Laut Moshe Feldenkrais handeln wir in Übereinstimmung mit unseren Selbstbild. Dieses Selbstbild besteht aus vier Komponenten: Bewegung, Empfindung, Gefühl und Gedanke (Feldenkrais, 1990). Für diese Entwicklung gibt es drei Wege, bzw. es sind drei Wege dafür verfügbar. Der erste Weg ist der natürliche Weg, der zweite Weg ist der individuelle Weg, der dritte ist der Weg der Methode.

Der Natürliche Weg

Jedes Kind auf dieser Welt kann reden, laufen, tanzen und ausruhen und noch vieles mehr. Kinder vor 1000 Jahren konnten auch reden, laufen, tanzen und ausruhen. Und Kinder vor 10000 Jahren konnten dies höchstwahrscheinlich auch. Es ist in uns angelegt, d.h. es ist für uns natürlich. Es ist eine natürliche Funktion, die wir alle gemeinsam haben, egal wo wir leben und aufwachsen, egal zu welcher Zeit.

Der Individuelle Weg

Jetzt kann es allerdings sein, dass ein Mensch, das Natürliche in einer sehr individuellen Weise ausgeführt hat und es dadurch verfeinert hat. So mag der eine zwar auch rennen, jedoch schneller, der nächste mag auch singen, nur irgendwie anders, usw. Immer wenn sich diese individuelle Art als besser als die natürliche Art herausstellte, wurde diese individuelle Art höchstwahrscheinlich von anderen adaptiert. So haben lokale Menschengruppen gewisse Fähigkeiten besonders ausgebildet, z.B. Jodeln bei den Schweizern und Bumerang Werfen bei den Australiern.

Die Methode als dritter Weg

Von natürlich über individuell geht es nun zur Methode. Die Methode kommt genau dann ins Spiel, wenn viele Menschen das Natürliche sehr individuell ausführen. Es gibt hier zwischen den Menschen Überschneidungen, d.h. Ähnlichkeiten. Was letztlich beobachtet wird, ist der Prozess, das damit verbundene Wissen und somit auch die Vereinheitlichung. Feldenkrais bringt hier das Beispiel mit Leonardo da Vinci, welcher elementare Prinzipien anwendete. Das war im 15. Jahrhundert. Es dauerte allerdings drei Jahrhunderte, erst dann definierte Jean Baptiste Monge diese Prinzipien. Erst dann wurden sie unterrichtet. Das Beispiel soll zeigen, wie sinnvoll es ist, etwas zu definieren, so dass alle Menschen darauf Zugriff haben.

Gibt es jetzt ein Problem?

Ja, manchmal will eine Gesellschaft, dass Menschen sich in bestimmten Arten und Weisen verhalten, was dazu führen kann, dass der natürliche Weg verloren geht und somit auch die Individualität, welche aus diesem natürlichen Weg heraus erwächst. So wurde einst etwas natürlich ausgeführt und heute fällt dies weg, denn es gibt für jeden noch so kleinen Bereich einen Spezialisten. Das ist an sich gar nicht schlecht, denn ich mache meine Steuererklärung auch nicht gerne und freue mich, wenn dies jemand für mich übernimmt. Das gleich lässt sich auf vieles anwenden. Es gibt z.B. Innenausstatter, welche nur dies tun. Jetzt rede ich aber nicht von Steuer und Feldenkrais auch nicht, sondern von natürlichen Fähigkeiten, wie z.B. Stehen und Laufen.

Was ist nun mit dem Problem?

Es gibt also Methoden dafür, wie ein Teppich zu weben ist. Es gibt philosophische Diskursregeln, wie diskutiert wird. Es gibt Axiome in der Mathematik, usw. Dies ist schon seit längerer Zeit so und es ist auch gut so. Was ist aber mit Stehen, Laufen, Springen, Atmen usw.? Es hat sich gezeigt, dass je leichter eine Tätigkeit im natürlichen Weg ist, desto verzögerter tritt eine Systematisierung ein, d.h. es dauert länger daraus eine Methode zu erstellen. Eine Methode könnte z.B. das Atmen sein. Atmen tun wir alle, mehr oder weniger, besser oder schlechter. Es ist natürlich. Jetzt ist es so, dass manch einer auf seine individuelle Art und Weise atmet und damit enorme Probleme bekommt. Ein anderer wieder schafft es unglaublich gut und daher geht es ihm auch gut. Es muss eigentlich nicht gesagt werden, ich tue es dennoch. Eine oder mehrere Atemmethoden zu kennen und zu können, kann sehr hilfreich sein, sich seiner individuellen Art und Weise gewahrer zu werden und sich der natürlichen Atmung anzunähern.

Welcher Weg denn jetzt?

