Im Artikel “Somatische Marker und Beziehungsglück” sprach ich über somatische Marker, was das denn sein kann und wie es zu Beziehungsglück beiträgt. Worum geht es eigentlich? Na ja, ganz einfach. Es dreht sich um Verbindung. Verbindung zu mir, zu anderen, zur Welt, zum Leben, zum Universum, zu anderen Galaxien. Stop! Bleiben wir mal auf der Erde. Wie wäre es mit Verbindung zu einem Gegenüber? Das hört sich doch gut an. Viel Spaß mit diesem Artikel.

”Ein Mensch tut nun mal was dieser Mensch tut.
Dieses Tun ist zum größten Teil nicht bewusst.
Dieses Tun ist Gewohnheit geworden.
Diese Gewohnheit ist Wahrheit geworden.
Sprechen ist auch Tun.”

Ich erinnere mich des Öfteren die Erfahrung gemacht zu haben, das mein Gegenüber mir vorwarf, die Gedanken nicht lesen zu können. Von Freunden/Freundinnen hörte ich Ähnliches. Es scheint eine gut verbreitete Unwahrheit zu sein. Wie ist das bei Dir? Bist du auch der Ansicht, dein Gegenüber müsste Gedanken lesen können, oder auch Gefühle? Falls du das mit Ja beantwortest und der gewünschte Effekt dann nicht eintritt, was kommt dann? Bist du dann eventuell traurig oder wütend? Kannst du auch Gedanken und Gefühle lesen?

Laut Michael Lukas Moeller (2008) existiert das, was nicht ausgesprochen wird, für das Gegenüber nicht. Ich stimme dem zu. Das ausgesprochene Wort spiegelt die seelische Realität der Beziehung wieder. Die äußere Realität, also all das, was ich wahrnehmen kann, bleibt bestehen, aber nur rein äußerlich. Was sich hinter diesem Vordergrund versteckt ist der Hintergrund, und dieser Hintergrund ist es, welcher Verbindung stiftet, in welcher Beziehung auch immer, sei es eine Partnerschaft oder eine Freundschaft.

“Menschen sind komplexe Wesen.
Treffen zwei aufeinander so wird es kompliziert.
Hier hilft das Explizieren, der Perplexität entgegen.”

So schreibt auch Moeller (2008), eine allgemeine Paarmoral kann es nicht mehr geben, jedoch eine individuelle. Wenn zwei Menschen aufeinander treffen, so stellt dies eine einzigartige Kombination zweier Lebensgeschichten dar, welche zum einen die traditionellen Rollenklischees über den Haufen werfen und zweitens dazu einladen einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen, welcher einer andauernden fließenden seelischen Aufgabe entspricht. 

Bei dieser Kombination zweier Lebensgeschichten, haben mir persönlich die folgenden zwei Sichtweisen sehr weiter geholfen. Ich wurde mir gewahr, das jeder Mensch immer das Bestmögliche gibt. Danach kommt nichts mehr. Dieses Bestmögliche breitet sich natürlich auch aus, jedoch nur unter der Bedingung der Freiheit. Und ist nicht die Liebe auch ein Kind der Freiheit. Oder anders ausgedrückt, hat es jemals zu irgendetwas geführt einen anderen Menschen Gefühle aufzuzwingen? Meine Antwort lautet: Nein. Es gibt unterschiedliche Zeiten. Zeiten in denen wir hochgradig verliebt sind. Zeiten der Not, der Krise, der großen Tragödien. Zeiten des Nebeneinander-Her-Lebens. Zeiten der Entwicklung, der individuellen, sowie der gemeinsamen. Dieser Entwicklung stehen laut Moeller (2008) drei Hindernisse entgegen: die eigene Angst, die Angst des Partners und die Verbote/Gebote der Gesellschaft. Die letzteren beiden kann ich nicht beeinflussen, jedoch das erstgenannte. Ich kann meine Angst ansehen, sie zulassen, mich auf sie einlassen und schließlich, sie hinter mir lassen. Diese Abfolge von Phasen ist keine einfache und schon gar nicht kurzweilig, aber sie ist gehbar. 

Die zweite Sichtweise ist die Gewahrwerdung, die Andersartigkeit meines Gegenübers nicht als Angriff, sondern als Entwicklungschance zu sehen. So geben sich diese beiden Sichtweise die Hand. Eine Möglichkeit diese Sichtweisen miteinander zu verbinden besteht darin, Hintergründiges vordergründig werden zu lassen, ergo, miteinander zu sprechen, sich sprechend anzunähern. Diese sprechende Annäherung hat den Weg als Ziel, nicht das Ziel als Ziel. Das Ziel entspräche einer Endlösung, wozu ich sagen möchte, das mir dieses Wort überhaupt nicht gefällt. Mit Zwischenlösungen kann ich mich schon besser anfreunden.

