Irgendwann um die Mitte meiner 20er wurde ich Mitglied bei Couchsurfing und traf viele interessante Menschen – darunter eine Gruppe namens „Throw your TV out of the window“. Inspiriert davon verschenkte ich meinen Fernseher und habe es bis heute nicht bereut. Doch der PC hat längst den TV ersetzt, und auch er kann dazu führen, dass wir uns mit Negativität vollladen. Was also tun? Ein Handy-freier Waldspaziergang hilft. Doch warum sind wir so empfänglich für Negativität? Ist es einfach eine schlechte Angewohnheit – oder steckt mehr dahinter? Schauen wir uns das mal ein wenig näher an.
Der Negativity Bias beginnt früh: Babys und Emotionen
Die Psychologen Vaish, Grossmann und Woodward (2008) zeigen, dass bereits Säuglinge eine Negativitätsverzerrung („Negativity Bias“) aufweisen. Sie reagieren stärker auf negative Reize als auf positive – sei es Angst, Ekel oder Wut. In Experimenten mit der berühmten „visuellen Klippe“ (Sorce et al., 1985) beispielsweise bewegten sich Babys nicht über eine scheinbare Kante, wenn ihre Mutter ängstlich dreinschaute. Bei einem neutralen oder fröhlichen Gesicht taten es viele hingegen doch.
Diese frühe Sensibilität für negative Reize geht über reine Beobachtung hinaus. Bereits im ersten Lebensjahr beginnen Babys, negative Emotionen stärker zu gewichten. Studien zeigen, dass sie eher auf weinende als auf lachende Gesichter reagieren. Auch in der Sprachentwicklung ist das erkennbar: Kinder benutzen früher und häufiger negative Emotionswörter als positive. Zudem erinnern sie sich detaillierter an unangenehme Ereignisse als an freudige. Die Forscher vermuten, dass dies eine evolutionäre Anpassung ist – Bedrohungen erfordern sofortige Reaktion, während positive Erfahrungen oft keine direkte Überlebensrelevanz haben.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist das soziale Referenzieren. Babys nutzen die Reaktionen ihrer Bezugspersonen, um sich in neuen Situationen zu orientieren. Negative Signale von Eltern, wie ein besorgter Gesichtsausdruck oder ein warnender Tonfall, haben einen viel stärkeren Einfluss auf das Verhalten des Kindes als positive Signale. Das bedeutet, dass sich unsere Neigung zur Negativitätsverzerrung schon in den ersten Lebensmonaten herausbildet und einen entscheidenden Einfluss auf unsere spätere Wahrnehmung der Welt hat.
Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser – weltweit
Der Negativity Bias bleibt uns nicht nur erhalten, sondern beeinflusst auch unsere Medienlandschaft massiv. Stuart Soroka, Patrick Fournier und Lilach Nir (2019) führten eine internationale Studie mit 1.156 Teilnehmern aus 17 Ländern durch, um zu überprüfen, ob Menschen weltweit stärker auf negative Nachrichten reagieren als auf positive. Die Teilnehmer sahen Nachrichtenclips von BBC World News mit entweder negativer, neutraler oder positiver Tonalität, während ihre physiologischen Reaktionen gemessen wurden.
Die Ergebnisse waren eindeutig: Negative Nachrichten riefen eine höhere Hautleitfähigkeit hervor, ein Zeichen für gesteigerte emotionale Erregung. Gleichzeitig zeigten sich Veränderungen in der Herzfrequenzvariabilität, was darauf hinweist, dass negative Inhalte mehr Aufmerksamkeit erzeugen. Bemerkenswert war, dass diese Muster in fast allen untersuchten Ländern auftraten. Obwohl es einige kulturelle Unterschiede gab – etwa eine etwas schwächere Reaktion in Schweden und Neuseeland –, blieb der allgemeine Trend bestehen: Negativität fesselt unsere Aufmerksamkeit.
Die Autoren argumentieren, dass diese Ergebnisse eine mögliche Erklärung für den hohen Anteil negativer Berichterstattung in den Medien liefern. Medienhäuser orientieren sich an der Nachfrage, und wenn Menschen weltweit stärker auf negative Nachrichten reagieren, dann liegt es nahe, dass Nachrichtenanbieter genau das verstärkt liefern. Dies könnte ein sich selbst verstärkender Kreislauf sein: Medien präsentieren mehr Negativität, weil sie wissen, dass sie damit Aufmerksamkeit generieren – und diese ständige Konfrontation mit negativen Nachrichten verstärkt wiederum unsere Wahrnehmung einer gefährlichen Welt.
