Nur der Mensch, welcher möge, und auch vermöge, möge sein Leben in voller Fahrt auf Kurs halten. Es besteht hier eine Kooperation zwischen Motivation und Volition, also dem Antrieb etwas tun zu wollen und der Fähigkeit diesen Antrieb in die Tat umzusetzen.

“Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.” Epikur 

Wir werden geboren und wir sterben. Jeder stirbt für sich allein. So schrieb es einst Hans Fallada (2012). So rettete ein Kammergerichtsrat die unter Lebensgefahr stehende Sara Rosenthal vor der Gestapo. Ihr Glück war aber sogleich ihr Pech. Von nun an war sie zwar sicher, durfte jedoch nicht mehr die Wohnung verlassen, geschweige denn zum Fenster hinaussehen. Dieses Alleinsein wog so viel mehr als die Gefahr vor der Gestapo. Dieses Alleinsein konfrontiert uns mit unser Einsamkeit, konfrontierte Sara Rosenthal mit ihrer Einsamkeit. Es endete tragisch. Selbstmord! So muss es nicht kommen. Einsamkeit aushalten bedarf einiges an Kraft, Mut und Willen.

Ob ein Mensch jetzt die Phase des Alleinseins als angenehm oder gefährlich betrachtet, ist auch abhängig von der Bindungserfahrung, welche in der Kindheit gemacht wurde (Detrixhe et al., 2014). Erlebt ein Kind die Eltern als sichere Basis, so entsteht dadurch der Drang die Welt zu erforschen. Der Drang stellt hier die Motivation dar und die ersten Schritte, die Welt nun zu erforschen, käme der Volition gleich. Eine Phase des Alleinseins ist also dann erholsam, sofern eine sichere Bindung besteht.

Alleinsein kann auch eine essentielle Quelle für die geistige Gesundheit sein. Jetzt ist es allerdings so, dass die Welt immer mehr schrumpft, d.h. es gibt immer weniger Platz wirklich allein zu sein. Umgeben von diversen Ablenkungen, die uns aus dem Alleinsein herausziehen. Ablenkung, auch als Genuss, kann uns zunehmend den Genuss der Stille und des Alleinseins berauben. Zunehmend sind wir von Objekten umgeben, die uns dazu drängen vor allem eines zu tun: Genießen. Durch immer mehr, immer neue Reize, die immer tiefer in unser Privatleben vordringen (Detrixhe et al., 2014).

Es gibt einen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Einsamkeit, ein Gefühl, geht mit einem defizitärem Zustand einher. Dieser Zustand hat mit Bindungen zu tun, also anderen liebevollen Menschen. Alleinsein ist lediglich deskriptiv. Es beschreibt mich im Raum und zwar ohne einen weiteren Menschen. Es beschreibt mich ohne das Bedürfnis nach sozialen Beziehungen für einen gewissen Zeitraum. Einsamkeit, als Gefühl, stellt die Diskrepanz drastisch dar. Ein Mensch ist alleine aber möchte dies nicht, sehnt sich nach Bindungen, nach sozialen Beziehungen.

Menschen sind soziale Wesen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist die Tatsache, dass Menschen von Zeit zu Zeit alleine sind und dies muss nicht per se negativ sein. Die Psychologen Christopher Long und James Averill (2003) heben in ihrer Studie hervor, wie sich das Alleinsein unser Freiheitsgefühl, unsere Kreativität und unsere Fähigkeit zur Intimität beeinflussen kann. Das Schöne am Alleinsein ist die Tatsache der Abwesenheit von Anderen und somit auch die Abwesenheit von deren Blicken und geistigen Bewertungen. Keine Blicke, keine Bewertungen, keine Erwartungen von außen, wie man zu sein hat. Die Wahrnehmung bezüglich sich selbst und der näheren Umwelt geschieht ohne Zensur.

Diese bewertungsfreie und erwartungsfreie Alleinzeit muss nicht notwendigerweise unsere sozialen Fähigkeiten herabsetzen. Ganz im Gegenteil kann es auch unser Bedürfnis und unsere Kapazität für Intimität verstärken. So führte Donna C. Oliver (1991) eine Studie in der Antarktis durch. Die Wintermonate dort dauern von Februar bis September, d.h. zu dieser Zeit geht die Sonne nie auf. Im Winter befanden sich dort gerade mal 78 Personen. Dies vermag auf die Stimmung zu drücken. Oliver berichtet von Kopfschmerzen, Erinnerungsdefiziten, Motivationsdefiziten und extremen Kaffeekonsum. Dennoch war der Winter in McMurdo eine Supererfahrung. Wie kommt dies? Zum einen hat dies mit Stolz zu tun, diesen harten Belastungen gewachsen gewesen zu sein. Darüber hinaus sank das Gefühl von Abhängigkeit. Das Gefühl der Selbstbestimmung stieg an, sowie das Bedürfnis und die Motivation für intime Kontakte. Es ist ganz wichtig zu bemerken, dass die Menschen aus eigenem Willen in die Antarktis gingen, sozusagen selbstbestimmt und nicht unter Zwang.

Und nun? Mögen und Vermögen. Manchmal ist es natürlich hilfreich, Stille zu kultivieren, im Außen, sowie im Innen. Ich beende den Artikel mit den Worten von Claudia Hammond (2021).

„Um uns wirklich ausgeruht zu fühlen, müssen wir von den anderen wegkommen, ihrem Geplapper und – im Bestfall – auch dem Geplapper in unserem Kopf entfliehen.”

Literatur:

  • Detrixhe, Jonathan J., Lisa Wallner Samstag, Linda S. Penn, and Philip S. Wong (2014). A Lonely Idea: Solitude’s Separation from Psychological Research and Theory. Contemporary Psychoanalysis 50, no. 3 (2014): 310–31. doi:10.1080/00107530.2014.897853.
  • Fallada, Hans (2012). Jeder stirbt für sich allein. Berlin: Aufbau Verlag
  • Hammond, Claudia (2021). Die Kunst des Ausruhens. Wie man echte Erholung findet. Köln: DuMont Buchverlag
  • Long, C.R. & Averill, J.R. (2003). Solitude: An Exploration of Benefits of Being Alone. Journal for The Theory of Social Behaviour, 33, 21-44.
  • Oliver, D.C. (1991). Psychological Effects of Isolation and Confinement of a Winter-Over Group at McMurdo Station, Antarctica. In: Harrison, A.A., Clearwater, Y.A., McKay, C.P. (eds) From Antarctica to Outer Space. Springer, New York, NY. https://doi.org/10.1007/978-1-4612-3012-0_20