Bewegung ist nicht nur Bewegung. Es ist so viel mehr. Ich kann Bewegung in Einzelteile zerlegen, diese untersuchen und zwar isoliert und am Ende wieder zu etwas größerem zusammenbauen. Dieses Größere wäre demnach eine integrative Leistung, ergo Integration. Isolation und Integration geben sich quasi die Hand. Das passiert bei Feldenkrais immer wieder. Wir untersuchen eine bestimmte Bewegung im Detail. Im Detail der Leichtigkeit, der Weichheit, der guten Organisation. Eine Empfindung und ein Gefühl werden uns sagen, ob wir auf einen guten Weg sind. Jetzt könnte ich neben isolierten Untersuchen und zusammenbauenden Integrieren noch improvisieren, so wie es Theaterspieler beim Improvisationstheater tun. Jedoch sind wir nicht im Theater, nicht auf dieser Bühne, sondern auf der Bühne des Lebens. Eine spannende Bühne, finde ich. Verlassen wir nun mal die kleinere Bühne und schauen uns die größere Bühne an.
Selbstentwicklung im Leben
Ich könnte mit einer Frage starten: Was ist das Leben? Und ich könnte antworten, das Leben ist wie ein Spiel. Bei diesem Spiel bin ich ein Teil vom Ganzen. Ich bin Teil vom Ganzen, d.h. ich bin eingebettet in ein größeres Ganzes. Das kann eine Partnerschaft sein, die Familie, eine Dorfgemeinschaft, eine Interessensgemeinschaft, eine Gesellschaft, eine Weltgesellschaft und schließlich das Universum. Das Ego wäre dementsprechend eine Teilung. Man könnte auch Trennung vom Ganzen sagen. Ist das nun gut?
In der analytischen Psychologie nach Carl Gustav Jung (Schnocks, 2013) wird Ego und Selbst unterschieden. Wenn wir von Bewusstheit sprechen, also der Teil des Bewusstseins, der uns bewusst ist, der mit unseren Selbstkonzept, unserer Identität zu tun hat, dann sprechen wir von Ego. Ist das jetzt unwichtig? Keineswegs, denn es gibt in erster Linie Orientierung im Chaos und Orientierung ist überlebenswichtig. Jedoch ist es nicht alles, denn manchmal gibt es nun mal keine Orientierung. So kommen wir zum Selbst. Das Selbst ist größer als das Ego und umfasst es somit. Das Ego ist im Selbst eingebettet. Gibt es manchmal keine Orientierung, muss nicht gleich das ganze Leben auf dem Spiel stehen. (Spannende Redewendung…:-)…)
Auch Carl Rogers (1995), ein Vertreter der humanistischen Psychologie, bringt das Ego in Zusammenhang mit dem Selbstkonzept. Diesem Selbstkonzept unterliegen die Inhalte, die durch Wahrnehmung entstanden sind, d.h. meine Fähigkeiten, aber auch Fertigkeiten, sowie auch mein Potential. Darin steckt dann das ganz individuelle, der eigene Weg, das Potential eben. Das Ego kann also ein Helfer sein, mich zu finden. Wie? Am besten durch Akzeptanz, durch Spiel. Und jetzt wechseln wir wieder zur kleineren Bühne und versuchen diese mal mit der größeren Bühne des Lebens zu verbinden.
Ressourcenorientierte Improvisation
Ich sprach anfangs von Isolation und Integration, sowie von Improvisation. Diese Improvisation kann ressourcenorientiert sein. Eine Ressource ist es alleine schon deshalb, weil wir etwas neues ausprobieren, nicht alte Muster immer wiederholen, sondern neue erproben und uns eventuell sogar ausdenken. Das ist kreativ und Kreativität wird bei der Improvisation gebraucht. Wie könnte dies nun aussehen?
Ich könnte mit Perspektiven spielen, d.h. ich könnte auf den Fußboden runter gehen, auf alle Viere, die Perspektive meiner Katze oder meines Hundes einnehmen und sehen, was nun passiert. So bewege ich mich fort durch die Wohnung. Was für Gefühle entstehen dabei? Wie empfinde ich das Schwerefeld? Wie empfinde ich das Zusammenspiel der Extremitäten? Jetzt will ich zur Spüle und muss mich dafür strecken und zwar nach oben. Ich könnte die Perspektive ändern und mir vorstellen ein anderes Tier zu sein. Wie wäre es mit einem Affen, der nun zur Spüle schaut, um zu sehen, was dort so los ist. Das ist ein wirklich phänomenales Unterfangen. Nicht nur werden dadurch Muskeln und Bewegungsmuster trainiert. Weit mehr als das!
Es macht unglaublich viel Spaß, da es wie ein Spiel ist, ohne wirkliches Ziel, sondern nur den Impulsen im Moment folgend, trainiert es dabei ungemein unser Herz-Kreislauf-System. Aber das Spannende dabei ist die komplette Verschiebung der Aufmerksamkeit auf eine andere Seinsweise und somit auch eine komplett neue Perspektive. Ein interessantes Spiel. Friedrich Schiller (2000) sprach schon vor längerer Zeit von einem Spieltrieb. Er meint damit die Verbindung von intellektuellen und sinnlichen Kräften. Auf der einen Seite denken wir uns etwas aus, auf der anderen Seite gehen wir da rein und empfinden diesen Zustand, der komplett anders ist. Dazu gleich noch mehr...
