„Wer seine Haltung zum Leben und seinen Werten ändert, verändert sich auch in seiner Bewegung – und umgekehrt.“ Moshé Feldenkrais

Gerade oder doch aufrecht

Wer hörte es noch nicht, “sitz gerade”, “stehe aufrecht”, “lümmel nicht so rum”. Was bedeutet eigentlich aufrecht und gerade? Aufrecht bedeutet gerade, also wäre eine gerade Haltung eine aufrechte Haltung. Doch diese aufrechte gerade Haltung erweckt den Eindruck das sie statisch wäre. Doch Haltung ist nie statisch, sondern immer dynamisch. Überdies kann auch der Begriff “gerade” schon irreführend sein, denn was tut ein Invalider mit krummen Rücken, welcher trotzdem noch in der Lage ist kraftvolle Bewegungen graziös auszuführen? Solange wir am Leben sind, sind wir in Bewegung. Diese Dynamik im Leben nimmt mit dem Tode ein Ende und wird zu einer Statik, wir werden zur Statik. Wir unterliegen also einer Dynamik. Unser Körper stellt sich ständig auf die neuen Herausforderungen des Lebens ein und jeder Mensch tut dies auf seine individuelle Art und Weise. Nicht alle Menschen bewegen sich auf die gleiche Art und Weise fort, wie sich alle Katzen auf die gleiche Art und Weise fortbewegen. Jeder Mensch bewegt sich auf seine individuelle Art und Weise und so ist dies auch mit dem Stehen, oder mit der Haltung. Jeder Mensch hat seine eigene Haltung.

Haltung und individuelle Anpassung

Es lässt sich sagen, dass der Mensch aus eigener Erfahrung lernt, das Tier jedoch lernt aus der Erfahrung der Gattung. Die Art und Weise wie ein Mensch lernt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Hier spielt die Kultur, in der ein Mensch aufwächst eine große Rolle. Haltung hat also viel mit Anpassung an die äußeren Umstände zu tun, und sie unterliegt auch einem Prozess, dem Prozess des Lebens. So wie wir uns ändern, ändert sich auch unsere Haltung. Wenn wir ein Tier direkt nach der Geburt, z.B. eine Antilope im Bezug auf die Haltung, mit einem Menschen vergleichen, so ist die Antilope in kürzester Zeit bereit, sich fortzubewegen im Gegensatz zum Menschen, welcher eine etwas längere Zeit braucht, um zu lernen stabil und aufrecht zu gehen. Der Mensch durchläuft erst mal alle möglichen Stadien, des Streckens und Beugens, des Kriechens und Krabbelns, bis er irgendwann einmal zum Stehen kommt. Und dann dauert es immer noch ziemlich lange bis aus dem Stehen ein sicheres Stehen und ein sicheres Laufen wird. Ein Vorteil dieser aufrechten Haltung, oder des Stehens, ist natürlich die Möglichkeit mit dem Kopf Ausschau zu halten, sich also um die eigene Achse zu drehen. Dies hat der Mensch früher tun müssen, um zu überleben. Er musste fähig sein, den Kopf unabhängig vom Rest zu bewegen. Es ist nicht selten, das wir heute beim Laufen auf den Boden schauen und sollten wir mal in die Luft schauen, um uns die schönen Häuser oder die Bäume oder Vögel anzuschauen, könnte es sein, das wir stolpern. Es dreht sich heute nicht mehr ums nackte Überleben, so scheint es uns teilweise abhanden gekommen zu sein, den Kopf unabhängig von den Beinen bewegen zu können.

Haltung als dynamisches Gleichgewicht

Halten wir fest: Haltung ist dynamisch. Eine optimale Haltung befindet sich zum einen immer in einem dynamischen Gleichgewicht. So schreibt Moshé Feldenkrais im Buch “Die Entdeckung des Selbstverständlichen” folgende Sätze:

“Beim dynamischen Gleichgewicht geht es nicht um Stehen oder Fallen, sondern um die Frage: Wie groß darf der Schock sein, den das System erleiden kann, ohne daß es ihm unmöglich wird, seine Entwicklung wieder aufzunehmen? ... Eine Haltung ist dann gut, wenn sie nach einer großen Störung ihr Gleichgewicht wiedererlangen kann.” (Feldenkrais, 1987)

Ein schönes Beispiel, wie gerade schon erwähnt, wäre das Stolpern, welches das Bewegungssystem eines Menschen entweder so dermaßen schocken kann, das er fällt. Es könnte dem System auch einen Schock verpassen, der leicht abzufangen ist, und der Mensch nach einer Sekunde problemlos in seiner Aktivität weitermachen kann. Beim Zweiten sprechen wir von einem gut organisierten und koordinierten Bewegungssystem. Dies hat mit automatischen und willkürlichen Kontrollen tun. Dazu in einem anderen Artikel mehr.

Fazit

Das Leben ist dynamisch, so auch unsere Haltung. Diese dynamische Haltung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, also individuell. Sich zwanghaft aufrecht oder gerade zu halten, kann über kurz oder lang Spannungen, bis hin zu Schmerzen bewirken. Das muss nicht sein. Seine Haltung gegenüber dem Leben zu ändern, scheint mir eine große Herausforderung zu sein und gleichzeitig die Chance, sich selbst etwas sehr gutes zu tun. Es obliegt Dir, was du tust oder nicht tust. Beides ist in Ordnung.

Literatur:

  • Feldenkrais, Moshe (1987). Die Entdeckung des Selbstverständlichen. Berlin: Suhrkamp