Stressreduktion durch Spüren

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In einer hektischen Welt, in der Stress und Anspannung oft allgegenwärtig sind, suchen viele Menschen nach Wegen, um inneren Frieden und Balance zu finden. Die Verbindung zwischen moderner Wissenschaft, körperzentrierten Ansätzen und jahrtausendealten Weisheiten kann eine tiefgreifende Quelle der Entlastung sein. In diesem Artikel erkunden wir, wie die Polyvagal-Theorie, die Feldenkrais-Methode und der Taoismus eine einfache, aber wirkungsvolle Praxis inspirieren können. Nämlich: Stressreduktion durch das Spüren.

Die Kunst des Spürens

Das Spüren ist eine Fähigkeit, die uns in die Gegenwart bringt. Es erfordert keine besonderen Hilfsmittel – nur unsere Aufmerksamkeit. Indem wir uns bewusst auf taktile Reize konzentrieren, können wir den Geist beruhigen, den Körper entspannen und das Nervensystem regulieren.

Warum Spüren wirkt: Die Perspektive der Polyvagal-Theorie

Die Polyvagal-Theorie, entwickelt von Dr. Stephen Porges, beschreibt, wie unser autonomes Nervensystem auf innere und äußere Reize reagiert. Stressige Situationen aktivieren oft den Sympathikus oder den dorsalen Vagusast – Zustände, die uns in Kampf, Flucht oder Erstarrung versetzen. Wenn wir jedoch bewusst den ventralen Vagusast aktivieren, kommen wir in einen Zustand von Sicherheit und sozialer Verbundenheit.

Das bewusste Spüren – etwa den angenehmen Stoff auf unserer Haut oder die Textur des Bodens unter unseren Fußsohlen – ist eine einfache, sofort verfügbare Praxis, um diesen Zustand herbeizuführen. Es hilft, die autonome Erregung zu reduzieren und den Körper in einen Modus der Regeneration und Entspannung zu versetzen.

Die Feldenkrais-Methode: Spüren durch Bewegung und Bewusstheit

Die Feldenkrais-Methode lehrt uns, wie wir durch sanfte, achtsame Bewegungen unser Bewusstsein für den Körper steigern können. Sie betont das Spüren – nicht nur, um Bewegungsmuster zu verbessern, sondern auch, um eine tiefere Verbindung zu uns selbst zu schaffen. Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf taktile Empfindungen lenken, entdecken wir neue Möglichkeiten, Spannung zu lösen und Bewegungen leichter zu machen.

Die Prinzipien der Feldenkrais-Methode laden uns dazu ein, die Qualität dessen zu untersuchen, was wir fühlen: Ist etwas hart oder weich? Glatt oder rau? Warm oder kalt? Dieser Prozess des Spürens ist eine Einladung, die eigene Erfahrung zu erforschen, ohne sie zu bewerten oder zu analysieren.

Der Taoistische Weg: Die Kraft der Gegenwart

Der Taoismus bietet eine spirituelle Perspektive, die das Spüren als Mittel sieht, um in die Gegenwart zurückzukehren. Laut taoistischer Lehren ist die Leere der Urzustand des Kosmos – ein Raum der Ruhe und Klarheit, der alle Möglichkeiten enthält (Fischer, 2002). Wenn wir uns auf das Spüren einlassen, treten wir aus dem Gedankenkarussell aus und verbinden uns mit dem, was ist.

Indem wir unsere Gedanken beobachten, ohne sie zu bewerten, schaffen wir Raum für die Gegenwart. Das bewusste Spüren von Texturen, Temperaturen und Bewegungen wird zu einer Form der Meditation – einer Praxis, die uns in die Stille führt und Sorgen, Unsicherheiten und Ängste auflösen kann.

Praxis: Wie du das Spüren in deinen Alltag integrierst

  1. Während stressiger Situationen

    Ob im Stau, nach einem Streit oder in Momenten von Traurigkeit – nimm dir einen Moment, um innezuhalten. Beobachte zunächst deine Gedanken, Gefühle und Körpersensationen. Lenke dann deine Aufmerksamkeit auf das, was du fühlst:

    - Wie fühlt sich das Lenkrad unter deinen Händen an?
    - Welche Textur hat das Bettlaken auf deiner Haut?
    - Wie ist das Gefühl des warmen Wassers auf deinen Händen?
  2. Im Alltag

    Trainiere deinen Spürsinn, wann immer du daran denkst. Nutze deine Hände und Füße, deine Haut, um taktile Reize wahrzunehmen.

    - Spüre den Boden unter deinen Fußsohlen.
    - Streichele das Fell eines Tieres und nimm die feinen Unterschiede in der Textur wahr.
    - Erkunde, wie sich unterschiedliche Stoffe auf deiner Haut anfühlen.
  3. Reflexion

    Notiere, wie du dich vor und nach dieser Praxis gefühlt hast. Welche Gedanken, Gefühle und Körpersensationen sind dir aufgefallen? Diese Reflexion hilft dir, die Wirkung der Praxis bewusst wahrzunehmen.

Fazit: Ein harmonisches Zusammenspiel

Das bewusste Spüren vereint die Weisheit der Polyvagal-Theorie, die Bewusstheit der Feldenkrais-Methode und die zeitlose Klarheit des Taoismus. Es erinnert uns daran, dass wir die Werkzeuge zur Stressbewältigung in uns tragen. In einer Welt voller Ablenkungen bringt uns diese Praxis zurück ins Hier und Jetzt – dorthin, wo Heilung und Ruhe beginnen.

Literatur:

  • Fischer, Theo (2002). Wu wei. Die Lebenskunst des Tao. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag

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