Für Moshe Feldenkrais ging es nicht um flexible Körper, sondern um flexible Gehirne. Sein Ziel war es, jede Person zu ihrer menschlichen Würde zurückzuführen. Wenn man "Feldenkrais und Würde" googelt, findet man unzählige Webseiten. Würde ist ein großes Wort. In der Feldenkrais-Arbeit wird Würde zu einer grundlegenden Zutat. Ohne sie scheint die ganze Arbeit entwertet zu werden. Lass uns mal in diese Perspektive eintauchen.
Ganzheitlich
Zunächst einmal, wenn heute jemand zu einem Feldenkrais Lehrer für eine individuelle Sitzung (FI für Funktionale Integration) kommt, tritt diese Person in eine Beziehung mit dem Feldenkrais Lehrer. In dieser Beziehung arbeitet der Lehrer nicht an dem Klienten, wie ein Automechaniker an einem Motor. Stattdessen arbeitet der Lehrer mit dem Klienten zusammen. Es ist eine Art Fusion. Diese beginnt bereits mit den Augen. Sobald der Klient die Praxis des Lehrers betritt, schaut der Lehrer nicht auf den Klienten mit dem Fokus auf etwas, das vielleicht eine Abweichung ist und fixiert seinen Blick darauf. Stattdessen sieht er den Klienten aus einer ganzheitlicheren Perspektive. Er bemerkt vielleicht etwas mit dem linken Knie, der rechten Schulter oder dem Nacken, aber er fixiert sich nie auf einen einzelnen Punkt, sondern bewegt seinen Blick und sieht das größere Bild.
Selbstbestimmt
Dies erinnert mich an Peter Bieri, Romanautor und Philosoph. Laut Bieri (2013) ist Würde eng mit Respekt verbunden. Dieser Respekt schließt die Anerkennung der Unterschiedlichkeit menschlicher Lebenswege und Erfahrungen ein. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben, sofern dies die Würde anderer nicht verletzt. Bieri betont auch, dass Würde in der Fähigkeit liegt, über das eigene Leben nachzudenken und Entscheidungen in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Überzeugungen zu treffen. Selbstbestimmung bedeutet, nicht fremden Zwängen oder unreflektierten Mustern zu folgen, sondern das Leben aktiv zu gestalten. Ich hatte echt eine tolle Zeit mit Bieri in Seattle. Es ist viel Kaffee geflossen. Dort ist auch das Titelbild entstanden. Eine tolle Rösterei. Lädt zum Kaffeetrinken und Buchlesen ein.
Objekte und Subjekte
Also nicht zwanghaft auf Details fokussiert sein, sondern das Ganze im Blick behalten. Dies reduziert den Klienten nicht auf ein Objekt. Beide sind Subjekte füreinander. Was könnte das bedeuten? Beide Menschen haben ihre eigene persönliche Geschichte, beide sind Zentren ihrer eigenen Erfahrung, sie fühlen auf bestimmte Weise, sie denken auf bestimmte Weise, sie bewegen sich auf bestimmte Weise. Der Lehrer weiß darüber Bescheid und berücksichtigt dies in seiner Arbeit. Allein die Tatsache, dies zu wissen, impliziert, dass die Handlung des Klienten in diesem speziellen Moment ein Ergebnis all seiner Vergangenheit ist, die er erlebt hat, sowie der Begegnung, die er in diesem Moment mit dem Lehrer hat.
Sprechende Hände
Es mag Dinge geben, die der Klient nicht besprechen möchte, Dinge aus der Vergangenheit, die mit Wut, Angst, Scham, Frustration usw. zu tun haben. Und das ist völlig akzeptabel, da wir uns nicht in einer Psychotherapie befinden. Was passieren wird, ist, dass der Körper nicht lügt – der Körper spricht seine eigene Sprache, und diese Sprache wird etwas über die Geschichte des Klienten erzählen. Der Lehrer wird durch eine sanfte Verbindung mit seinen Händen in den Körper des Klienten gewisse Spannungen spüren. Ohne zu wissen, woher diese Spannung kommt, ohne nach einem psychologischen Grund zu suchen, wird er ein Umfeld für Wachstum ermöglichen. Dieses Umfeld wird er mit den Händen schaffen, indem er sanfte Reize an das Nervensystem des Klienten gibt.
Würdevolle Intimität
In diesem Umfeld treten zwei Menschen in eine Beziehung ein, sind Subjekte füreinander. Es ist Intimität, eine andere Art von Intimität, und durch diese Intimität, bei der der Klient einfach in diesen Moment hinein gibt und der Lehrer die Offenheit des Klienten wertschätzt und respektiert, wird Würde wiederhergestellt. Sie war bereits da. Sie wurde zuvor als Bewusstsein und Akzeptanz eines anderen lebendigen Wesens bezeichnet. Danach bleibt die Würde als eine Art Freude.
Literatur:
- Bieri, Peter (2013). Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde. München: Carl Hanser
Bilder:
- Das Bild ist bei Lighthouse Roasters in Fremont, Seattle, entstanden. Der Kaffee war der Hammer. Keep up the good work 😉