Manchmal ist es dennoch schwierig zu entscheiden, ob wir uns auf den natürlichen Weg oder auf die Methode verlassen sollen. Jetzt mag ein Mensch sagen, ich höre auf meine Intuition. Das mag schön und gut sein, doch vielleicht bei manchen Sachen unangebracht, gerade wenn es um Bewegung und Atmung geht. Denn hier gibt es definitiv ein Besser und ein Schlechter. Von daher ist es in gewissen Bereichen sinnvoll, sich mit einer Methode zu befassen. Jetzt ist es aber leider auch so, dass manche Menschen von Geburt nur Methoden lernen oder diesen ausgesetzt sind, und der natürliche Weg verfliegt. Das ist höchstwahrscheinlich weniger der Fall bei Kindern, welche in einem Walddorfkindergarten sind. Warum? Hier lernen sie mit Temperaturschwankungen umzugehen. Sie lernen den Wald kennen, dort liegen Objekte, mit denen kann man etwas machen. Sie lernen sich gegenseitig in einem natürlichen Setting kennen. Dies schult unter anderem auch die Körperwahrnehmung und somit auch zwischenmenschliche Fähigkeiten, denn wenn ein Mensch besser mit anderen umgehen kann, kann dies unter anderem daran liegen, dass hier eine bessere Körperwahrnehmung vorliegt.

Das Umfeld redet mit

Wie vorher schon geschrieben, ist ein Mensch von Geburt an, in einem gewissen sozio-kulturellen Umfeld eingebettet. Und dies hat natürlich Folgen, unter anderem für die Natürlichkeit, bzw. auch wie sich jemand sieht, als Selbst wahrnimmt.

„Doch das stets originelle japanische Denken unterscheidet sich von den anderen fernöstlichen Philosophien ebenso wie von unserem. Im Unterschied zu ersteren verneint es das Subjekt nicht. Und im Unterschied zu letzterem macht es dieses nicht zum obligatorischen Ausgangspunkt jeder philosophischen Reflexion, jeder Rekonstruktion der Welt durch das Denken. Es wurde sogar gesagt, daß in einer Sprache, der, wie dem Japanischen, der Gebrauch des Personalpronomens widerstrebt, Descartes` “Ich denke, also bin ich” unübersetzbar ist…“ (Lévi-Strauss, 2014, S. 48).

Mit „ersteren“ sind der Hinduismus, der Taoismus, der Buddhismus gemeint. Mit „letzterem“ das abendländische rationalistische Denken. Dieses Zitat stammt aus dem Buch „Wir sind alle Kannibalen“, Unterkapitel „alles verkehrt herum“ von Claude Lévi-Strauss. Ich möchte dieses Zitat heranziehen, um die Unterscheidung einer Brille deutlich zu machen. Die Brille ist demnach eine kulturelle Aneignung, welche mit gewissen Verhaltensweisen einhergeht und sich auch in der Sprache zeigt. Das abendländische Denken ist, verglichen mit der Kultur Japans, sehr fokussiert auf das Ich. Das ist prinzipiell nicht schlecht, genauso wie es nicht schlecht ist, diesen Fokus nicht zu haben, wie dies in Japan der Fall ist. Allein schon die Übersetzung des bekannten Satzes von Descartes scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Vor nicht allzu langer Zeit formulierte ein scharfsinniger Geist folgenden Satz: „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ Dieser Herr war Karl Marx. Der Nichtgebrauch des Personalpronomen schafft einen anderen Standpunkt, vielleicht einen nach außen orientierten. Also schafft das gesellschaftliche Sein, zu dem auch die Sprache gehört, das Bewußtsein. Das Umfeld redet also mit. Kann es auch anders herum der Fall sein? Das ist ein sehr schwierig zu beantwortende Frage. 

Kultur beeinflusst Sprache. Sprache beeinflusst Denkstrukturen. Denkstrukturen beeinflussen die Flexibilität in der Perspektive. Je nachdem welche Perspektive ein Mensch einnimmt, umso mehr oder weniger beeinflusst dies wiederum unsere Gefühle und damit einhergehend körperliche Empfindungen von Stress. Akkumulierter Stress erzeugt ein inneres Milieu, in dem Krankheit entstehen kann. Ach, vielleicht denkst du jetzt, dann ändere ich einfach mal meine Sprache und alles andere ändert sich mit. Tja, so leicht scheint dies dann doch nicht zu sein. Oder doch? Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, sofern ich meine Sprache ändere, ändert sich auch mein Habitus mit. Das Außen hat dies bisher mehrere Male bestätigt.

Finales Fazit

Nach Feldenkrais ist es sinnvoll, sich mit dem Selbstbild auseinanderzusetzen, d.h. es mit unserer natürlichen Art und Weise in Übereinstimmung zu bringen. Am Selbstbild arbeiten wir mit der Feldenkrais Methode. Wem kommen wir damit näher? Unserem natürlichen und somit auch unseren individuellen Weg. Feldenkrais als Methode nimmt sich genau dies zu Herzen. Manchmal ist es sinnvoll auf eine Methode zu vertrauen. Na ja, für mich ist ganz klar Feldenkrais die erste Wahl. Aber, es kann auch QiGong, Yoga, Body-Mind-Centering, Pohltherapie, Skan, die Rosen-Methode, die Alexander Technik oder Tanz sein. Viele Wege führen nach Rom. Welchen wählst du, …, das ist die Frage.

Und wenn du eine Methode gewählt hast, versuche mal diese Methode in der Tiefe zu verstehen. Denn diese Methode ist ähnlich einer Brille, mit der du dann in die Welt siehst. Gefällt dir die Brille, alles gut, gefällt sie dir nicht, wechsle die Brille.

Literatur:

  • Feldenkrais, Moshe (1990). Awareness through Movement. San Francisco: Harper Collins 
  • Lévi-Strauss, Claude (2014). Wir sind alle Kannibalen. Berlin: Suhrkamp

Bilder:

  • Foto von Daniel Lincoln auf Unsplash