Zu Beginn dieses Feldenkrais Artikels über Atmung und Bewegung möchte ich kurz die vier Feldenkrais-Prinzipien erwähnen. Wenn alle vier Prinzipien zeitgleich anwesend sind, so macht dies laut Moshé Feldenkrais eine gute Handlung aus. Hier noch einmal die vier Prinzipien:

  1. Abwesenheit von Anstrengung
  2. Abwesenheit von Widerstand
  3. Anwesenheit von Reversibilität
  4. Anwesenheit einer ununterbrochenen Atmung

Bevor du weiterliest, achte bitte mal ganz kurz für 30 Sekunden auf die Art und Weise deiner Atmung. Wie atmest du? Tief, flach, in den Brustkorb, in den Bauchraum? Zieht es irgendwo im Körper, entweder beim Einatmen oder auch beim Ausatmen? Viel Spaß beim Weiterlesen!

Atmung als Zeichen für (in)effiziente Handlung

Sobald wir den Atem anhalten, entweder bei einer Bewegung oder der Haltung selbst, kann dies ein Zeichen für eine nicht effiziente Handlung sein. 

Hier würde ich auf jeden Fall noch eines unterscheiden. Wenn du z.B. ein sehr schweres Gewicht hebst, dem Bus hinterher rennst oder schwere Einkaufstaschen in den zehnten Stock trägst, so wird sich notwendigerweise deine Atmung der Tätigkeit anpassen. Das ist auch ganz in Ordnung. Stell Dir mal die folgende Frage. Wie atmest du, wenn du alltägliche leichte Tätigkeiten ausführst? Übernimmst du auch bei leichten Tätigkeiten die Atmung, die du beim Heben eines schweren Gewichts anwendest? In anderen Worten, hältst du ab und zu die Atmung an, ohne es zu bemerken, z.B. beim Lesen eines Buches oder beim Denken über ein vor kurzen geführtes Gespräch? Wie oft passiert Dir das und wann bemerkst du es? Vielleicht liegt es auch daran, das die Passage des Buches sehr schwer zu verstehen war und dass das vor kurzen geführte Gespräch ein ungutes Gefühl hinterlassen hat. Alleine das Nachdenken über emotional behaftete Themen kann den Atemrhythmus ändern. Meistens bemerken wir dies immer in Nachhinein. Dann, im Nachhinein, mit diesem neuen Bewusstsein können wir nun aktiv an den Gedankenmustern und der Atmung arbeiten. Denn es besteht hier mehr Zusammenhang, mehr als man anfänglich denken mag. Denken, fühlen, handeln und atmen sind in jeder Sekunde miteinander verbunden und sei es nur durch die vorübergehende Abwesenheit einer der vier Tätigkeiten.

Atmung ohne Unterbrechung als gelingende Handlung

Wenn ich jetzt die Prinzipien einer guten Handlung nur auf die Atmung anwende, könnte ich den folgenden Satz schreiben.

Eine gelingende Handlung ist dadurch gekennzeichnet, jede beliebige Bewegung auszuführen, ohne den Atem willentlich oder unwillentlich dafür zu unterbrechen.

Wie oben schon erwähnt, merkst du tendenziell deine Art und Weise des Atmens immer im Nachhinein. In unserer Bewegung befinden sich sehr häufig Abweichungen. Sollten diese Abweichungen nicht allzu groß sein, so stellt dies keinen Störfaktor dar. Übersteigen diese jedoch eine gewisse Schwelle, so könnten diese parasitären Bewegungen, so drastische Einschnitte beim Ausführen einer Tätigkeit hinterlassen, das keines der vier Prinzipien mehr anwesend ist. In diesem Fall hilft es sehr die Geschwindigkeit zu reduzieren, die Handlung für einen Moment zu unterbrechen und sich nur auf die Atmung zu konzentrieren. Die Atmung kommt nie alleine. Ich möchte Dir hier ein kurzes Beispiel aus meiner persönlichen Praxis zu parasitären Bewegungen nennen.