Von Räumen und Tieren
Mit diesen Perspektivwechsel ist aber noch nicht Schluss. Therapeutisch betrachtet, hilft es schon viel, einfach mal den Raum zu wechseln. Therapeutisches Spazierengehen entschleunigt nicht nur, sondern schafft zusätzlich Freiräume im Denken. Es entschleunigt daher, da durch das gleichmäßige Gehen mit Fokus auf Langsamkeit und Achtsamkeit eine Verschiebung der Aufmerksamkeit der Fall ist, was wiederum der Kreativität Tor und Angel öffnet. Somit können auch neue Perspektiven entstehen. Neue Perspektiven durch Räume verlassen, oder neue Perspektiven durch die Imitation von Tieren. Mir gefällt die Imitation natürlich besser, aber hey, das ist subjektiv. Ich denke Dr. Jaak Panksepp (1998) würde mir beim Spielen zustimmen. Wir ein Tier sich durch Raum und Zeit zu bewegen, macht nicht nur Spaß, sondern kann auch Verbindung schaffen, sofern wir dies in einer Gruppe tun. Ich rede nicht von Kindern, sondern von Erwachsenen.
Wenn Dr. Panksepp von Spiel spricht, unterscheidet er primäre und sekundäre Prozesse. Spiele mit Regeln, oder Brettspiele, oder ähnliches, gehören zu den sekundären Prozessen, da man dafür zwei Fähigkeiten braucht: die Fähigkeit zu lernen und die Fähigkeit Inhalte im Gedächtnis zu repräsentieren. Bei den primären Prozessen handelt es sich um körperliches Spiel. Und diese primären Prozesse haben sehr viel mit Emotionen zu tun, denn sie kommen aus den subkortikalen, den älteren Anteilen unseres Gehirns. Dr. Panksepp spricht hier auch von primitiv. Damit meint er diese älteren Teile des Gehirns.
Die Einbettung in eine Gruppe
Zurück zum Spiel. Ich bin in einer Gruppe, denke mir ein Tier aus, gehe den Impulsen nach und bewege mich dementsprechend. Die anderen tun dies auch. Sofern die Schamschwelle fällt, und ja, genau diese hält uns davon nämlich ab, dann entsteht unglaublich viel Lachen. Lachen entspannt. Lachen verbindet. Lachen stiftet Sicherheit in sozialen Interaktionen. Ich bin der Puma, du der Gorilla, der nächste das Känguru. Diese Art von Spiel wäre physisch und somit ein primärer Prozess, der mit Emotionen zu tun hat.
Jetzt lernen Kinder durch Spiel ihre Emotionen näher kennen. Sie lernen, welches Spiel im sozialen Rahmen akzeptabel ist und welches nicht. Hier wächst Emotions-Wissen heran, welches später im Leben immens wichtig ist, und zwar bei sozialen Interaktionen. Wie ist das jetzt bei Erwachsenen? Erwachsene können durch diese Art von Spiel lernen, loszulassen, einfach mal präsent zu sein, als ein Tier ihrer Wahl. Dieses Loslassen reduziert Spannungen emotionaler Art und stärkt Emotion zugleich, nämlich die guten, wie z.B. Freude. Kommen wir noch einmal zum Spieltrieb von Friedrich Schiller.
Spieltrieb
Dieser Spieltrieb ist dem Menschen innewohnend, er ist essentiell. Das Vorhandensein dieses Spieltriebs schafft nach Schiller (2000) eine Harmonie zwischen zwei Grundtrieben des Menschen, die Schiller den Stofftrieb und den Formtrieb nennt. Kurz erklärt bedeutet der Stofftrieb die sinnliche Wahrnehmung der Welt, also alles materielle, was ich sehen, hören, riechen, schmecken, empfinden, tasten kann. Der Formtrieb hingegen steht für Ordnung und Struktur. Dies entsteht durch Nachdenken, durch Immaterielles. Dieses Denken, also der Formtrieb nach Schiller hat Ähnlichkeit mit dem Konzept des Egos, von dem ich vorher sprach. Das Selbst wäre demnach dem Stofftrieb zuzuordnen. Wie du jetzt bestimmt schon erahnen kannst, ist beides wichtig. Selbst und Ego ist wichtig. Stofftrieb und Formtrieb sind wichtig. Die Frage die sich wirklich stellt, ist die nach der Harmonie.
Fazit
Ziemlich am Anfang vom Text schrieb ich: Was ist das Leben? Und ich könnte antworten, das Leben ist wie ein Spiel. Bei diesem Spiel bin ich ein Teil vom Ganzen. Nach Schiller ist der Spieltrieb der Schlüssel zur Menschlichkeit. Denn nur im Spiel sind wir wirklich frei, es gibt kein Ziel, kein Müssen. Im Spiel geben sich der Formtrieb und der Stofftrieb die Hand. Im Spieltrieb, ja genau in diesem kann der Mensch sich selbst näher kommen. Alle Schablonen fallen. Und genau das ist es, was es braucht, um dem eigenen Potential näher zu kommen. Und schließlich führt auch genau dieser Spieltrieb zu einer anderen Kultur. Eine Kultur der Menschlichkeit, eine Kultur des Friedens. Ein Hoch auf die improvisierende Bewegung! Ein Hoch auf das Spiel!
“Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.” Friedrich Schiller
Literatur:
- Panksepp, J. (1998). Affective neuroscience: The foundations of human and animal emotions. New York: Oxford University Press
- Rogers, Carl (1995). A way of being. Boston: Mariner Books
- Schiller, Friedrich (2000). Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Stuttgart: Reclam Verlag
- Schnocks, Dieter (2013). Mit C.G. Jung sich selbst verstehen. Stuttgart: Kohlhammer
Bilder:
- Foto von Gilley Aguilar auf Unsplash