Von „Ich will nie wieder Schmerzen haben“ über „Ich möchte Schmerzen reduzieren“ hin zu „Ich möchte Schmerzen regulieren“ scheint es eine Steigerung zu geben. Der erste Satz gleicht einem Absolutismus, das eigene Leben solle bloß ohne jegliche Beeinträchtigung im Sinne von Schmerz ablaufen. Der zweite Satz stellt schon eine Verfeinerung dar, in dem sich die Person mit einer Reduktion zufrieden gibt. Gratulation. Noch besser wäre natürlich der dritte Satz. Die Reduktion wird mit einer Regulation ersetzt, was soviel bedeutet wie, es sind Schmerzen vorhanden, doch die Person hat die notwendigen Skills, diesen zu regulieren. Im besten Falle hilft die Regulation dabei, den Schmerz so weit zu reduzieren, dass er nicht mehr wahrnehmbar ist. Ein Hoch auf die Wahrnehmungsschwelle. Doch ist dies immer hilfreich?

Akute Warnung

Schmerzen können sehr quälend sein und doch sind Schmerzen äußerst sinnvoll, denn sie schützen uns und somit unser Überleben. Ein Leben so ganz ohne Schmerzen scheint eher einer Utopie gleichzukommen als der Realität. Der Schmerz hat uns wohl in letzten Jahren bzw. Jahrzehnten richtig eingeholt. Nicht umsonst zählt er heute zu den primären Gründen, warum Menschen eine Klinik bzw. Hilfe aufsuchen. Akute Schmerzen entstehen als Reaktion auf eine Verletzung. Der Reiz könnte thermisch sein (Hitze, Kälte), mechanisch (Druck, Kneifen, Stechen, etc.) oder chemisch (Allergie, etc.) (Butler & Moseley, 2016). Der Körper produziert auch eigene Botenstoffe, aufgrund von Entzündungsprozessen. Diese Botenstoffe sind letztlich für die Schmerzwahrnehmung verantwortlich. Akute Schmerzen warnen uns vor etwas. Vielleicht gibt es in der Umgebung eine Gefahr. Es läuft eine Vergleichsrechnung im Gehirn ab: Habe ich so etwas schon einmal erlebt? Daraus wird dann abgeleitet, was weiterhin zu tun wäre.

Schmerzdämmung

Was weiterhin zu tun wäre, wäre definitiv eine Linderung der Schmerzwahrnehmung. Dies regelt das Gehirn über hemmende Mechanismen, welche über körpereigene Opioidsysteme reguliert wird. Diese Opioidsysteme machen ihre Regulation so gut, dass Aussagen wie, „mein Arm war gebrochen, aber ich spürte überhaupt keinen Schmerz“ öfters zu hören sind. Diese Regulation hat aber auch ihre Nachteile. Der Vorteil wäre klar: Schmerzlinderung. Ein Nachteil kann allerdings darin bestehen, die Nachricht des Schmerzes nicht zu hören und somit die damit verbundene Gefahr weniger wahrzunehmen. Menschen mit einer angeborenen Schmerzunempfindlichkeit haben eine genetische Mutation, die verhindert, dass sie überhaupt Schmerzen empfinden, was zu einer Ansammlung von Wunden, Verbrennungen und Knochenbrüchen führen kann. Zudem haben sie auch eine deutlich kürzere Lebenserwartung als diejenigen von uns, die Schmerzen empfinden.

Gesteigerte Wachsamkeit

Jetzt ist es jedoch so, dass Menschen diese Eigenschaft der Schmerzwahrnehmung über eine sehr lange Zeit gelernt haben und sie sich stabilisiert hat über die Stammesentwicklung. Was war wohl der Vorteil davon? Robyn Crook, ein evolutionärer Neurowissenschaftler forschte dazu an seinem Labor. Er machte dazu Experimente und fand etwas sehr spannendes heraus: Verletzte Tintenfische werden weniger von Raubfischen gefressen. Warum? Weil sie Schmerzen haben. Zu dieser Schlussfolgerung gelangten sie, als sie unverletzte Tintenfische zusammen mit verletzten Tintenfischen und einem natürlichen Raubtier in ein Becken gaben. Dem verletzten Tintenfisch wurde ohne Betäubung ein kleiner Schnitt an einer seiner Flossen zugefügt. Dies führte dazu, dass die Barsche im Vergleich zu gesunden Gruppen eher versuchten, den verletzten Tintenfisch anzugreifen. Allerdings hatten diese verletzten Tintenfische im Gegensatz zu nicht verletzten Tintenfischen eine gesteigerte Wachsamkeit, was dazu führte ihr Fluchtverhalten schneller zu initiieren.

Fazit

Akute Schmerzen unmittelbar nach einer Verletzung lösen eine Abwehrreaktion aus. In anderen Worten handelt es sich ja um eine höhere Sensibilisierung gegenüber externen Reizen, d.h. sie können auf bedrohlichere Reize in ihrer vulnerablen Situation schneller reagieren. Diese verbesserte Reaktionsfähigkeit auf Bedrohungen fördert das Überleben (Crook et al., 2011, 2013, 2014). Jetzt ist dies aber nicht nur bei Tintenfischen der Fall. Auch Menschen unterliegen diesen evolutionären Mechanismen. Es ist alles im allem ein Vorteil.

Literatur:

  • Butler, David & Moseley, Lorimer (2016). Schmerzen verstehen. Berlin: Springer Verlag
  • Crook, R. J., Dickson, K., Hanlon, R. T., & Walters, E. T. (2014). Nociceptive sensitization reduces predation risk. Current biology : CB, 24(10), 1121–1125. https://doi.org/10.1016/j.cub.2014.03.043
  • Crook, R. J., Lewis, T., Hanlon, R. T., & Walters, E. T. (2011). Peripheral injury induces long-term sensitization of defensive responses to visual and tactile stimuli in the squid Loligo pealeii, Lesueur 1821. The Journal of experimental biology, 214(Pt 19), 3173–3185. https://doi.org/10.1242/jeb.058131
  • Crook, R. J., Hanlon, R. T., & Walters, E. T. (2013). Squid have nociceptors that display widespread long-term sensitization and spontaneous activity after bodily injury. The Journal of neuroscience : the official journal of the Society for Neuroscience, 33(24), 10021–10026. https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.0646-13.2013

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