“Ein gesunder Organismus ist jener, welcher fähig ist kleinste abträgliche Abweichungen wahrzunehmen und dementsprechend zu reagieren.”

Ist das nicht ein toller Satz. So ähnlich kommt dieser Satz aus dem Munde von Moshé Feldenkrais. Was steckt alles hinter diesem Satz? Für mich persönlich ist das Wort “fähig” am wichtigsten. Wenn ich fähig bin, kleinste Störungen wahrzunehmen kann ich darauf reagieren. Was jedoch wenn ich nichts merke? Das ist unter anderem erschwert bei Menschen mit chronischen Schmerzen. Jetzt wird es spannend. Verbinden wir das mal mit dem Beispiel Sitzen.

Ich kenne das Gefühl von früher noch ziemlich gut, nach dem längeren Sitzen aufzustehen und nicht fähig zu sein, mich gleich fortzubewegen. Dies war mir erst nach ein paar Sekunden möglich, nachdem sich meine Wirbelsäule wieder reorganisierte, indem ich einfach nur wartete. Diese Steifigkeit nach einem längeren Sitzen ist für mich nicht das gleiche wie die Morgensteifigkeit nach einer Nacht. Beim Sitzen kann ich in vielfältiger Weise intervenieren, indem ich die Position regelmäßig wechsle, oder eine kurze Auszeit nehme, aufstehe und leichte Rotations-, Streck-, und Beugebewegungen absolviere. Wenn ich genau so verfahre, entsteht erst gar keine Spannung. Manchmal merke ich kleinste Spannungen und ändere aktiv etwas an meiner Position.

Wenn du möchtest, probiere mal die folgenden Sitzpositionen für ca. 1 Minute aus. Was spürst du? Wie fühlst du dich dabei?

Manchmal stellte ich im Nachhinein fest, das ich zappelig werde, was für mich ein Zeichen ist, etwas zu ändern. Das Zappeln alleine kann schon eine lindernde Wirkung auf die Hüftgelenke haben.

Pädagogik gegen blinde Flecken

Was macht jetzt eine Person mit chronischen Schmerzen? Chronische Schmerzen können die propriozeptive Wahrnehmung beeinflussen, d.h. die Art und Weise wie sie ihren Körper wahrnehmen hat gewisse blinde Flecken. Diese blinden Flecken sorgen dafür, dass bei ihnen die Fähigkeit fehlt, kleinste Störungen wahrzunehmen. Das kann problematisch werden. Es verschlimmert einen Zustand, welcher sowieso schon nicht so zuträglich ist. Doch das muss nicht das Ende sein. Was lange Zeit da war, muss nicht bedeuten, für immer da zu bleiben. Feldenkrais verbindet Lernen mit Gesundheit, Spontanität und Effizienz. Bewegung und Bewusstheit dienen Dir dazu, mehr über dich herauszufinden. Wenn du eine Feldenkrais Klasse besuchst, befindest du dich mit anderen in einem Raum und studierst gewisse Bewegungsmuster. Bevor du mit diesem Studium beginnst, machst du eine Referenzbewegung, d.h. du beugst dich vorwärts, um etwas aufzuheben oder du drehst dich, um über die Schulter zu schauen. Nach mehreren Versuchen, hast du ein ungefähres Bild von der Ausführung dieser Bewegung. Du weißt nun, wie viel von Dir an dieser Bewegung teilnimmt.

Wenn Dir etwas runterfällt, wie hebst du es aus dem Rücken, eventuell mit runden Rücken oder hebst du es aus den Beinen? Probiere einfach mal beide Varianten aus. Jetzt schadet es nicht, wenn du dies nur einmal tust, also das Heben mit dem runden Rücken. Dein Körper verzeiht Dir. Hast du jedoch einen guten Überblick über all deine Abweichungen? Solch einen Überblick zu haben, braucht eine Menge Übung oder Praxis, d.h. du würdest 16 Stunden am Tag mit totaler Aufmerksamkeit verbringen. Da wird es eventuell schwer andere Dinge zu tun. Wie könntest du nun diese Übung bekommen? Verbinden wir mal das Studium der Bewegung mit einem weiteren interessanten Prinzip in der Feldenkrais Welt. Variationen.

