Kennst du die Aussage, “denk doch einfach positiv und alles ist in Ordnung”? Wahrscheinlich, oder? Die Aussage hinkt natürlich. Ich denke darüber braucht es eigentlich gar nicht viele Worte, denn manchmal ist die Lage nun mal nicht positiv. Manchmal ist sie einfach nur schlecht und das ist vollkommen in Ordnung. Die Frage ist, was du daraus machst. Punkt! Wenn du mehr über eine Kritik der positiven Psychologie lesen möchtest, lese gerne den Artikel von Llewellyn van Zyl, einem Professor der Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität in Eindhoven (van Zyl et al., 2023). In der Tat kann dieses positive Denken auch Schaden anrichten. Darauf geht dieser Artikel auch ein. Sehr lesenswert! So schreibt auch Wilhelm Schmid: “Der Versuch, um jeden Preis in allem das Positive zu sehen und ein positiver Mensch zu sein, als sei nur ein solcher wertvoll, führt zu einer sinnlosen Verausgabung von Kräften.” (Schmid, 2016, S. 48 f.)

Die neutrale Mitte kann die Natur sein

Ja, genau, zu einer sinnlosen Verausgabung von Kräften. Da kann ich voll mitgehen. Vielleicht fühlst du dich bei diesem Satz auch angesprochen? Zwischen den Polen positiv und negativ gibt es eine Mitte. Nennen wir diese mal neutral. Für mich ist die Natur neutral. Jetzt mag jemand einwenden, aber halt, was ist z.B. mit einer Überflutung, einem Sturm, einem Waldbrand? Guter Einwand, oder eben auch nicht. Die Frage ist ja, woher kommt der Sturm, der Brand oder die Überflutung? Und zweitens steht immer noch offen, wie dies nun bewertet wird, oder? Die Natur kann als Ressource gesehen werden. Die Natur ist einfach nur. Sie war schon immer und wird noch lange bleiben, denke ich zumindest. Diese Natur als Ressource kann auch zu Resilienz führen. Resilienz bedeutet so viel wie Widerstandskraft, um mit schwierigen Situationen umzugehen.

In der Schönheit liegt eine immense Kraft

Die Natur als Ressource führt also, bzw. kann zu Resilienz führen, weg von einer Defizitorientierung, hin zu einer Ressourcenorientierung. Diese Orientierung gibt auch eine Richtung. Diese Richtung kann auch durch Schönes entstehen. Diese Schönheit findet sich überall, in Zusammenhängen, Situationen, Erlebnissen, Beziehungen, Dingen, Vorstellungen, etc., oder eben in er Natur, im Baum zum Beispiel. Diese Schönheit, welche in jedem Augenblick da ist, bietet eine immense Kraft. Diese immense Kraft kann gerade dann von außerordentlichen Nutzen sein, wenn die Laune sowieso schon am Tiefpunkt angekommen ist. So wurden Menschen in einer Studie gebeten, einen Ort auf einer Karte zu markieren, welcher bevorzugt wurde und einen Ort, welcher nicht bevorzugt wurde. Zudem wurde die Menschen gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, der ihre derzeitige Stimmung angab. Was wurde nun herausgefunden? Die Orte, welche bevorzugt wurden, hatten einen Zusammenhang mit der Stimmung. Das eigene Heim wurde bei positiver Stimmung bevorzugt, die Natur allerdings bei negativer Stimmung (Korpela, 2003). 

Die Umkehrung der Negativität

Menschen bevorzugen also die Natur, gerade dann, wenn sie in einer negativen Stimmung sind. Genau da beginnt dann eine Transformation. Eine Transformation von der Negativität hin zum Positiven, hin zur Kraft, hin zum Auftanken. Was ich hiermit auf gar keinen Fall meine ist, denke doch einfach nur positiv und gehe laufen in der Natur. Nein. Was ich meine, ist genau diese Transformation. Ich durfte dies schon so oft erleben. Menschen sind natürlich von der Natur abhängig. Daher denken wir auch über Klimaschutz nach. Menschen brauchen aber auch die Natur und zwar zur Erholung. Dieser Kontakt zur Natur, dieses Sein in der Natur, reduziert Stress und hebt nun mal die Stimmung. Ich finde die folgenden Sätze von Frank Berzbach sehr aussagekräftig:

“Die Schönheit ist von Natur aus antiaggressiv, sie ist heilsam und sie speichert die Präsenz im Augenblick ihrer Schöpfung. Sie geht nur aus von einem klaren und gelassenen Geist. Die Fähigkeit, wirklich still sein zu können - geistig wie körperlich - ist eine ihrer Grundquellen. In Opposition zur Schönheit steht daher auch der Lärm, die Zerstreuung und der Rausch. Die menschlichen Laster und destruktiven Emotionen verhindern und zerstören die Schönheit.” (Berzbach, 2018, S. 14)

In der Stille liegt eine immense Kraft

Wow, ich stimme Herrn Berzbach voll zu. Wirklich still sein und einfach nur da sein, etwas größeres darf walten, über unser Da-Sein und über unser So-Sein. Die Zeit vergeht und wir vergehen mit ihr, dennoch rührt dies keine traurige Träne in mir, sondern Gelassenheit und Akzeptanz, noch mehr Dankbarkeit. Es ist die Dialektik der Natur, welche uns lehrt, ein Kommen und ein Gehen, ein Vergehen. So schreibt Claudia Hammond (2021), “passieren wir einen faulenden Baumstamm oder einen absterbenden Busch, sind wir mit Tod und Verfall konfrontiert, bemerken jedoch auch Zeichen der Wiedergeburt, vor allem wenn ein langer Winter endet und die ersten Frühlingsboten erscheinen.”

Vielleicht gibt es auch bei dir, gar nicht weit weg, einen Ort, der dir gut tut, einen Ort, der dir Kraft gibt, einen Ort, der dir Ruhe ermöglicht, einfach einen tollen Ort. Möge er dein Ort sein. Mit einem Lächeln wünsche ich dir dies.

Literatur:

  • Berzbach, Frank (2018). Die Form der Schönheit. Über eine Quelle der Lebenskunst. Köln: Eichborn Verlag
  • Hammond, Claudia (2021). Die Kunst des Ausruhen. Wie man echte Erholung findet. Köln: DuMont Buchverlag
  • Korpela, K. M. (2003). Negative Mood and Adult Place Preference. Environment and Behavior, 35(3), 331-346. https://doi.org/10.1177/0013916503035003002
  • Schmid, Wilhelm (2016). Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers. Berlin: Suhrkamp
  • van Zyl, L. E., Gaffaney, J., van der Vaart, L., Dik, B. J., & Donaldson, S. I. (2023). The critiques and criticisms of positive psychology: a systematic review. The Journal of Positive Psychology, 19(2), 206–235. https://doi.org/10.1080/17439760.2023.2178956

Bilder:

  • In der Stille Kraft tanken. Dieses Bild ist in Altdorf bei einer Freundin entstanden. Es ist ein Bild. Bei mir ist die Erfahrung allerdings noch sehr präsent. Es war 2018. Ein November Tag. Erholsam, heilsam, wundersam.