Ich erinnerte mich soeben an ein Gespräch in einem Starbucks in Arlington, Virginia. Es muss ca. März 2014 in Pentagon City gewesen sein. Auf dem Weg zur Cafeteria, lief mir ein Mann über den Weg, welchen ich schon mehrere Male gesehen hatte. An diesem Tag kam es zu einem Gespräch. Er fragte mich, was ich denn tun würde und ich antwortete, das ich ein Feldenkrais Practitioner bin. Unverzüglich darauf kam die Frage, was denn das wäre. Ist es ähnlich wie Yoga oder Physiotherapie oder oder oder. So interessant wie diese Frage auch ist, so vielseitig sind auch ihre Antworten, dachte ich mir damals. Ich begann einige Konzepte zu erklären und plötzlich erschien mir ein gutes Beispiel. Das Beispiel handelte von einer Person, welche in einer unausgeglichenen Art und Weise läuft. Ich simulierte den Gang dieser Person im Starbucks. Im speziellen verbrachte ich mehr Sekunden mit meinem linken Fuß als mit meinem rechten Fuß am Boden.

Das Bewegungsmuster

Dann schaute ich zu Ihm und sagte: “Das ist ein Bewegungsmuster und jedes Bewegungsmuster kann auch als Gewohnheit verstanden werden. Wir haben unzählige Gewohnheiten, angefangen mit dem täglichen Aufstehen aus dem Bett, wie wir unsere Zähne putzen, wie wir sitzen und vom Stuhl aufstehen und schließlich wie wir uns wieder abends zum schlafen hinlegen. Die meisten dieser Gewohnheiten sind automatisiert und das ist auch gut so. Somit müssen wir nicht die ganze Zeit darüber nachdenken. Manchmal jedoch kann eine Gewohnheit gewisse Probleme verursachen. Früher oder später.”

Das Beispiel vom unausgeglichenen Gangbild, war so ein Bewegungsmuster, welches zum Automatismus wurde. Dieses Gangbild muss nicht notwendigerweise Schmerzen verursachen. Es besteht lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass dies passieren könnte. Wir können es einfach nicht zu hundert Prozent sagen. Zurück zu der Person mit dem unausgeglichenen Gangbild. Jeder von uns hat ein Skelett. Die Knochen sind miteinander verbunden durch Bänder. Die Muskeln verbinden über ein Gelenk zwei oder mehrere Knochen miteinander. Diese Muskeln bewegen das Skelett durch das Schwerefeld. Diese Bewegungen werden durch das Nervensystem gesteuert in einem gewissen Umfeld. Somit haben wir nun vier Variablen, das Skelett, das Nervensystem, die Muskeln und das Umfeld. Sehr angeregt über diese Sichtweise sprachen wir weiter und ich erwähnte eine Studie, welche besagt, dass das Hinken eine Ursache von Rückenschmerzen sein kann. Hinken kann jedoch auch eine Wirkung sein, denn sofern im unteren Rückenbereich Schmerzen auftreten, kann dies ein Hinken auslösen, um den Schmerz zu umgehen. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung wäre nun vertauscht. Das Bein auf der verletzten Seite unterliegt einer mangelhaften neuromuskulären Organisation, somit funktioniert es nicht angemessen genug. Somit müssen andere Körperareale dafür geradestehen. Es entstehen Kompensationsmuster.

3S in der Feldenkraiswelt

Ein Mensch kann normal geboren werden. Normal? Was ist schon normal? Das Wort “normal” gefällt mir persönlich nicht. Das Normale gibt es nicht, das Unnormale ist das Normale. Ich setze nun dieses Wort in einen anderen Kontext und übersetze es. Den Kontext nenne ich Lebensspanne und die Übersetzung heißt “organisch”. Organisch, wie ich es benutze, geht zurück auf Feldenkrais. Organisch bedeutet hier, seine Fähigkeiten zu einem hohen Grad in einem Raum-Zeit-Kontinuum zu benutzen. In anderen Worten, die Fähigkeit auf einkommende Reize adäquat zu reagieren. Wie erreicht nun eine Person dieses organische Level? In der Feldenkrais Welt benutzen wir die drei S ́s.

  • Slow (langsam)
  • Small (klein)
  • Smooth (geschmeidig) 

Dies sind die Faktoren, welche ich in meinem Feldenkrais Klassen mit ein fliesen lasse. Dadurch entsteht zuerst die Möglichkeit mit einem höheren Grad an Aufmerksamkeit, gewisse blinde Flecken in der Bewegung zu entdecken und diese dann während den Lektionen zu ändern, in anderen Worten, ein neueres Bewegungsmuster im Nervensystem zu integrieren.

Feldenkrais und Skoliose

Interessanterweise stoß ich zu einer ähnlichen Zeit auf einen Artikel “Scoliosis and Proprioception” von Robert Schleip (2000), veröffentlicht in einem Magazin für Rolfing. Der Artikel beginnt mit dem Satz, dass die meisten Fälle von Skoliose als idiopathische Skoliose klassifiziert werden. Das bedeutet, das der Grund für diese Deformität in der Rotation der Wirbelsäule noch unbekannt sind. Neueste Untersuchungen haben jedoch ergeben, als Hauptursache das zentrale Nervensystem anzusehen. Im speziellen, Defekte in propriozeptiver Haltungskontrolle wurden als Ursache für die idiopathische Skoliose angegeben.

Dann gibt es ein kurzes Beispiel: Ein Mensch läuft auf einen Balken. Dies scheint für Skoliose Patienten schwieriger zu sein. Auch der Grad der Haltungsverschiebung zum Ausbalancieren ist bei ihnen größer als normal. Das kann jedoch auch bei Menschen ohne Skoliose der Fall sein. Jetzt kommt der interessante Satz. Es gibt Belege für einen Zusammenhang von Wahrnehmungsstörungen, basierend auf einem ungenauen oder fehlerhaften Körperbild im Gehirn und schlechte Haltungskontrolle bei Skoliosepatienten. Die Wahrnehmung bzw. die Propriozeption ist also gestört.

Wie kann diese fehlerhafte Propriozeption zu Deformationen in der Wirbelsäule führen? Dies kann eventuell damit zu tun haben, das ein Patient seine Wirbelsäulenausrichtung als gerade oder in Ordnung wahrnimmt, obwohl es nicht der Fall ist. Die sensorische Umordnung bzw. die Nachkalibrierung von dem Körperbild ist zwar anwesend, jedoch wird die Schieflage irrtümlicherweise als gerade wahrgenommen. D.h. Menschen mit idiopathischer Skoliose nehmen ihr Körperbild und sich selbst als gerade war, obwohl es Abweichungen von der Mitte gibt. Wenn dies im Kindesalter passiert, im Zeitraum des Skelettwachstums, könnte dies zu einer ungleichmäßigen Entwicklung der Knochen und Muskeln des Brustkorbs und Wirbelsäule führen, so dass die Abweichung zum Normalfall wird und der Normalfall zur Anstrengung. Es ist jedoch Hoffnung in Sicht, denn Propriozeption verbessert sich im Laufe der Lebensspanne, sofern wir auch etwas dafür tun.

Robert Schleip schreibt ausserdem, dass diese Erkenntnis des gestörten Körperbildes ein Aufruf an alle somatischen Lehrer, denn diese Lehrer dieser Methoden arbeiten konstant an einer Verbesserung des Körperbildes. Insbesondere über diese Zeilen freute ich mich. 

Literatur:

  • Schleip, Robert (2000). Scoliosis and Proprioception. Published in Rolf Lines, Vol. 28, No.4