Kennst du den folgenden Satz von Feldenkrais?
Imagination ist wichtiger ist als Willenskraft (Feldenkrais, 2013).
Sich das Gute und das Hilfreiche vorzustellen ist zielführender als ein Streben danach. In der fernöstlichen Philosophie heißt es nicht umsonst, dass der, der nicht strebt, erreicht. Dies ist ein Satz mit sehr viel Tiefe. Wäre “nicht streben” gleichzusetzen mit Selbstregulation aus der Feldenkrais Arbeit?
Kraft reduzieren
Bedeutet “nicht streben” etwa keine Ziele zu haben, in den Tag hinein zu leben, alles mit Leichtigkeit zu tun? Für Feldenkrais war Willenskraft nicht unbedingt etwas schlechtes, sondern eher ein Zeichen dafür, dass eine Person die notwendigen Fähigkeiten für die Ausführung einer Handlung noch nicht ins Detail herausgearbeitet hat. Deswegen versuchte die Person die Tätigkeit mit noch mehr Anstrengung und Willenskraft zu erreichen. Willenskraft wäre somit ein Indikator dafür, dass eine Handlung noch einiges an Optimierung bräuchte, um dann ohne Willenskraft ausgeführt werden könnte. In anderen Worten sprechen wir hier von der gut-koordinierten Aktion, wie sie z.B. bei Profisportlern oder Tänzern zu sehen ist. Jeder, der versucht diese Bewegungen nachzumachen, wird eventuell feststellen, dass einiges an Willenskraft dazu benötigt wird. Auch diese Profis haben dafür eine sehr lange Zeit trainiert, Talent hin oder her. Sie brauchten dafür Motivation, Disziplin, Persistenz und ein festes Ziel vor Augen. In der Feldenkrais Arbeit versuchen wir Kraft zu reduzieren, um an den Feinheiten von Bewegungen zu arbeiten. Der Weg stellt hierbei das Ziel dar, also nicht ein “in den Tag hinein zu leben”, sondern ein “sich voll einer Sache hingeben”.
Wasser kennt den Weg
Der achte Vers aus dem Buch “Tao te King”, übersetzt von Richard Wilhelm, beschreibt in einer Analogie, wie gute Taten erreichbar sind, anhand der höchsten Güte des Wassers.
"Höchste Güte ist wie das Wasser.
Des Wassers Güte ist es, allen Wesen zu nützen ohne Streit.
Es weilt an Orten, die alle Menschen verachten.
Drum steht es nahe dem SINN.
Beim Wohnen zeigt sich die Güte an dem Platze.
Beim Denken zeigt sich die Güte in der Tiefe.
Beim Schenken zeigt sich die Güte in der Liebe.
Beim Reden zeigt sich die Güte in der Wahrheit.
Beim Walten zeigt sich die Güte in der Ordnung.
Beim Wirken zeigt sich die Güte im Können.
Beim Bewegen zeigt sich die Güte in der rechten Zeit.
Wer sich nicht selbst behauptet, bleibt eben dadurch frei von Tadel." (Laotse, 1978)
Der Weg der guten Taten
Gute Taten entstehen durch Vergleich, zu wissen von deren Zuträglichkeit und Abträglichkeit. Ein Verständnis von den Konsequenzen der Taten ist von ausschlaggebender Wichtigkeit. Laotse nimmt Wasser als Symbol, welches im Überfluss vorhanden ist und allen Menschen nutzt. Es kann nicht falsch liegen, denn Wasser gibt immer nach. Es fließt immer stromabwärts zu den tiefsten Plätzen und das mit minimalen Aufwand, ohne einen Schaden zu hinterlassen, solange man es nicht in einen unnatürlichen Lauf zwingt. Alles Leben entstand aus dem Wasser, somit kann Wasser als Lehrer des Laufes der Dinge gesehen werden. Es gibt immer einen Weg für die gute Tat. Wenn dieser nicht ersichtlich ist, sind wir schon zu lange auf dem falschen Weg unterwegs. Obwohl Laotse von der guten Tat gegenüber anderen spricht, füge ich die gute Tat gegenüber einem selbst mit hinzu.
Der Weg ist das Ziel
Wenn der Weg das Ziel ist und es darum geht, voll in einer Sache aufzugehen, ist es hilfreich von Zeit zu Zeit dem Wasser zu folgen, in anderen Worten, der Selbstregulation. Selbstkontrolle bzw. ein zu viel an Willenskraft deutet darauf hin, dass der Weg nicht mehr stimmen kann, denn Wasser gibt nach, so auch die Selbstregulation. Auf der Suche nach der besten individuellen Lösung. Was gut für die eine Person ist, muss nicht notwendigerweise gut für jemanden anderes sein. Um den Bogen zurück zum Anfang zu spannen. Imagination ist also wichtiger als Willenskraft. Kann ich mir also vorstellen, wie die Bewegung aussieht, also in allen Details, welche dazugehören? Ist diese Vorstellung wirklich vollständig, oder unterliegt sie einigen Fehlern? Ein Fehler könnte eine Lücke, ein blinder Fleck, ein Zuviel von etwas sein. Sofern die Vorstellung und die Ausführung der Bewegung übereinstimmen, sprechen wir von der Etablierung von Leichtigkeit. Die Leichtigkeit, wie sie Wasser sucht und auch geht, sofern man es nicht in seinem Laufe stört.
In anderen Worten, “be like water my friend”. Das kommt übrigens von Bruce Lee.
Literatur:
- Feldenkrais, Moshé (2013). Thinking and Doing. Longmont: Genesis II Publishing Inc.
- Laotse (1978). Tao te king. Das Buch vom Sinn und Leben. Düsseldorf: Eugen Diederichs Verlag