Am 14. März 2016 erschien ein Artikel names “Out of Touch? Visual Load Induces Inattentional Numbness”. Die Studie, an der 16 Teilnehmer mit einem durchschnittlichen Alter von 21 Jahren (18 – 36 Jahren) mit normalen Sehvermögen und keinen haptischen Einschränkungen teilnahmen, erforschte, wie sich deren taktile Fähigkeiten unter dem Einfluss von visuellen Reizen verändern. Dazu wurde ein Experiment konzipiert, in dem die Teilnehmer Buchstaben suchen mussten. Es gab zwei Schwierigkeitsgrade (hoch und niedrig). Zur gleichen Zeit sollten die Teilnehmer auf das Vibrieren oder Nicht-Vibrieren bei der linken bzw. der rechten Hand reagieren.

Ergebnisse der Studie

Die taktile Informationsverarbeitung wurde durch den Anstieg des Schwierigkeitsgrades der visuellen Aufgabe verschlechtert. Obwohl wir schon wissen, dass schwierigere visuelle Herausforderungen das Seh,- und Hörvermögen beeinträchtigen können, ist jetzt auch noch durch dieses Experiment hinzugekommen, das ein visueller “overload” zu haptischen Beeinträchtigungen führen kann. In der Studie wird speziell darauf hingewiesen, dass dies Auswirkungen haben kann im Bereich der Alarmsysteme von Autos. Manche Kraftfahrzeuge haben taktile Warnsysteme, die den Fahrer alarmieren sobald dieser von der Spur abkommt, bzw. einschläft. Es wird darauf hingewiesen, das Fahrer diese Reize weniger wahrnehmen, sobald sie mit einem visuellen “overload” beschäftigt sind.

Helen Keller und Berührung

Ich fand die Ergebnisse dieses Experiments interessant. Jetzt mag ein Mensch einwenden, aber das wissen wir doch bereits, oder, die Ergebnisse wären doch über reines Nachdenken auch produzierbar. Das mag sein. Experimente haben gewiss den Vorteil, Gedanken zu testen und das war hier der Fall. Dieses Experiment erinnerte mich außerdem an folgende Zeilen von Helen Keller.

„I have just touched my dog. He was rolling on the grass, with pleasure in every muscle and limb. I wanted to catch a picture of him in my fingers, and I touched him as lightly as I would cobwebs; but lo, his fat body revolved, stiffened and solidified into an upright position, and his tongue gave my hand a lick! He pressed close to me, as if he were fain to crowd himself into my hand. He loved it with his tail, with his paw, with his tongue. If he could speak, I believe he would say with me that paradise is attained by touch; for in touch is all love and intelligence.” (Keller, 2003, S. 9)

Dies waren die Worte von Helen Adams Keller (1880-1968), welche im Alter von 19 Monaten durch eine Hirnhautentzündung blind und taub wurde. In der Berührung steckt so viel. Zwei Nervensysteme sprechen über die Haptik und den emotionalen Ausdruck miteinander. Ich finde diese Zeilen wunderschön.

In Ihrem Buch zitiert sie außerdem den französischen Philosophen Diderot, welcher sagte, dass das Auge das oberflächlichste, das Ohr das arroganteste, der Geruch der sinnlichste, der Geschmack der unbeständigste, der Tastsinn jedoch der tiefgründigste und der Philosophie verwandteste ist.

Der kinästhetische Spiegel in der Feldenkrais Methode

Der Tastsinn ist laut Diderot also der tiefgründigste. Es ist schon interessant, mit der Feldenkrais Methode liegen wir zu einem großen Teil auf dem Boden. Der Boden wirkt als ein kinästhetischer Spiegel. Er lügt uns nicht an. Der Boden berührt uns und vielleicht empfinden wir uns auch vom Boden berührt. Er gibt uns detaillierte Informationen über unser derzeitiges Befinden unseres Körpers. Es liesse sich schon fast sagen, wir spüren unser Sein in der Welt auf dem Boden. Dies tun wir mit dem Selbstbild, einer Repräsentation in der Großhirnrinde, welche uns über unsere Wahrnehmungssinne genau sagt, welcher Bereich des Körpers wie am Boden liegt, bzw. nicht am Boden liegt.

Und nun?

Was meinst du, vielleicht ist, oder wäre es mal wieder sinnvoll, sich dem visuellen “overload” zu entziehen, die Augen zu schließen, sich auf dem Boden zu legen und einfach nur zu spüren. Wo liegt z.B. dein rechter Fuß, wo dein linker Fuß? Wie viel Spannung hast du in der rechten und linken Hüfte? Wie viel Kontakt hat dein unterer Rücken mit dem Boden? Ist dein Halswirbelsäule überstreckt oder hast du dort ein wohliges Gefühl?

Und wenn es nicht Feldenkrais sein soll, warum nicht mal weniger tun, ganz nach dem Motto “weniger ist mehr”. Ein kurzer Spaziergang im Walde, die Hand auf der Baumrinde, die Augen geschlossen, Nase und Ohren geöffnet und einfach nur sein.

Literatur:

  • Murphy S.; Dalton P. (2016). Out of touch? Visual load induces inattentional numbness. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 2016, Vol. 42, No. 6, 761–765
  • Keller, Helen (2003). The world I live in. New York: Review Books