Referenzbewegungen

Wie soeben schon geschrieben erfährst du bei der Referenzbewegung, wie viel von Dir bei dieser Bewegung teilnimmt. In der darauffolgenden Lektion durchlaufen Sie Variationen der Referenzbewegung, im Detail oder im Ganzen. Bei diesen Variationen kann es sich um zusammenwirkende Muster handeln oder um Beschränkungen.

Nehmen wir die Atmung im Schneidersitz als Beispiel. Beim Einatmen streckst du dich in der Wirbelsäule und beim Ausatmen wirst du rund. Jeder Mensch tut dies in seiner ganz eigenen Art und Weise. Nun ändere mal eine Kleinigkeit, z.B. die Beinposition, indem du die Beine anders verschränkst oder in den Seitsitz kommst. Wie ändert sich nun deine Atmung? Ist es auf der einen Seite angenehmer als auf der anderen? Woran genau machst du es fest, dass es auf der einen Seite angenehmer ist?

Zusammenwirkende Muster erleichtern die Bewegung, wohingegen Beschränkungen die Bewegung erschweren. Dieses Auseinandersetzen mit verschiedensten Bewegungen schafft einen Raum für Lernen. Bei den zusammenwirkenden Mustern lernst du zu spüren, welche Gelenke und Muskeln in welcher Art an einer Bewegung teilnehmen. Vielleicht fällt Dir auf, dass du gewisse Bereiche deines Körpers weniger benutzt und aus diesem Grund andere Bereiche vermehrt arbeiten müssen, was in Spannungen resultieren kann. Indem du gewisse Bewegungen immer wieder ausführst und variierst, wirst du Dir deiner Gewohnheiten bewusst.

Ich brachte vorher das Beispiel mit der Atmung im Sitzen. Spürst du, dass sich deine Wirbelsäule beim Einatmen streckt oder wölbt sich lediglich dein Bauch raus und alles andere bleibt statisch?

Neben den zusammenwirkenden Muster arbeiten wir bei Feldenkrais mit Beschränkungen. Beschränkungen gibt es zum einem strukturell, d.h. du kannst dein Kniegelenk aktiv maximal strecken bis zu einem Winkel von 0°. Das wäre die aktive natürliche Beschränkung. Das Knie mag sich mit der Hilfe eines Therapeuten noch um 5° mehr strecken lassen. Dann sprechen wir von passiver Streckung, bzw. Überstreckung. Beschränkungen gibt es auch in der Ausführung einer Bewegung in einer Feldenkrais Klasse. Hierbei führst du unter Einbehaltung einer gewissen Position eine Bewegung aus. Die jetzige Beschränkung macht es Dir schwerer die Bewegung auszuführen, d.h. du bist dazu veranlasst zu lernen, herauszufinden, wie du alle anderen Körperteile organisierst, um diese Bewegung doch ausführen zu können.

Noch ein Beispiel: Setze dich mal in den Schneidersitz und bringe beide Handinnenflächen nach vorne auf den Boden. In dieser Position, atme bitte ein und aus. Beim Einatmen strecke deine Wirbelsäule. Was passiert nun? Mache das ein paar mal. Dann nimm die Hände weg vom Boden und lege sie auf die Oberschenkel. Atme wieder bewusst ein und aus. Was ist nun anders? Gehe zurück zur vorherigen Position und probiere es erneut. Achte auf die Lendenwirbelsäule, die Hüftgelenke und die Knie. Welche Bewegungen finden dort statt?

Es kann sein, dass du dich nach einer Feldenkrais Lektion leichter fühlst. Der Grund hierfür liegt in der verbesserten neuromuskulären Organisation.

Gute Haltung und Gute Bewegung

Zum Abschluss möchte ich Dir noch zwei Dinge sagen. In der Feldenkrais Welt definieren wir was gute Haltung und was gute Bewegung ist:

Gute Haltung bedeutet sich jederzeit, in jede Richtung, nicht zögernd und sich nicht vorbereitend, bewegen zu können. Das Skelett, wenn optimal aufeinander ausgerichtet, braucht ein Minimum an Energie. Diese Energie ist jetzt verfügbar, um eine Bewegung zu initiieren. Bei schlechter Haltung arbeiten die Muskeln mehr, um das Skelett optimal aufeinander auszurichten. Die Muskeln werden somit ihrer eigentlichen Aufgabe, der Bewegung, zweckentfremdet.

Gute Bewegung bedeutet, einen beabsichtigten Zweck effizient und leicht zu erreichen. Und dafür gibt es immer auch mehrere Wege.