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Warum Nein sagen so schwer ist

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Es ist Donnerstag. Manchmal donnert es am Donnerstag. Doch da hilft dann nur Abgrenzung. Die fand heute bereits statt. Ein Ja zu mir ist nein Nein nach Außen. Ein NEIN. Wirklich? Dies ist ein Wort, welches ähnlich wie STOP so viel Unbehagen auslöst in uns. In mir manchmal auch. Das darfst du mir glauben. So oft spreche ich mit Patienten:innen darüber, über diesen verkappten Helferinstinkt in uns. Wir wollen freundlich sein, hilfsbereit, loyal und plötzlich merken wir, dass wir uns selbst verloren haben. Warum ist das so?

Wir lernen früh

Liebe gibt es für Zustimmung. Leider. Schon als Kinder verstehen wir schnell, dass Zustimmung Zuneigung bringt. Es heißt, man soll brav sein, man soll es so machen, wie man es gesagt bekommt. Wir lernen, dass Harmonie durch ein Ja entsteht und dass ein Nein Streit, Ärger oder Ablehnung bedeuten kann. Das Nein hat in vielen Familien keinen guten Ruf. Später dann das gleiche Spiel in vielen Partnerschaften. Es gilt als trotzig, ungehorsam, respektlos. Dabei ist es eigentlich ein Zeichen von Lebendigkeit, Autonomie und innerer Grenze. Doch wer früh lernt, dass ein Nein unerwünscht ist, passt sich an. Und diese Anpassung prägt sich tief ein.

Das brave Kind wird zum angepassten Erwachsenen

Später, in Schule, Ausbildung und Beruf, setzen wir das Gelernte fort. Nur haben die Eltern nun andere Gesichter. Es sind jetzt Vorgesetzte, Kundinnen, Kolleginnen. Und wir machen weiter. Wir sagen Ja, um gemocht zu werden. Wir sagen Ja, um Anerkennung zu bekommen. Wir sagen Ja, um Konflikte zu vermeiden. Und innerlich? Sagen wir Nein. Nein zu unserer Zeit, zu unserer Energie, zu unseren Werten. Dieses halbherzige Ja hört sich an wie ein “ja, klar, ich mach’s” hat einen Preis. Es kostet Kraft, Authentizität und Selbstrespekt. Und irgendwann, wenn wir uns leer fühlen, wundern wir uns, warum.

Das Ja aus Angst

Wenn da Angst vor dem Ja ist, dann ist meist die Angst vor dem Nein noch viel größer. Hinter zu vielen Ja´s steckt selten reine Freundlichkeit. Meist stehen Ängste dahinter. Diese Ängst sind sehr vielseitig oder vielschichtig. Wie ist es bei Dir??? Hast du Angst, jemanden zu enttäuschen? Hast du Angst, nicht mehr gemocht zu werden? Hast du Angst, als egoistisch zu gelten? Hast du Angst, den eigenen Wert zu verlieren. Den eigenen Wert verlieren, die eigenen Werte verlieren, sage ich. Wenn dir etwas an deinen Werten liegt, dann liegt dir etwas an deinem Wert. Mal ganz ehrlich, ein Ja, das aus Angst entsteht, ist kein echtes Ja. Es ist ein kleiner Verrat an uns selbst. Wenn wir zu oft gegen unser inneres Empfinden handeln, entsteht Unzufriedenheit. Wir fühlen uns fremdbestimmt und wundern uns, warum uns das Leben so anstrengt. Ein Teil in uns weiß längst, dass es Zeit ist, etwas zu verändern, aber der Mut fehlt.

Elias (1997) beschreibt, dass Menschen früher vor allem durch äußere Fremdzwänge reguliert wurden, durch klare Verbote, Normen und soziale Kontrolle. Mit der Modernisierung änderte sich das. Die Gesellschaft wurde komplexer, die Abhängigkeiten vielfältiger. Dadurch verlagerte sich der Zwang nach innen. Aus äußeren Vorschriften wurde ein innerer Selbstzwang, die ständige Kontrolle der eigenen Affekte, Impulse und Bedürfnisse. Was früher gesellschaftlicher Druck war, erscheint heute als Pflicht zur Selbstüberwachung und Selbstoptimierung.

Dieser innere Selbstzwang macht es besonders schwer, Nein zu sagen. Denn wir haben nicht nur gelernt, Konflikte zu vermeiden und anderen zu gefallen, wir überwachen uns selbst permanent, prüfen unsere Impulse und unterdrücken spontane Bedürfnisse. So entsteht ein ständiger Druck, es allen recht zu machen, während wir unsere eigenen Grenzen vernachlässigen. Das halbherzige Ja ist somit nicht nur Ausdruck sozialer Anpassung, sondern auch Folge der internalisierten Selbstkontrolle, die Elias beschreibt.