Ich kann also meine Angst ansehen, sie zulassen, mich auf sie einlassen und schließlich, sie hinter mir lassen. Diese Ängste können sich laut Moeller (2008) auf unterschiedliche Dinge beziehen: Verlust, Schuld, Intensität, Scham, Neid und Freiheit. Je stärker die Liebe, desto größer die Verlustangst. Menschen flüchten sich dann in die Oberflächlichkeit, büßen gleichzeitig Tiefgang an, was für mich gleichzusetzen wäre mit dem nicht gelebten Leben. Gelebtes Leben setzt Tiefgang voraus, mit sich und mit anderen. Die Realität wäre dabei wie folgt zu sehen, nämlich, dass es keinen Menschen gab, gibt und geben wird, der nicht irgendwann einmal enttäuschen wird. Hier hilft mir meine zweite Sichtweise der Andersartigkeit. Was die Schuld betrifft, so spricht Moeller von dem Gefühl, das es mir in der Liebe besser geht als anderen. Ich meine zum einen, das darf sein. Zum anderen hat diese Schuld höchstwahrscheinlich entweder etwas Vergangenes, also die negative Belehrung der eigenen Eltern aus der Kindheit bzw. etwas Gegenwärtiges, also die verkappte Moral einer Teilgruppierung der derzeitigen Gesellschaft. Die Angst vor der Intensität ist manchmal eine gemeine Angst. Wie jede Flut kommt, so geht sie auch wieder. Ich frage mich dann immer, wie bin ich? Bin ich wie ein Fels in der Brandung und halte stand, da ich bei mir bleiben kann. Dieses Standhalten wird ein neues Wachstum mit sich bringen, ausnahmslos. Scham als Angst hat meist auch frühkindliche Entwicklungsproblematiken als Ursprung. Hier schreit die Scham mich an, zu mir zu stehen, zu meinem Selbst, zu meiner Entwicklung. Es ist der Appell “liebe dich selbst, dann liebt dich eine höhere Macht”. Die Angst vor dem Neid hat nach meiner Meinung ihren Ursprung im sozialen Vergleich. Hier fällt mir ein, ganz nach Dostojevski, wer nicht vergleicht, hat keinen Grund unglücklich zu sein. Unglück wäre hier gleichzusetzen mit Angst. Und schließlich die Angst vor der Freiheit, vor allem die Freiheit meines Gegenübers. Ich denke, hier wird ziemlich klar, das die ansteigende Angst durch die Freiheit des anderen erst eine tiefgründige Beziehung ermöglicht, denn die Überwindung dieser Angst gleicht einem Loslassen, einem Gewahr-Werden, dass wir nie und nirgendwo etwas besitzen können und schon gar nicht einen Menschen. 

Und so wie ich die Angst hinter mir lassen möchte, möchte ich mein Gegenüber zulassen und zwar über Sprache. Ich denke, heute führt nichts mehr an der Erkenntnis vorbei, das wir nun mal narrative Wesen sind, d.h. wir erzählen und hören Geschichten. Einst lernten wir durch Worte, dann irgendwann mal kam die Schrift und schließlich der Buchdruck. Das war sehr schnell vorwärtsgespult. Unsere Existenz hängt an der Bedeutung der Geschichte, die wir immer wieder erzählen. Entwicklungspsychologisch entsteht somit Kohärenz und Konstanz. Welche Bedeutung hat ein Erlebnis für mich. Je nachdem mit wem ich darüber spreche, um so unterschiedlicher sind farblichen Untertöne, die Deutungen des Erlebnisses. Das Erlebnis bekommt Farbe und ich bekomme Einsicht in meine eigene Wahrheit. 

“Meine Wahrheit muss nicht deine Wahrheit sein.
Meine Wahrheit darf meine Wahrheit sein.
Wahrheit bewahrheitet sich im Erzählen.”

Dieses Erzählen schafft Verbindung. Diese Verbindung schafft Tiefgang. Dieser Tiefgang zeitigt Vertrauen. Dieses Vertrauen schafft Bindung. Diese Bindung gibt Sicherheit und gleichzeitig Freiheit, sich selbst zu leben. Wie war noch mal ein bekannter Ausspruch, “am Anfang war das Wort”. Vielleicht ist es das, was vielen Paaren, aber auch Individuen fehlt. Und vielleicht stecken gerade diese Paare deswegen im Teufelskreis der Sprachverarmung fest. Sie sprechen nicht wirklich miteinander, es entstehen Konflikte, aus welchen faule Kompromisse entstehen, welche Wut, Traurigkeit, Angst entstehen lassen und so weiter. In Folge wird noch weniger miteinander gesprochen. Damit einher geht auch die erotische Abstumpfung und die Intimität ist dahin. Doch Miteinander Sprechen schafft erst einen Raum für eine konstruktive Konfliktlösung und lebendigen Kompromissen, hin zu mehr Intimität, Erotik, Romantik und langfristiger Verbindung.

Literatur:

  • Moeller, Michael Lukas (2008). Worte der Liebe. Erotische Zwiegespräche. Ein Elixier für Paare. Hamburg: Rowohlt

Bilder: