“Stabilität ist das Fundament menschlicher Tätigkeit, in immer wechselnden Umfeldern und genau dieses Fundament schafft die Grundlage für Homöostase.” Walter Bradford Cannon

Stabilität und Instabilität

Das ist ja erst mal eine interessante Aussage von Walter Bradford Cannon. Was ist denn eigentlich das Gegenteil von Stabilität? Ist es Instabilität oder Mobilität? Es hört sich beides logisch an. In beiden Fällen bewegen wir uns auf einem Kontinuum zwischen diesen beiden Polen, sei es Stabilität-Instabilität oder Stabilität-Mobilität. Es ist ganz normal, regelrecht notwendig, von Zeit zu Zeit aus der stabilen Lage herausgerissen zu werden, für eine noch größere Mobilität auf der einen Seite und für eine Verbesserung unserer motorischen Funktionen auf der anderen Seite. Entweder reißt uns das Leben aus dieser stabilen Lage heraus, z.B. durch einen Sturz, und dies kann sehr unangenehm ausgehen, oder wir fordern uns selbst heraus. Dieses Herausreisen, welches von innen kommt, gepaart mit Hingabe und Geduld, ist letzten Endes etwas, was wir in einer Feldenkrais Gruppenlektion tun. Bitte verstehe mich nicht falsch, wir machen bei Feldenkrais kein Karate Falltraining.

Wir arbeiten an unserer Bewegungsorganisation, verbessern diese und dies wiederum verbessert uns. Wobei es hier auch nicht geht, ist zwanghafte Selbstoptimierung. Es ist mehr ein Spielen mit der Schwerkraft. In meiner Ausbildung in Seattle bei Richard Corbeil und Angel Di Benedetto wurden wir mit dem Prinzip TOM vertraut gemacht. Ich möchte hier das Prinzip TOM mit der dynamischen Stabilität in Verbindung bringen.

Das Prinzip TOM

Die Abkürzung TOM steht für:

  • T = Timing
  • O = Orientierung
  • M = Manipulation

Diese drei Komponenten sind während einer Bewegung immer vorhanden, wie sie jedoch vorhanden sind, macht wieder mal den Unterschied. Zur richtigen Zeit, in die richtige Richtung, das richtige Tun ergibt eine gute Bewegungsorganisation.

Stellen dir folgendes vor: Du möchtest zur U-Bahn, um irgendwo hinzufahren. Du läufst (Manipulation) zur U-Bahn (Orientierung), jedoch hast du die Zeit aus den Augen verloren (Timing). Die U-Bahn ist leider schon weg. Du startest rechtzeitig (Timing) und läufst (Manipulation), allerdings in die falsche Richtung (Orientierung). Die U-Bahn ist wieder weg. Diesmal startest du rechtzeitig (Timing) und läufst auch in die richtige Richtung (Orientierung), jedoch bleibst du vor dem Eingang der U-Bahn stehen (Manipulation). Tja, die U-Bahn ist wieder weg. Alle drei Komponenten müssen passen und je besser sie dies tun, desto besser ist die Bewegungsorganisation. Was hat TOM mit der dynamischen Stabilität zu tun?

Das Konzept Dynamische Stabilität

“Dynamische Stabilität ist eine Aktivität.”

Diese Aktivität können wir mit Feldenkrais verbessern. Wir verfolgen eine Verbesserung der Bewegungsorganisation, was mit einer verbesserten dynamischen Stabilität einhergeht. Eine verbesserte dynamische Stabilität verringert die Wahrscheinlichkeit verletzt zu werden, aufgrund von zu viel Stabilität oder zu wenig Stabilität. Ein zu viel an Stabilität wäre z.B. ein Mensch mit sehr viel Muskelspannung. Dies macht diesen Menschen sehr steif und unbeweglich. Er mag stabil aussehen, jedoch trügt das Auge. Es ist nicht gesund mit ständig angespannten Muskeln herumzulaufen. Wenn wir dies auf die Bauchmuskeln anwenden, bedeutet dies, das chronisch angespannte Bauchmuskeln nicht nur den Raum für die inneren Organe verkleinern, sondern grundlegend, das wir unsere Fähigkeit verlieren in einer sich immer ändernden Umgebung adäquat zu reagieren. Kraft gewinnen wir durch eine gute Verbindung mit dem Boden, mit Standfestigkeit. Und auch hier, verstehe mich nicht falsch. Muskeln sind etwas tolles, wirklich. Die Frage ist nur, welchen Zweck erfüllen sie und in welchem Ausmaß sind sie trainiert. Das macht dann den entscheidenden Unterschied.

Das Spiel mit dem Schwerefeld

Standfestigkeit heißt nicht, einbetoniert zu sein, sondern den Boden als Verbündeten zu sehen, um das Spiel mit der Gravitation aufzunehmen. Unser Skelett gibt uns eine gewisse Form. Die Muskeln, welche dieses Skelett bewegen brauchen dafür Freiheit. Eine zu hohe Muskelspannung schränkt diese Freiheit ein und wir sind mehr damit beschäftigt unser Skelett mit unnötigen Spannungen im Schwerefeld zu halten. Das kann es nicht sein. Aber auch ein zu wenig an Stabilität ist nicht hilfreich. Dies wäre Hypermobilität. Wir staunen manchmal über Menschen die sehr beweglich sind. Auch dies ist nicht von Vorteil, den sofern im jeweiligen Gelenk in einer spezifischen Endposition keine Sicherung, also Stabilität, vorhanden ist, so erhöht dies wiederum die Verletzungsgefahr.

Der Körperschwerpunkt

Ein Gegenstand ist dann stabil und in Balance, wenn der Schwerpunkt des Körpers die niedrigste relative Position einnimmt. Dieses COG (center of gravity) oder COM (center of mass), also der Körperschwerpunkt, liegt beim Menschen ungefähr in Höhe des zweiten Lendenwirbels, wobei dies auch abhängig ist vom Körperbau und dieser ist abhängig vom Alter und Geschlecht. Bei einem Neugeborenem liegt der Körperschwerpunkt weiter oben als bei einem ausgewachsenen Menschen.

Der eingezogene Bauchnabel

Wenn der Schwerpunkt des Körpers eine Änderung erfährt, von außen oder von innen herbeigeführt, stört dies das Gleichgewicht des Körpers. Im schlimmsten Falle fallen wir. Wenn wir ein unglaubliches Muskelkorsett haben, kann es sein, dass dieses Korsett den Fall abdämmt, oder auch nicht. Haben wir gar kein Muskelkorsett, kann es sein, dass wir uns etwas brechen, oder auch nicht. Was nun? Stuart McGill sagt, dass wenn wir ständig den Bauchnabel einziehen, um unseren Transversus Abdominis (tiefe Bauchmuskulatur) zu trainieren, reduzieren wir dadurch die Stabilität in unserer Wirbelsäule. Es passiert sogar noch mehr. Mit solchen dauerangespannten Muskeln herumzulaufen, erschwert es uns von einem Stuhl aufzustehen. Probiere es mal aus.

Zielführende Bewegung trainieren

Muskeln entwickeln bzw. passen sich automatisch an die gestellten Anforderungen an. Mit Feldenkrais trainieren wir Bewegung, noch besser gesagt, wir trainieren das Nervensystem, welches Bewegungen steuert. Bewegungen werden von Muskeln ausgeführt. Diese Muskeln tragen unser Skelett durch Raum und Zeit. Das Skelett an sich, gibt uns Struktur und Stabilität, so dass wir Muskeln primär dafür benutzen sollten, uns von A nach B zu bewegen. Tun diese Muskeln allerdings mehr als sie sollen, nämlich uns zu lähmen, in dem sie unter Dauerspannung stehen, so sind wir im schlimmsten Falle extrem in unserer Bewegung eingeschränkt und erst dies produziert die sogenannten bösen Rückenschmerzen. Dem entgegnen wir dann mit noch mehr Muskeltraining. Der Teufelskreislauf ist vollendet.

Fazit

Dynamische Stabilität ist in der Tat eine ziemlich wackelige Angelegenheit, so wie auch das Leben eine ziemlich wackelige Angelegenheit ist. Jede vollzogene Handlung von Beginn des Lebens bis hin zum Tod ist geprägt von diesem immer wiederkehrenden Wechselspiel zwischen Stabilität und Instabilität oder von Stabilität und Mobilität. Dieses Wechselspiel auszuhalten stellt zum Einen eine Herausforderung an unsere Psyche dar, denn nichts ist sicher. Wir bewegen uns in Wahrscheinlichkeiten. Zum Zweiten stellt es eine Herausforderung an unseren Körper dar, welcher seine Sinne ständig an sich immer ändernde Zustände anpassen muss. Das Ergebnis daraus ist eine Verbesserung unserer Anpassung an Raum und Zeit. Es ist ein Geschenk, mit dem wir lernen müssen, umzugehen. Na ja, müssen müssen wir nicht. Wir dürfen. Stellt sich noch die Frage, ob du magst.

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