Kennst du Aussagen wie, “Kein Arzt kann mir die Ursache für den Schmerz nennen”, oder “jetzt war ich schon beim Neurologen, beim Orthopäden, bei verschiedenen Fachärzten, aber nichts tut sich”? Menschen beschreiten Wege, manchmal sind es sehr lange Wege, manchmal sind es auch Umwege. Am Ende des Tages bleiben es Wege. Die Frage, die ich mir dabei immer stelle ist: was bleibt? Im Sinne von, gibt es irgendetwas, sei es auch noch so winzig, dass den entscheidenden Unterschied gemacht hat. Den Unterschied hinsichtlich weniger Schmerz, mehr Lebensqualität und mehr Verbindung zu sich.

Schmerz als Sinnes- und Gefühlsempfindung

Die IASP (International Association for the Study of Pain) hat seit 1974 folgende Definition von Schmerz: „Schmerz ist eine unangenehme Sinnes- und Gefühlsempfindung, die mit einer echten oder möglichen Gewebsschädigung einhergeht oder als solche beschrieben wird.“ (Merskey & Bogduk, 1994)

Schmerz ist also verbunden mit Sinnesempfindungen sowie Gefühlen und er ist beschreibbar. Es könnte eine Schädigung vorliegen oder auch nicht. Ich denke, es wäre wichtig das Wort Schmerz von dem Wort Nozizeption abzugrenzen. Es handelt sich hierbei um zwei Wörter, welche das gleiche ansprechen, aber aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Nozizeption ist der Wissenschaft zuzuordnen, d.h. es gibt Nervenendigungen, ergo Nozizeptoren, welche Informationen ans Gehirn weiterleiten. Dieser neuronale Mechanismus sendet Informationen über thermische, mechanische und chemische Schmerzreize ans Gehirn. Dort werden aufgrund der Information vegetative sowie motorische Reaktionen ausgelöst. All dies lässt sich mittels bildgebender Verfahren messen und stellt somit eine objektive Grundlage dar. Das wäre der eine Blickwinkel. Der andere Blickwinkel wäre der Schmerz, welcher die subjektive bewusste Wahrnehmung der Nozizeption ist. Somit komme ich zu einer Definition von Jonas Tesarz, welche mir persönlich sehr zusagt.

Schmerz als eine wahrgenommene Leibesempfindung

„Eine Wahrnehmung S ist genau dann Schmerz, wenn diese eine unangenehme Leibesempfindung darstellt, die mit einer nozizeptiven Wahrnehmung einhergeht oder als eine nozizeptive Wahrnehmung interpretiert wird.“ (Tesarz, 2018, S.25)

In dieser Definition findet sich die Unterscheidung zwischen Körper und Leib. Ein Mensch hat einen Körper. Er wird mit dem Verb Haben umschrieben. Was einer hat, lässt sich messen, lässt sich quantifizieren. In anderen Worten, der Körper ist der Wissenschaft zugänglich. Der Leib hingegen nicht, dieser ist und bleibt subjektiv. Es bedarf der Innenperspektive. Der Leib wird mit dem Verb Sein umschrieben. Jemand ist ein Leib. Leib ist etwas, was lebt, es ist etwas, man ein Mensch spüren kann und zwar nur dieser Mensch. Der Körper stellt somit den materiellen Gegenstand dar, welcher von Außen untersucht werden kann, der Leib stellt dann meine Innenperspektive dar, was ich von meinem Körper als mir zugehörig bewusst wahrnehme.

Überdies findet sich noch das Wort Wahrnehmung. Alles was in meiner Wahrnehmung ist, ist der Fall. Alles was nicht in meiner Wahrnehmung ist, ist erst mal nicht der Fall. Oder in den Worten von Karolin Linker: “Die Grenzen unserer Wahrnehmung werden von drei Faktoren bestimmt: Erstens durch ein Zuwenig an Sinnesreizen, zweitens durch ein Zuviel oder drittens durch Reize, die wir kaum oder gar nicht empfangen können, weil unser jeweiliges Sinnesorgan nicht genügend ausgebildet ist. Wenn wir nichts hören, sehen, fühlen, schmecken oder riechen können, liegt das also entweder daran, dass unser individuelles Sinnesorgan zu wenig sensibel ist, dass wir durch ein Zuviel an Sinnesreizen überfordert sind oder dass es ein Reiz ist, den wir aus physiologischen Gründen gar nicht erkennen können. Oder es gibt tatsächlich gar nichts wahrzunehmen.” (Linker, 2010)

Wir wissen jetzt, dass Schmerz mit Wahrnehmung zu tun hat, dass Schmerz subjektiv ist, also von einer Leibesempfindung abhängt. Jetzt wäre noch die Frage, wie kam es dazu?