Nein sagen heißt, Verantwortung zu übernehmen

Ein Nein ist kein Angriff. In den Gruppen zur Gewaltfreien Kommunikation in der Klinik sagen wir sehr oft, dass ein Nein nach Außen, ein Ja nach Innen ist. Dieses Nein nach Außen betrifft nur einen Aspekt auf der Handlungsebene, und ist nie eine Abwertung des Gegenübers. Es ist ein Akt der Selbstfürsorge. Wenn du Nein sagst, sagt du eigentlich, dass du Verantwortung für dich übernimmst. Und nochmal, das bedeutet nicht, dass man egoistisch wird. Es bedeutet, dass man ehrlich wird. Ein authentisches Nein ist Ausdruck von Klarheit und von Mut. Denn jedes Nein fordert uns auf, die Konsequenzen zu tragen. Das könnte anfangs Irritation, Ablehnung oder Unverständnis sein. Doch langfristig stärkt es uns, weil es unserem inneren Kompass folgt.

Du bist nicht allein mit dem NEIN. Was hilft ist…

Nein sagen ist keine Technik, sondern eine Haltung. Genau so, wie Gewaltfreie Kommunikation nicht primär eine Methode ist, sondern eine Haltung, mit sich und der Welt Kontakt aufzunehmen. Und wie jede Haltung will sie geübt werden. Dafür brauchen wir drei Kräfte, die wie Muskeln trainiert werden können. 

Wir brauchen die Volition, also die Willenskraft, d.h. den aufrichtigen Wunsch, etwas zu verändern. Da einmal, keinmal ist, bedarf es der Wiederholung, also der Bereitschaft, dranzubleiben, auch wenn’s unbequem wird. Und letztlich tut es gut mit ein wenig Wut, die dann transformiert wird, in Mut. Mut als die Kraft, die eigenen Ängste auszuhalten, anstatt ihnen auszuweichen. Ich habe das so oft in Therapiegesprächen gehört, dass Menschen sagen, dass sie endlich mal Nein sagen müssen. Na ja, ich sehe da ein Problem. Müssen erzeugt Druck. Wirkliche Veränderung beginnt genau da, wo aus dem Müssen ein Wollen wird. Wenn wir wirklich wollen, Nein zu sagen, wird sich etwas tun, im Innen sowie im Außen.

Ein Nein entsteht von innen nach außen

Bevor du ein Nein nach außen aussprechen kannst, braucht es ein inneres Ja zu dir selbst. Ein Nein ohne innere Zustimmung bleibt brüchig. Doch wenn du weißt, wofür du stehst, was dir wichtig ist, was du brauchst, dann wird das Nein klar, ruhig und selbstverständlich. Abgrenzung beginnt also nicht mit Worten, sondern mit Bewusstsein. Und somit drehen wir den berühmten Satz von Karl Marx um, der da lautet: “Das Sein bestimmt das Bewusstsein”. Ich sage, “das Bewusstsein bestimmt das Sein”. Ich weiß, das ist wirklich harter Tobak, aber da gehen wir jetzt durch, oder??? Machen wir doch mal eine Übung.

Möchte ich wirklich Nein sagen?

Diese Übung hilft dir, zu erkennen, ob dein Wunsch, Nein zu sagen, aus deinem Inneren kommt, oder nur aus Erschöpfung. Nimm dir ein wenig Zeit. Atme erstmal ruhig und spüre, wie du gerade hier sitzt. Dann frage dich ehrlich. Möchte ich wirklich lernen, Nein zu sagen, oder denke ich nur, dass ich es muss?

Dann nehme dir etwas zum Schreiben und mache dir ein paar Notizen:

  • Warum will ich es?
  • Was erhoffe ich mir davon?
  • Was befürchte ich, wenn ich Nein sage?

Formuliere deinen Satz. Wichtig ist hierbei, dass der Satz nicht kalt ist, also nur aus dem Kopf kommt, sondern dass du unverzüglich im Körper eine Resonanz spürst, d.h. dass dieser Satz etwas mit dir macht. Glaub mir, als Körpertherapeut meine ich das genau so. Ohne Resonanz im Körper, bleibt es kaltes Kopfkino. Also, formuliere deinen Satz: “Ich will lernen, Nein zu sagen, weil …”. Dann sofort im Anschluss, überprüfe dein Gefühl. Fühlt sich dieser Satz lebendig an, oder eng? Wenn er eng sein sollte, was braucht es, damit er für dich stimmiger wird?

Das kann mal als erster Schritt verstanden werden, aus der Ohnmacht hinein in Selbstverantwortung. Du beginnst, dich wieder selbst zu hören.

Fazit: Dein Nein ist ein Ja zum Leben

Und dieses Ja alleine, wenn es denn ein wirkliches Ja zum Leben ist, beinhaltet Sinnhaftigkeit, ganz nach Viktor Frankl. Sinn entsteht für Frankl nicht durch das bloße Vorstellen, sondern durch die verantwortliche Umsetzung in der Realität. Frankl (1991) sagt, dass das was wir sind, werden wir durch unsere Entscheidungen. Das Nein ist also kein rein kaltes Wort. Es ist ein warmes Signal an dich selbst, dass dir sagt, dass du deine Grenzen haben darfst, dass du für dich sorgen darfst, dass du ehrlich sein darfst. Jedes klare Nein ist ein Ja zu dir selbst. Ein Ja zu deinem Leben.

Literatur:

  • Elias, Norbert (1997). Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Frankl, V. E. (1991). … trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

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