Klicks, Klicks, Klicks – warum wir negative Schlagzeilen lieben
Doch wie sieht das konkret im digitalen Zeitalter aus? Robertson et al. (2023) untersuchten den Einfluss von Negativität auf Online-Nachrichtenkonsum in einer der bislang größten Studien zu diesem Thema. Sie analysierten über 105.000 verschiedene Überschriften, die insgesamt rund 5,7 Millionen Klicks und 370 Millionen Impressionen generierten. Das Besondere an dieser Studie: Die Forscher konnten durch randomisierte kontrollierte Experimente (RCTs) verschiedene Überschriften für denselben Artikel testen und so genau messen, wie negativ oder positiv formulierte Headlines das Klickverhalten beeinflussen.
Die Ergebnisse waren eindeutig: Jede zusätzliche negative Vokabel in einer Überschrift erhöhte die Klickrate um 2,3 %. Positive Begriffe hatten hingegen den gegenteiligen Effekt – sie senkten die Wahrscheinlichkeit eines Klicks. Besonders wirksam waren Überschriften mit trauriger Sprache. Begriffe, die Angst oder Wut vermittelten, hatten weniger konsistente Effekte, auch wenn frühere Studien nahelegten, dass wütende Inhalte besonders teilbar sind. Ein weiterer interessanter Befund war, dass dieser Effekt besonders bei politischen und wirtschaftlichen Nachrichten stark ausgeprägt war, während Unterhaltungsnachrichten weniger von Negativität profitierten.
Diese Studie zeigt, dass Negativität nicht nur die mediale Berichterstattung beeinflusst, sondern auch unser Online-Klickverhalten steuert. Nachrichtenportale haben also einen klaren Anreiz, negative Sprache gezielt zu nutzen, um mehr Engagement zu generieren. Dies könnte langfristig problematisch sein, da es zu einer verstärkten Wahrnehmung einer bedrohlichen Welt führen könnte – selbst wenn viele dieser Bedrohungen in Wahrheit gar nicht so dramatisch sind.
Fazit: Was tun gegen den Negativity Bias?
Wir sind neurologisch darauf programmiert, Negativem mehr Aufmerksamkeit zu schenken – von Geburt an. Diese Tendenz beeinflusst nicht nur unser individuelles Verhalten, sondern auch die Art und Weise, wie Medien Informationen präsentieren. Der hohe Anteil negativer Berichterstattung ist dabei nicht nur eine redaktionelle Entscheidung, sondern spiegelt auch unsere Vorlieben wider. Solange wir als Konsumenten stärker auf negative Schlagzeilen reagieren, werden Medien diese Strategie weiterhin nutzen.
Doch es gibt Wege, sich diesem Kreislauf zu entziehen. Bewusst positive Inhalte konsumieren, Nachrichtenquellen diversifizieren und sich nicht von reißerischen Schlagzeilen beeinflussen lassen sind erste Schritte. Und natürlich hilft auch der klassische Gegenpol zur digitalen Welt: einfach mal rausgehen, den Kopf frei bekommen – und sich bewusst für positive Erlebnisse entscheiden.
Literatur:
- Robertson, C. E., Pröllochs, N., Schwarzenegger, K., Pärnamets, P., Van Bavel, J. J., & Feuerriegel, S. (2023). Negativity drives online news consumption. Nature human behaviour, 7(5), 812–822. https://doi.org/10.1038/s41562-023-01538-4
- Sorce JF, Emde RN, Campos JJ, Klinnert MD (1985). Maternal emotional signaling: Its effects on the visual cliff behavior of 1-year-olds. Developmental Psychology. 21:195–200.
- Soroka, S., Fournier, P., & Nir, L. (2019). Cross-national evidence of a negativity bias in psychophysiological reactions to news. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 116(38), 18888–18892. https://doi.org/10.1073/pnas.1908369116
- Vaish, A., Grossmann, T., & Woodward, A. (2008). Not all emotions are created equal: the negativity bias in social-emotional development. Psychological bulletin, 134(3), 383–403. https://doi.org/10.1037/0033-2909.134.3.383
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