Atemübungen sind nicht nur ein Werkzeug zur Entspannung, sondern können das Nervensystem regulieren, den Stressabbau fördern und die Energie harmonisieren. Lucas Rockwood, ein bekannter Yogaexperte, hat drei einfache und effektive Atemtechniken entwickelt, die er nach alltäglichen Genussmitteln benannt hat: Wasser, Whiskey und Kaffee. Jede Technik hat eine spezifische Wirkung auf Körper und Geist und kann über den Ansatz der Polyvagal-Theorie tiefer verstanden werden.

Die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges erklärt, wie das autonome Nervensystem (ANS) auf verschiedene Reize reagiert. Sie unterteilt das ANS in drei Hauptzustände:

  1. Social Engagement (soziale Interaktion): Gekennzeichnet durch Sicherheit und Balance. Hier sprechen wir vom ventralen Vagus.
  2. Fight or Flight (Kampf oder Flucht): Aktivierung und gesteigerte Wachsamkeit. Das wäre der Sympathikus.
  3. Shutdown / Freeze (Rückzug): Ein Zustand tiefer Entspannung oder Immobilität. Hiers sprechen wir vom dorsalen Vagus.

Rockwoods Atemtechniken korrespondieren direkt mit diesen Zuständen und bieten praktische Ansätze, um den jeweiligen Zustand bewusst zu beeinflussen.

Wasser-Atmung: Balance und Harmonie

Die Wasseratmung ist eine beruhigende Technik mit einem gleichmäßigen Atemrhythmus von vier Sekunden Einatmen und vier Sekunden Ausatmen. Sie ist inspiriert von der Methode des kohärenten Atmens, die darauf abzielt, den Atem auf etwa 4-6 Zyklen pro Minute zu verlangsamen, um das Herz-Kreislauf- und Nervensystem zu harmonisieren.

Wirkung der Wasser-Atmung im Rahmen der Polyvagal-Theorie

Die Wasser-Atmung fördert den Zustand des Social Engagement, bei dem das parasympathische Nervensystem (PNS) aktiviert wird. Dieser Zustand ist mit Sicherheit, sozialer Interaktion und innerer Balance verbunden. Der gleichmäßige Atemrhythmus stabilisiert Herz und Geist und unterstützt die Verbindung zwischen Atmung und dem Vagusnerv.

Anleitung zur Wasseratmung

Setze oder lege dich entspannt hin. Atme für vier Sekunden gleichmäßig durch die Nase ein. Atme für vier Sekunden gleichmäßig durch die Nase aus. Stelle dir einen fließenden Kreis vor, der mit jedem Atemzug geschlossen wird.

Eine einfache Möglichkeit ist, die Wasseratmung mit der Gewohnheit des Wassertrinkens zu kombinieren: Bei jedem Glas Wasser kannst du ein paar bewusste Atemzüge nehmen.

Whiskey-Atmung: Entspannung und Erholung

Die Whiskey-Atmung setzt auf eine verlängerte Ausatmung im Verhältnis von 4:8 Sekunden. Dies aktiviert das parasympathische Nervensystem und hilft, Stress abzubauen und in einen Zustand tiefer Entspannung zu gelangen. Der Name verweist auf die beruhigende Wirkung – ohne den Konsum von Alkohol zu befördern.

Wirkung der Whiskey-Atmung im Rahmen der Polyvagal-Theorie

Diese Technik unterstützt den Wechsel in den dorsalen Vagus-Modus, der mit tiefer Regeneration und Schlaf verbunden ist. Der Vagusnerv wird stimuliert, und die Herzfrequenz verlangsamt sich. Dies ist ideal, um nach einem anstrengenden Tag oder vor dem Schlafengehen zur Ruhe zu kommen.

Anleitung zur Whiskey-Atmung

Setze dich bequem hin, entspanne Gesicht und Schultern. Atme für vier Sekunden tief ein. Atme langsam und kontrolliert für acht Sekunden aus. Wiederhole diesen Zyklus mehrmals, bis du dich entspannt fühlst.

Die Whiskey-Atmung sollte in einer sicheren Umgebung ausgeübt werden, da sie Schläfrigkeit auslösen kann. Sie eignet sich nicht während des Autofahrens oder anderer anspruchsvoller Tätigkeiten!!!

Kaffee-Atmung: Energie und Aktivierung

Die Kaffee-Atmung ist eine belebende Technik mit schnellen, stoßartigen Atemzügen, die das sympathische Nervensystem aktiviert. Sie wirkt wie ein Energieschub und ist ideal, um Müdigkeit zu bekämpfen oder den Körper auf Aktivität vorzubereiten.

Wirkung der Kaffee-Atmung im Rahmen der Polyvagal-Theorie

Diese Technik stimuliert den Fight-or-Flight-Modus, der mit gesteigerter Wachsamkeit und Aktivierung verbunden ist. Die schnelle, kraftvolle Atmung erhöht die Herzfrequenz und bereitet den Körper auf Handlung vor.

Anleitung zur Kaffee-Atmung

Setze dich oder stehe aufrecht. Führe 20 schnelle, kraftvolle Atemzüge durch, wobei du den Atem durch den Bauch ausstößst. Lass die Einatmung automatisch und entspannt erfolgen.

Diese Technik sollte nicht von Menschen mit Atemwegserkrankungen oder Panikattacken angewendet werden. Begrenze die Übung auf maximal 20 Atemzüge, um Überstimulation oder Hyperventilation zu vermeiden.

Fazit: Atem als Schlüssel zur Selbstregulation

Die Atemtechniken von Lucas Rockwood bieten eine einfache Möglichkeit, die eigene Energie und Balance im Alltag zu steuern. Durch die Verbindung mit der Polyvagal-Theorie wird klar, wie gezielte Atemübungen helfen können, das autonome Nervensystem in einen gewünschten Zustand zu bringen – ob zur Beruhigung, Entspannung oder Aktivierung. Indem wir bewusster atmen, nehmen wir aktiv Einfluss auf unsere physische und emotionale Gesundheit.