Erling Kagge nähert sich in seinem Buch der Erfahrung der Stille an. Er tut dies mit 33 Versuchen einer Antwort. Eine Antwort möchte ich hier aufgreifen und vertiefen.
“Das Lautlose in dir bleibt ein Mysterium. Ich glaube nicht, dass du etwas anderes erwarten solltest. Ich vermute, dass dieses Rätsel bleiben wird, selbst wenn alle wissenschaftlichen Rätsel der Welt gelöst sein sollten. Der Wissenschaft gehen die Zahlen und Worte aus. Die Stille wird niemals alt unter der Sonne, sie ist immer wieder neu. In der Wissenschaft geht es um Beobachtungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg, um etwas Nachprüfbares. Die Wissenschaft erklärt das Materielle, das Geschaffene. Oder besser gesagt, das Geschaffene, das wir sehen und erkennen können. Jenseits der Erkenntnis beginnt die Stille. … jemand kann durchaus der Meinung sein, dass nur geschaffene Dinge existieren, nur Materie. In diesem Fall gibt es weder Poesie noch Philosophie oder Bachs Musik, schließt Fosse. Aber nicht nur die Poesie, die Philosophie und Bach würden verschwinden. Fosse denkt auch an dich. Denk daran, dass die Stille, die du erlebst, ein wenig anders ist als die, die andere erfahren. Alle haben ihre eigene” (Kagge, 2018, S. 102).
Kagge setzt mit seinem Zitat ein Statement. Stille ist nicht nur Abwesenheit des Lärms, sie ist ein Erfahrungsraum jenseits dessen, was Wissenschaft greifen kann. Wissenschaft liefert uns Daten (Stress, Herzgesundheit, Gehirnwachstum), aber das innerliche Mysterium bleibt allein dem persönlichen Erleben vorbehalten. Studien zu Stille und Lärm untermauern seinen Gedanken und zeigen, wie wichtig innerer Raum für Gesundheit und Bewusstsein ist.
Er beschreibt das Unfassbare hinter der Stille, die jenseits der materiellen Welt existiert. Wissenschaft misst, zählt, erklärt, aber die Stille bleibt ein Geheimnis, unverfügbar für Zahlen und Worte. Selbst wenn alle materiellen Rätsel gelöst wären, bleibt das innere Schweigen ein eigenständiger Erfahrungsraum. So werden drei Dinge deutlicher.
Die Wissenschaft hat Grenzen. Wissenschaft kann alles Materielle erklären, nicht aber das Schweigen, das uns innerlich begegnet. Und ich möchte hinzufügen. Das Wissenschaft das Materielle, das Messbare erklären kann, finde ich super. Und auch da gibt es Grenzen, worauf ich jetzt mal nicht näher eingehen werde.
Stille ist subjektiv, denn jeder erlebt Stille anders. Sie ist individuell gefärbt, niemals absolut. Ich beobachte manchmal Menschen, die es kaum aushalten, nur für 5 Minuten still zu sein. Sie sind ein guter Lehrmeister, denn sie erinnern mich manchmal an mich. Manchmal tue ich mir auch schwer. Manchmal. Von daher bin ich dankbar für diese Erlebnisse. Sie sind für mich wie Weckrufe. Also, Stille ist subjektiv.
Poesie versus Pragmatik: Inhalte wie Poesie, Philosophie oder Musik transformieren sich in diesem Raum der Stille. Ich erinnere mich an Bobby Hutcherson, Charles Mingus, Eric Dolphy oder Joe Henderson, um nur ein paar zu nennen. Diese Musik verlangt meine ganze Aufmerksamkeit. Meine ganze!!! Danach ist Stille. Und diese Stille wirkt. Dieser Raum der Stille, der nach dieser Musik kommt verschmilzt mir mir und wird somit Teil meiner eigenen Wahrnehmung. Ach, wenn du Jazz nicht magst, Rock, Klassik, oder was auch immer tut es auch. Ist ja subjektiv.
Kagge plädiert für ein Bewusstsein der inneren Stille als eigene Sphäre, in der sich jenseits des Sichtbaren das eigentliche Mysterium aufhält. Ich plädiere auch dafür. Mit Charles Mingus und "Better git it in your soul". Danach. Stille. 🙂
Literatur:
- Kagge, Erling (2018). Stille. Berlin: Insel Verlag
Bilder:
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