traumahintergrund kann das Zittern anfangs beängstigend sein. Hier kann Feldenkrais durch das sanfte, strukturierende Bewegungslernen helfen, Vertrauen zum eigenen Körper aufzubauen, bevor oder parallel zu TRE. Somit ist diese Kombination von beiden Ansätzen ressourcenorientiert und hilft bei der Traumaintegration. Feldenkrais betont nicht das Trauma, sondern die Fähigkeit zur Veränderung durch bewusste Bewegung. Das kann für Menschen mit wenig Ich-Stabilität der sicherere Einstieg sein. TRE hingegen kann gerade bei chronischer Übererregung einen schnellen Zugang zur Regulation bieten und dies auch ohne kognitive Verarbeitung.
Fazit - Zwei Sprachen, ein Körper
Es braucht manchmal das Zittern, um das Schweigen im Körper zu brechen. Es braucht manchmal die Stille, um dem Zittern zu lauschen.
Wo TRE den Druck aus dem System nimmt, sorgt Feldenkrais dafür, dass sich neue Bahnen im System bilden können. Gemeinsam schaffen sie einen Kreislauf aus Entladung, Regulation und Integration, mit einem sanften, tiefgreifenden Zugang zum ganzen Menschen.
TRE und Feldenkrais sind keine Gegensätze. Sie sind zwei Formen der Rückkehr, zu einem Körper, der nicht nur Stress speichert, sondern auch Heilung weiß. Wenn wir beides verbinden, entsteht ein Raum jenseits von Technik und Methode. Ein Raum, in dem wir wieder Zuhause sein dürfen. In uns selbst.
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