Schmerz als Verrechnungsprozess

Tesarz nimmt an, „dass Schmerz das Resultat eines komplexen neuronalen Verrechnungsprozesses zur Abschätzung des Bedrohungsgehalts eines Reizes darstellt, der sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, um die Integrität des Organismus zu wahren und ihn effektiv durch seine Umgebung zu navigieren. Dieser Verrechnungsprozess lässt sich am angemessensten im Rahmen eines biopsychosozialen Modells verstehen, in welches Informationen auf verschiedensten Ebenen einfließen.“ (Tesarz, 2018, S.12)

Ich könnte es so formulieren. Ich empfinde Schmerzen dann, wenn ich eine tatsächliche oder interpretierte Bedrohung meines Leibes wahrnehme. Was bedrohlich ist, ist wiederum höchst subjektiv, sowie zeitlich instabil, d.h. was ich heute als bedrohlich empfinde, muss in fünf Jahren nicht mehr der Fall sein. Zudem unterliegt meine Wahrnehmungsfähigkeit täglichen Schwankungen, abhängig von verschiedenen Faktoren: Schlaf, Vitalitätsgrad, derzeitige emotionale Hintergrundbeleuchtung, etc. 

Jetzt ist es so, dass andauernde Schmerzen Stress auslösen. Stress im Sinne von einer inneren Unruhe. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass eine innere Unruhe vorher schon da war, welche in eine Überlastung mündete und somit Schmerz auslöste. Da stellt sich dann die Frage, wo anfangen, beim Schmerz, oder bei der inneren Unruhe?

Was nun? Komplexitätsreduktion zur Erleichterung von Heilungsprozessen

Um nicht den Überblick zu verlieren, was zum einen in der heutigen Zeit leicht der Fall ist, wäre es doch hilfreich die Komplexität ein wenig zu reduzieren. Ich mache mir dazu immer ein Akronym, was mir persönlich hilft, komplexe Zusammenhänge zu reduzieren und diese dann im Körper und Geist zu integrieren. Das Akronym hier lautet: WAR2. Jetzt könnte ich das Akronym auch so lesen, „es war einmal vor langer langer Zeit“. Vor langer Zeit war der Schmerz, es gab ihn mal, und jetzt ist er weg. Was ist da passiert? Was mir persönlich sehr geholfen hat und auch manchen Klientinnen von mir ist folgendes: Wahrnehmen – Akzeptieren – Regulieren – Reflektieren.

Wahrnehmen: Mir bleiben zwei Dinge. Ich kann die Schmerzen wahrnehmen oder mich ablenken und die Schmerzen betäuben. Beides ist legitim und du entscheidest selbst, was du tun möchtest.

Akzeptieren: Wenn du dich dafür entscheidest die Schmerzen wahrzunehmen und gleichzeitig auch zu akzeptieren, gratuliere ich Dir. Auch hier bleiben zwei Wege. Entweder ich kämpfe gegen meinen Schmerz an. Aus eigener Erfahrung kann ich bezeugen, viel gebracht hat es nicht. Im Gegenteil, es hat alles verschlimmert. Der Akzeptanz wäre dann ein Weg geebnet, sofern ich es zulasse.

Regulieren: Hier stellt sich die große Frage, welcher Weg führt nach Rom? Die Antwort ist leicht: viele. Welchen Weg nimmst du? Ich würde den Weg nehmen, welcher mir eine deutliche Linderung ermöglicht. Dieses erste R schaut auf die Symptomatik und arbeitet mit dieser im Hier und Jetzt. Ich nenne mal ein paar Möglichkeiten:

  • Feldenkrais
  • Kohärentes Atmen
  • Zapchen Somatics
  • TRE
  • Kneipp Wechselduschen
  • Regelmäßige Schlaf- und Wachzeiten
  • Eine entzündungssinkende sowie antientzündliche Ernährungsweise
  • Die Kultivierung eines inneren Friedens

Reflektieren: Erst im Nachhinein ermögliche ich mir einen Raum zur Reflektion. Sobald die Regulation die Schmerzen, bzw. die Unruhe einigermaßen beruhigt hat, besteht die Möglichkeit, einmal darüber nachzudenken, wie es denn dazu gekommen ist. Das zweite R schaut hinter die Symptomatik und versucht die, wenn überhaupt möglich, Ursache herauszudestillieren. Manchmal kann es dazu führen, der Rumination zu verfallen. Ich grüble und grüble und drehe mich im Kreis. Dann ein Stoppsignal zu setzen, zu atmen und vielleicht den Ort wechseln, kann helfen, einen neuen Standpunkt zu bekommen, welcher es dann ermöglicht in einen neuen und hoffentlich konstruktiveren Reflektionsprozess einzusteigen.

Ich schließe mit den Worten von Allan Basbaum und frage dich, wo deine Wahrnehmung gerade ist? Schmerz ist hochgradig subjektiv. Was macht für dich den Unterschied? „Schmerz verhält sich zu somatischen Reizen wie Schönheit zu einem visuellen Reiz. Beide sind sehr subjektive Erfahrungen.“ (Basbaum, 1988)

Literatur:

  • Basbaum, Allan I. (1988). Unlocking the secrets of pain: the science. In Medical and Health Annual: 84-131. Chicago: Encyclopedia Britannica
  • Linker, Karolin (2010). Grenzen der Wahrnehmung. In SCHULEkonkret 4/2010 «Grenzen» Grenzen der Wahrnehmung (abgerufen am 17.05.2024)
  • Merskey, H; Bogduk, N. (1986). Classification of chronic pain. Descriptions of chronic pain syndromes and definitions of pain terms. Prepared by the International Association for the Study of Pain, Subcommittee on Taxonomy. Pain. Supplement, 3, S1–S226.
  • Tesarz, Jonas (2018). Psychosomatik in der Schmerztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta

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