Vor einiger Zeit arbeitete ich mit einem Herrn, welcher aktiv Bogenschießen betreibt. Er hält den Bogen mit dem linken Arm und zieht mit der rechten Hand. Von hinten aus betrachtet, bestand eine leichte Dysbalance in der Ausprägung der Muskulatur und der Haltung. Nun kommt jedoch der wichtigere Punkt. Überdies bestanden muskuläre Spannungen im Schültergürtelbereich und im Nacken. Diese Verspannungen konnte er spüren, obwohl sie auch nicht wirklich ersichtlich waren. Wir arbeiteten in einer kurzen 15-minütigen Session auf einem Hocker an der Aufrichtung, dem Kronenpunkt, den Kiefergelenken und der Atmung. Danach waren diese Verspannungen fast weg. Als er sich erneut in Position begab und an der Sehne zog, waren die Verspannungen minimal.

Was ich damit sagen möchte ist folgendes. Durch eine Regulierung der Atmung zusammen mit einer Bewusstheitsschulung bestimmter Bereiche (hier Kronenpunkt, Aufrichtung, Kiefergelenke) nehmen parasitäre Bewegungen, welche für den Betrachter fast nicht erkenntlich sind, ab.

Das Skelett im Schwerefeld

Die Atmung steht in fester Verbindung mit der Bewegung. Die Bewegung ist auch abhängig vom Skelett und dieses menschliche Skelett hat eine sehr interessante Bauweise, eine vertikale Bauweise, der Schwerkraft entgegengesetzt. 

Das Skelett macht es uns nicht gerade leicht, die Atmung perfekt zu organisieren, sofern wir nicht zuerst das Skelett mit seinem neuro-muskulären System dem Schwerefeld entsprechend zweckmäßig organisieren.

Wenn du regelmäßig deine Bewegungen hin zu einer besseren Organisation, bzw. hin zu Leichtigkeit organisierst, könnte es Dir auch leichter fallen deine Atmung zu ändern. Was auch immer du lernst, das Gelernte hat sehr viel mit Selbstregulation zu tun. Selbstregulation kann als Verständnis gegenüber den eigenen Bedürfnissen verstanden werden. 

Wenn es Zeit ist zu ruhen, so ruhe ich, wenn es Zeit ist aktiv zu sein, so bin ich aktiv. Durch die Ruhe entsteht die Kraft, denn die Kraft liegt in der Ruhe.

Vielleicht magst du nun folgenden Einwand haben. Ein Mensch könne nicht immer das tun wonach ihm der Kopf oder das Gefühl steht. Ich spiele jetzt mal den Advocatus diaboli. Das mag ja sein, dennoch hält mich diese Tatsache, wenn es denn eine ist, nicht davon ab, an meiner Selbstregulation, an meiner neuro-muskulären Selbstorganisation und meiner Atmung zu arbeiten.

Atmung ist Bewegung

Gerade wenn du nach einer Feldenkrais Lektion ruhst, hat dein Nervensystem Zeit die geprobten Bewegungen zu verarbeiten und zu integrieren. Diese Zeit, in der du Dir Ruhe gönnst, hilft Dir, dein Selbstbild näher kennenzulernen.

Atmen ist Bewegung, geprägt von emotionaler und körperlicher Anstrengung.

Plötzlich auftretende starke Reize halten den Atem an. Dies weißt du nun nicht nur intellektuell sondern auch in einer verkörperten Art und Weise. Abschließend möchte ich Dir noch folgende Sätze mit auf den Weg geben:

  1. Alle Bewegungen sind gut, wie auch alle Wege des Atmens gut sind, sofern sie deinen Bedürfnissen entsprechen.
  2. Immer in der gleichen Art und Weise zu atmen, ist nicht natürlich, sondern zwanghaft.
  3. Dein Brustkorb hat eine Vorder- und Rückseite, eine rechte und linke Seite und ein Dach oben sowie ein Fundament unten. Alle Seiten nehmen an der Atmung teil.
  4. Nur die Erfahrung lehrt dich, das es egal ist, ob die Brust gehoben ist oder nicht, die Atmung kann dennoch ununterbrochen geschmeidig weiterlaufen.

Zum Abschluss des Artikels stelle ich Dir die Eingangsfrage noch einmal. Wie atmest du jetzt? Haben diese Informationen eventuell etwas mit Dir getan? Ich wünsche Dir nun ein atemreiches Leben!